„A haunting tale of sexuality in a country gone wrong… See it while it’s still allowed.“ Unter dieser Überschrift wurde Volker Schlöndorffs Auftragsarbeit in den USA vor 35 Jahren an den Kinokassen beworben. Was wussten wir damals schon von dem, was diesem Land noch bevorstehen sollte?
Natürlich habe ich die ersten fünf Staffeln der TV-Serie gesehen. Für den amerikanischen Streamer „Hulu“ und seine deutschen Lizenznehmer:innen war die erneute Adaption des Romans von Margaret Atwood schließlich ein kommerziell wie künstlerischer Mega-Erfolg. Das konnte selbst ich nicht ignorieren. Ob ich mir auch die sechste und letzte Staffel ansehen werde, die in wenigen Wochen erscheint, weiß ich noch nicht. Denn die dafür zu investierende Lebenszeit bekomme ich ja nicht zurück.
Ganz ehrlich: So sehr ich ein großer Fan einiger Streaming-Serien bin (The Sopranos, Breaking Bad, Better call Saul, Ozark und bestimmt noch die eine oder andere mehr), wenn eine Geschichte dramaturgisch auch in einer oder zwei Seasons hätte erzählt werden können, dann braucht es einfach nicht mehr. Und da hat „The Handmaid’s Tale“ mich unterwegs einfach verloren.
Auch deshalb lohnt sich die Wiederentdeckung von Volker Schlöndorfs zeitgenössischem Film. Denn der Roman der Kanadierin (sic!) Atwood erschien schon fünf Jahre zuvor, noch unter der US-Administration von Ronald Reagan (1981-1989). Und vor diesem Hintergrund sollte auch der Film gesehen werden. Dass es einmal eine direkte Verbindung zwischen dem 40. US-Präsidenten, der als erster mit dem Slogan „Make America Great Again“ angetreten ist und dem 45./47. der dabei ist, unter eben dieser Marke die älteste Demokratie auf dem Planeten zu zerstören, das konnten Autorin, Filmemacher und das Publikum zwar vorhersagen, doch nicht vorhersehen.
Nichtsdestotrotz, die Vision von Gilead (ganz zufällig auch der Name eines profitgierigen US-Pharmaunternehmens, welches zu den größten Förderern Donald Trumps gehört, weil dieser es vermochte es vor der Justiz in Schutz zu nehmen) war schon 1990 eine Dystopie, die in einer ganz und gar nicht fernen Zukunft zu verorten war. Denn im Grunde hat Atwood schon lange vor ihrem Buch existierende Ideologien – nicht nur aus den USA – benutzt, um eine absolut mögliche Zukunft für ihr Nachbarland zu entwerfen.
»Mein Buch handelt von Macht und davon, wie sie funktioniert. Die fundamentalistische Rechte ist das Banner unter dem am ehesten sich irgendwelche Leute formieren könnten, die eine solche Machtergreifung anstreben.«
Schlöndorff war nicht glücklich mit seinem Film. Kurzfristig für den gefeuerten Karel Reisz angeheuert, wurde er mit einem Drehbuch konfrontiert, von dem sich ein wiederum frustrierter Harold Pinter selbst derartig distanzierte, dass er seinen Namen von den Filmcredits streichen lassen wollte. Unschlüssig zwischen einem feministischen Drama über Unterdrückung und Selbstermächtigung und einem sexuell aufgeladenen Thriller, ist der Streifen derartig gefloppt (auf der Berlinale soll er ausgebuht worden sein), dass auch der Regisseur sich rückblickend distanziert hat.
„Ich schob diese Auftragsarbeit ein, um Geld zu verdienen. Keine sehr gute Idee, wie sich herausstellte, denn diese Geschichte der Dienerin lag mir nicht…“
Volker Schlöndorff nach Thilo Wydra, 1998 – Zitiert aus der Wikipedia
Leider habe ich den Roman von Margaret Atwood selbst nie gelesen, so kann ich mich nicht auf einen Vergleich zwischen den Werken einlassen. Vielleicht ist das aber auch gut so, erlaubt es mir doch den Film so zu sehen, ohne dazu eine Leseerfahrung im Kopf zu haben. Für eine ungetrübte Kinoerfahrung ist das ja grundsätzlich keine schlechte Voraussetzung.
Und, ja, grundsätzlich ist der Film nicht so schlecht, wie er gemacht wurde. Auch wenn es kein Leichtes ist, mit dem Wissen von heute, der langen und erfolgreichen Karriere der großen feministischen Autorin Atwood, der weltweit die Literaturpreise nur so zu Füßen gelegt wurden, der ebenso langen und nicht minder preisgekrönten Karriere des großen deutschen (Literatur-)Filmkünstlers und einer aktuellen Monster-Serie auf den Streamingkanälen, darüber ein „neutrales“ Urteil zu fällen.
Dem großen deutschen Kritikerpapst Karasek stand all dieses Wissen noch nicht zur Verfügung. Und doch kann ich seine Kritik auch 35 Jahre später noch nachvollziehen:
Volker Schlöndorff, einst einer der Schrittmacher des neuen deutschen Films, ist ein amerikanischer Regisseur geworden. Er hat diesem Umstand im Vorspann einen Umlaut geopfert, sonst aber als Schlondorff nur gewonnen:
Sein Film »Die Geschichte der Dienerin« hat die Tugenden Amerikas, Weltläufigkeit und vor allem eine stupende Professionalität, ohne sich dafür die Laster des Neuen Hollywood, Oberflächlichkeit und lärmende Gigantomanie, einzuhandeln. Dabei hätten diese Gefahren nahegelegen, denn die »Geschichte der Dienerin«, nach dem Parabel-Roman der Kanadierin Margaret Atwood, ist ein filmischer Blick in die Zukunft, und den verstellt sich das US-Kino besonders gerne mit feuerspeienden Maschinen und glamouröser Kulisse; mit anderen Worten: Man haut gern auf den (George) Lucas.
Nichts davon bei Schlöndorff. Seine Zukunft ist nur leicht, aber darum um so beängstigender, gegenüber der Gegenwart verschoben. Es ist ein Amerika von heute, mit trostlosen Slumwüsten und wunderbar weißen Suburbs von klinischer Frische, über deren Gärten und Villen Suchscheinwerfer streifen, in permanenter Angst vor unsichtbaren Feinden. (…)
Der feministische Alptraum träumt im Morgen das Heute. (…)
Sehenswert!
Dieser Beitrag erschien zuerst am 25.03.2025. Permalink: https://nexxtpress.de/b/bed
Inhaltswarnung: Der Film, obwohl freigegeben ab 16 Jahren, enthält drastische Darstellungen von Gewalt, insbesondere sexueller Misshandlung und Missbrauch von Frauen, die für junge oder empfindsame Zuschauer:innen nicht geeignet sind!
Drama, USA, 1990, FSK: ab 16, Regie: Volker Schlöndorff, Buch: Harold Pinter, Produktion: Daniel Wilson, Musik: Ryūichi Sakamoto, Kamera: Igor Luther, Schnitt: David Ray, Mit: Natasha Richardson, Faye Dunaway, Robert Duvall, Aidan Quinn, Elizabeth McGovern, Victoria Tennant, Blanche Baker, Traci Lind, Lucia Hartpeng, Lucille McIntyre, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe
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