Ich geb’s zu: Ich stehe kurz davor, das Genre „deutsche Comedy“ endgültig aufzugeben. Irgendwann zwischen dem dritten groben Kalauer in einer Sat1-Sketchshow und der ersten Folge von „Smeilingen“ in der ARD hatte ich das Gefühl, dass Humor heute nur noch zwischen Grimasse und Dauerironisierung pendelt. Und heute – an einem verregneten Dienstag, als die Mediathek eigentlich mal wieder keinen Trost versprach – stolperte ich zurück: „Fast wia im richtigen Leben“. Und plötzlich war alles wieder da. Der Witz. Der Schmerz. Das Leben.
Ich meine, wann haben wir zuletzt gesehen, wie ein Sketch mit einem simplen Tisch, zwei Darsteller:innen und einem konsequent durchgezogenen Dialekt mehr über unsere Gesellschaft sagen kann als zehn Autor:innen-Teams bei Netflix mit Millionenbudget?
Gerhard Polt und Gisela Schneeberger, das war kein Fernsehen, das war Feldforschung. Nur halt auf Bairisch. Und zwar einem, das so schneidet wie ein scharfes Taschenmesser eine Brotzeit aus dem Wanderrucksack.
Damals, als der Humor noch sitzen blieb
Ich bin mit „Fast wia im richtigen Leben“ aufgewachsen. Also fast. Denn das lief in den 80ern, und da war ich recht bald schon volljährig. Aber ich hab‘ gelacht. Nicht so ein „Ha-ha, das war lustig“-Lachen, sondern dieses stille, erkennende Lachen, das tief aus dem Bauch kommt oder aus der Erkenntnis. Weil ich gespürt habe: Das ist alles wahr. Das bin ich. Oder mein Nachbar. Oder die Frau an der Fleischtheke. Oder der Typ am Stammtisch, der immer ein bisschen zu laut und zu selbstsicher ist, obwohl er keine Ahnung hat.
Ich verstand erst später, was ich da eigentlich gesehen hatte. Als ich vor ein paar Wochen in einem Kantinengespräch den Polt erwähnte und meine Gegenüber meinte: „Wer?“ – da wusste ich, wir sind verloren. Deshalb schreibe ich das hier.
Eine Szene sagt mehr als 10 Serien
Nehmen wir zum Beispiel diese brillante Szene: Polt spielt einen eifrigen Vereinsvorsitzenden, der voller Inbrunst über die „Probleme“ mit „Ausländern“ spricht – und sich dabei um Kopf und Kragen redet, während er glaubt, besonders differenziert zu argumentieren. Schneeberger sitzt daneben, nickt, schweigt – und sagt in drei Blicken mehr über Mitläufertum als so manche Doku über 90 Minuten.
Das ist das Meisterhafte an dieser Comedy: Sie braucht keinen Erklärbär. Keine eingeblendete Moral. Kein „Das war Satire!“-Schild. Das Publikum wird ernst genommen. Und das macht’s so brutal – und so gut.
Und heute? Na ja…
Natürlich will ich hier keine große Kulturkritik lostreten, obwohl ich es verdient fände. Aber wenn ich mir anschaue, was heutzutage so als „Sketch-Comedy“ verkauft wird, dann fühle ich mich wie ein Gourmet bei McDonalds. Neulich lief in der ARD „Smeilingen – Ein Dorf wie Du und Ich“. Haben Sie das gesehen? Ich will ja nicht als kultureller Snob auffallen, aber….
Schon der Titel klingt wie ein Brainstorming-Ergebnis nach drei Hugo im Programmleitungskreis. Und der Inhalt? Wenn „Fast wia im richtigen Leben“ ein feiner chirurgischer Skalpell-Schnitt in die deutsche Seele ist, dann ist „Smeilingen“ das humoristische Äquivalent einer stumpfen Nagelschere im Dunkeln – trifft selten, und wenn, dann blutet’s ausgerechnet da, wo’s richtig peinlich ist.
Ich habe mir nur die erste Folge angesehen. Oder sagen wir: Ich habe es versucht. Zwischen Pappkulissen und überdrehten Dialekten, die eher nach Sprecherziehung als nach Authentizität klangen, wurde mir klar: Da gibt es bei der ARD eine Redaktion, die will mir ernsthaft verkaufen, dass das lustig ist. Lachen musste ich nur über das Produktionsbudget. Und dann habe ich abgeschaltet und mich gefragt, ob die Chefin das vorher gesehen hat? Denn eigentlich wäre diese Produktion mehr als ein Anlass, schon wieder den Rücktritt von Frau Strobl zu fordern.
Warum wir Polt heute mehr brauchen denn je
Denn das ist der Punkt: „Fast wia im richtigen Leben“ ist nicht nur zeitlos, es ist heute so aktuell wie seit jeher. Weil sich die Menschen einfach nicht groß verändert haben. Wir haben vielleicht andere Apps, andere Debatten, andere Haarfarben und versuchen „woke“ zu sein – aber die Grundverwirrung, mit der wir durch die Welt stolpern, ist doch ganz dieselbe geblieben.
Nur: Heute wird sie versteckt unter Sprechblasen, ironischer Distanz und aufgesetztem Lächeln. Polt reißt diesen Deckel runter. Mit chirurgischer Präzision. Und Schneeberger ist dabei nicht bloß Sidekick, sondern die schweigende, oft viel mächtigere Kommentatorin des Ganzen. Ihre Rollen sind Paradebeispiele für subtilen weiblichen Witz, der überhaupt nicht laut sein muss, um doch durch Mark und Bein zu gehen.
Kein Retro, sondern Referenz
Ich weiß, was Sie jetzt denken: Nostalgiker-Alarm! Früher war alles besser! Nein. Früher war nicht alles besser – aber einiges war einfach verdammt gut. Und „Fast wia im richtigen Leben“ war nicht gut, weil es früher war, sondern weil es gut war. Punkt.
Diese Serie ist kein Retro-Häppchen für verklärte Medien-Omas und -Opas wie mich. Sie ist ein Referenzwerk. (Inter-)Nationales Kulturgut. Ganz so wie Loriot oder Monty Python. Und wenn Sie das nicht erkennen, haben Sie Comedy vielleicht einfach nicht verstanden. Das können Sie aber erlernen. Hier!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 27.05.2025.
Comedy, Satire, Bayern, 1979–1988, Von: Gerhard Polt, Hanns Christian Müller, Mit: Gerhard Polt, Gisela Schneeberger
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