„Cinema Paradiso“ (1988), das Debüt dieses italienischen Filmemachers, war wohl einer der schönsten Filme aller Zeiten, über die lebenslange Liebe eines Jungen zum Kino. Dieser Junge war das Alter Ego eben jenes Regisseurs, der es vollbracht hat, elf Jahre später, einen weiteren Film zu schaffen, der mich bei jedem Wiedersehen um so mehr an die Macht des Mediums glauben lässt.
Für mich gab es seit meiner Kindheit und Jugend immer zwei Formen des Eskapismus, die mich nachhaltig geprägt haben. Die eine war mein Rennrad, auf dem ich – wenn mir damals meine eigenen Emotionen in den Weg gekommen sind, noch auf Mitmenschen reagieren zu können – völlig sinnlose Kilometer durch das nördliche Ruhrgebiet abgerissen habe, bis dass ich mit mir selbst und den Menschen wieder klargekommen bin.
Die andere temporäre Fluchtvariante, aus dem Leben an sich, war für mich, schon als Kind, immer das Fernsehen und später das Kino. Weil es dort Geschichten gab, die größer waren, als mein kleines Leben.
„Die Legende vom Ozeanpianisten“ (1998) habe ich erst als Erwachsener gesehen. Und heute wieder. Und noch immer funktionieren diese alten Überlebensreflexe. Weil dieser Film nichts anderes ist, als eine Flucht in die andere Welt. Ein lyrisches, poetisches Märchen. Ein fast philosophisches Gleichnis, ein zartes Monument, eine musikalische Film-Meditation über die Zeit und das Leben.
„Ich glaube, die Menschen an Land verschwenden eine Menge Zeit mit der Frage ‚Warum?‘. Der Winter kommt, warum ist es nicht Sommer? Der Sommer kommt, und sie fürchten schon den Winter. Und darum sind sie immer auf Reisen. Auf der Suche nach einem Ort weit weg, wo immer Sommer ist.“
Filmzitat
Wenn Tim Roth noch nicht in die Riege Ihrer Lieblingsschauspieler aufgestiegen ist, dann haben Sie ihn als „Ozeanpianisten“ sicher noch nicht gesehen. Das ist verzeihlich. Denn im Kino, und leider auch im TV, bekam und bekommt der Film kaum die Publicity, die er verdient hätte.
Die „Filmkritik“ hat ihn nicht sehr gemocht, wenn 58% eine Zustimmungsrate bei RottenTomatoes ist, die Sie für relevant halten würden. Mir sind die 92% „Applaus“, die der Film dort von seinem Publikum bekommen hat, weit wichtiger. Weil ich einer von denen gewesen wäre. Stehend!
Es hilft sehr, diesen Film zu lieben, wenn Sie schon eine gewisse Affinität zur italienischen Oper besitzen. Denn in dieser Tradition haben sich Giuseppe Tornatore und der kongeniale Ennio Morricone hier betätigt. Das Libretto von Tornatores Drehbuch, welches auf dem Monolog „Novecento“ (1994) von Alessandro Baricco beruht, ist hier vollkommen gleichberechtigt zur Partitur des genialen italienischen Filmkomponisten.
Ich bin meinen Eltern zu lebenslanger Dankbarkeit verpflichtet, besonders dafür, dass sie mir immer dann die Karten aus ihrem Abonnement am Musiktheater im Revier überlassen haben, wenn dort Giuseppe Verdi auf dem Programm stand. Das hat nicht nur bei meinen damaligen Freundinnen großen Eindruck hinterlassen, sondern auch mich – der vom Headbangen zu Meat Loaf auch schon mal ein Schleudertrauma davongetragen hat – musikalisch nachhaltigst erzogen.
Doch selbst, wenn Oper Ihnen so gar nichts gibt, ist dieser Film eine kostbare Investition von Lebenszeit wert. Für mich, der James Camerons „Titanic“ ein Jahr zuvor nur unter Zuhilfenahme erheblicher Mengen Alkohol und Popcorn überstanden hat, war dieser Film wirksam, wie eine zweieinhalbstündige Rehabilitationsmaßnahme – und das, ganz ohne Rezept meiner Therapeutin…
„Scheiß auf den Jazz!“
Dieser Beitrag erschien zuerst am 16.11.2024.
Drama, Italien, USA, 1998, FSK: ab 6, Regie & Drehbuch: Giuseppe Tornatore, Musik: Ennio Morricone, Amedeo Tommasi, Kamera: Lajos Koltai, Schnitt: Massimo Quaglia, Mit: Tim Roth, Pruitt Taylor Vince, Mélanie Thierry, Bill Nunn, Clarence Williams III, Peter Vaughan, Niall O’Brien, Vernon Nurse, Sidney Cole, Gabriele Lavia
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