Neil Jordan, Liam Neeson – „Marlowe“ (2022)

3.5
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Ich gebe es gerne zu: Ich habe eine ganz große Schwäche für Humphrey Bogart. „The Big Sleep“, „Der Malteser Falke“ – das sind für mich nicht nur ewige Klassiker, sondern Zeitkapseln, in denen Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend lebendig werden. Als ich las, dass Neil Jordan eine neue Interpretation von Raymond Chandlers legendärem Privatdetektiv wagt, war ich skeptisch – schließlich ist der Mythos „Marlowe“ in meiner Erinnerung schwarzweiß.



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Denn Raymond Chandler (1888-1959) war der ungekrönte König des Hardboiled-Krimis. Er hat nicht nur Marlowe erschaffen, sondern ein ganzes Genre geprägt, das zwischen Pessimismus und Poesie schwebt. Sein Philip Marlowe war nie nur ein Ermittler – er war auch Moralist und einsamer Ritter in einer Welt voller Schein und Intrigen. Es ging bei ihm immer weit weniger um die Handlung oder den Fall, als darum, wie Marlowe durch eine Welt der Lügen und gefährlicher Frauen navigiert. Und genau diese klassische Krimi-Figur hat der irische Autor John Banville schon 2014 für seinen Kriminalroman „Die Blonde mit den schwarzen Augen“ wieder aufgenommen.

Neil Jordan kennen wir für „The Crying Game“ (1992) oder „Interview mit einem Vampir“ (1994), ich habe ihn am meisten geliebt für „Mona Lisa“ (1986), seine eigentlich ganz kleine britische Gangsterballade. In seiner Verfilmung von Banvilles Roman als „Marlowe“ (2022) bringt er genau diese Handschrift ein: eine Mischung aus Melancholie und untergründiger Eleganz.

Liam Neeson als neuer Marlowe hat genau diese Ruhe – kein cooler Sprücheklopfer, sondern ein Mann, der in den Schatten lebt und sich dabei seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst ist. Das hat mir sehr gefallen, weil es diesem Marlowe eine Menschlichkeit gab, die ich so gar nicht erwartet hatte. (Leider ist seine deutsche Dialogregie etwas hölzern geraten, dem Text tut es aber keinen Abbruch.)

Diane Kruger als Clare Cavendish ist dabei ein perfekter Gegenpol: verführerisch, kühl, undurchschaubar. Jessica Lange als ihre Mutter, ein stilles Highlight – Hollywood-Glamour, aber ohne billigen Glanz. Für mich liegt in diesen Figuren und ihren gebrochenen Träumen der eigentliche Zauber des Films. Jordan und sein Kameramann Xavi Giménez haben das alles in wunderschöne, nostalgische Bilder gegossen: warme Farben, verrauchte Bars, schummrige Hinterhöfe – eine Welt, in der die Grenzen zwischen Lüge und Wahrheit verschwimmen.

In diesen Momenten erinnert „Marlowe“ an die großen Regisseure des klassischen Noir: Howard Hawks, der „The Big Sleep“ so elegant in Szene setzte, oder John Huston, der mit „The Maltese Falcon“ den Prototypen für überhaupt alle Detektivgeschichten geliefert hat. Jordan und sein Autor John Banville verneigen sich tief vor diesen Meistern – ohne sie zu imitieren.

Ich verstehe die Kritiken, die „Marlowe“ vorwarfen, mehr ein stilvolles Zitat als ein spannender Krimi zu sein. „Variety“ nannte den Film „elegant, aber leblos“, und auch der „Hollywood Reporter“ hat bemängelt, dass die Geschichte nicht genug Drive habe. Da ist schon was dran. Die Handlung spielt in 1939 – Marlowe soll einen vermissten Liebhaber finden, gerät in ein Netz aus Intrigen und Lügen – und ist eher Vorwand als Motor der Geschichte. Sie interessiert mich auch weniger als die Stimmung, die großartige Musik (David Holmes) und, immer wieder, die leisen Blicke zwischen den Figuren.

Gerade diese Konzentration auf die Atmosphäre war ein Risiko, das Neil Jordan eingegangen ist. Denn in unserer Zeit, in der das Kino von Explosionen und Superheld:innen aus der CGI-Retorte dominiert wird, so konsequent einen altmodischen Noir zu inszenieren, war mutig. Jordan liefert keinen ironischen Meta-Kommentar, er versucht auch nicht, das Genre radikal neu zu denken. Er lässt die Figuren atmen, nimmt das Tempo raus – das hat was Beruhigendes, gerade weil es so altmodisch wirkt.

Ich mochte „Marlowe“ sehr dafür, dass er sich eben nicht anbiedert. Dass er nicht versucht, etwa ein Chandler-Film für die Generation-Netflix zu sein, sondern seiner eigenen Melancholie treu geblieben ist. Liam Neeson spielt das mit einer stoischen Eleganz, die mich wirklich daran erinnert hat, wie sehr ich diese Noir-Welt geliebt habe, die zu meiner Zeit ja auch schon das Echo einer fernen Vergangenheit war: das Flackern der Neonlichter, das Rascheln von Zigarettenpapier, die Melancholie eines Jazz-Stücks, der Whisky nach Mitternacht. Im Grunde, bis heute, mein Inbegriff von „Cool“.

„Marlowe“ ist sicher kein großes oder geniales Meisterstück – mehr ein kleines skurriles Alterswerk -, doch ist es ein Film, der mich wie eine alte Jazzplatte begeistern konnte: hart, melancholisch, schön, manchmal etwas spröde. Sicher nichts für alle. Aber für mich:

Eine nostalgische Zeitreise.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 10.06.2025.



Krimi, Irland, Spanien, Frankreich, USA, 2022, FSK: ab 12, Regie: Neil Jordan, Drehbuch: William Monahan, Neil Jordan, Produktion: Mark Fasano, Patrick Hibler, Billy Hines, Philip Kim, Gary Levinsohn, Alan Moloney, Musik: David Holmes, Kamera: Xavi Gimenez, Schnitt: Mick Mahon, Mit: Liam Neeson, Diane Kruger, Jessica Lange, Adewale Akinnuoye-Agbaje, Colm Meaney, Daniela Melchior, Alan Cumming, Danny Huston, Seána Kerslake, François Arnaud, Ian Hart, Patrick Muldoon, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF



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