Ariel Vromen, Kevin Costner – „Das Jerico Projekt“ (2016)

Hier begegnen sich Science-Fiction, Spionagethriller und Psychodrama auf eine Weise, die fasziniert, weil sie unkonventionell ist. Der Film ist aus 2016 – moralische Fragen und technologischer Nervenkitzel haben in die Zeit gepasst. Was macht einen Menschen aus? Ich gebe zu: zwischendurch habe ich zwar das eine oder andere Mal den Faden verloren – hatte ein starkes Kopfschmerzgefühl – am Ende war ich ziemlich zufrieden.



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Ariel Vromen, geboren 1973 in Tel Aviv, ist ein eher ungewöhnlicher Name in der Hollywood-Landschaft. Er studierte ursprünglich Rechtswissenschaften in Israel und arbeitete parallel als DJ – eine Kombination, die seinen späteren Stil vielleicht mehr geprägt hat, als wir auf den ersten Blick annehmen mögen. Sein Durchbruch kam 2012 mit dem düsteren Thriller „The Iceman“ (2012), mit Michael Shannon als einem eiskalten Auftragskiller. Offensichtlich hat der Regisseur also Vorlieben für psychologisch komplexe Figuren und moralische Ambiguitäten. Denn genau das bekommen wir auch hier.

Vromen interessiert sich fast überhaupt nicht für klassische Helden. Seine Figuren sind gebrochen – Menschen, deren Gewaltbereitschaft und Verletzlichkeit eng beieinanderliegen. Seine Filme stehen im Spannungsfeld zwischen innerem Chaos und äußerer Kontrolle – genau das ist in „Das Jerico Projekt“ (2016) zentrales Thema.

2016 befand sich die Welt schon im Griff globaler Verwerfungen, Trump wurde zum ersten Mal Präsident und versprach „Fire & Fury“. Eine Reaktion darauf: Überwachung und globale digitale Kontrollmechanismen. „Das Jerico Projekt“ greift den Zeitgeist auf – mit einem Plot, in dem die Erinnerungen eines toten CIA-Agenten (Ryan Reynolds) in das Gehirn eines zum Tode verurteilten Kriminellen (Kevin Costner) übertragen werden, um eine nukleare Katastrophe zu verhindern. Seine Antagonisten: ein durchgeknallter Tech-Bro, der die Welt untergehen sehen will, „die Russen“ und die CIA – also eigentlich: alle. Begriffen habe ich davon längst nicht alles.

Was sich liest wie ein gut abgehangener B-Movie-Stoff, wird in Vromens Inszenierung zu einer ziemlich düsteren Parabel über die Fragilität der Identität. Wer sind wir, wenn unsere Erinnerungen nicht mehr unsere eigenen sind? Und kann ein Mensch durch fremde Gefühle wirklich „neu“ werden?

Der Score stammt vom isländischen Komponisten Brian Tyler („Iron Man 3“ (2013), Fast & Furious 3″ (2016)) dem es wirklich fantastisch gut gelingt, das Spannungsfeld zwischen Technologie-Thriller und emotionalem Drama in Sound zu übersetzen – oder war Vromen der DJ? Seine Musik ist modern, wuchtig und streckenweise fast melancholisch. Besonders in Szenen, in denen sich Jericos Gewalttrieb mit den Erinnerungen des verstorbenen CIA-Agenten vermischt, drückt die Musik genau die Ambivalenz aus, die den Film zu etwas Besonderem macht.

Die größte Überraschung des Films: Kevin Costner – bis dahin wahrscheinlich nicht der übertalentierteste Schauspieler seiner Generation – sonst oft als charismatischer Held besetzt, spielt hier einen gefährlichen, fast animalischen Mann völlig ohne Gewissen – zumindest zu Beginn. Seine Entwicklung vom instinktgetriebenen Kriminellen zum ambivalenten Helden ist erstaunlich glaubhaft gespielt und verleiht dem Film eine echte emotionale Tiefe.

Eher zurückhaltend, ja schüchtern kommt Gal Gadot daher, die kurz darauf als „Wonder Woman“ (2017) weltberühmt werden sollte. Sie spielt die Witwe des toten Agenten – und ist gewissermaßen das emotionale Zentrum des Films. Ihre Szenen mit Costner sind intensiv und fast leise. Kann Erinnerung auch Empathie schaffen?

Gary Oldman als CIA-Boss, gibt quasi das Spiegelbild zu Jerico. Sein moralischer Kompass, soweit existent, erodiert im Laufe des Films zunehmend. Wo der Kriminelle Empathie entwickelt, wird der Agent zum Technokraten. Oldman kann sowas sehr routiniert wegspielen. Macht er hier auch wieder.

Tommy Lee Jones, an dem Mann kann ich mich kaum satt sehen, besonders an seiner stoischen Ernsthaftigkeit. Er gibt dem Science-Fiction-Element des Films tatsächlich fast eine glaubwürdige Erdung – als Mittäter fragwürdiger Praktiken und ethischer Beobachter des Geschehens.

Und schließlich Ryan Reynolds: Seine Rolle ist eigentlich nur sehr kurz, aber zentral: Als CIA-Agent Pope ist er der „Geist“, der Jerico heimsucht. Seine Auftritte – meist in Flashbacks – kontrastieren Costners physische Präsenz. Trotz nur sehr begrenzter Screentime, faszinierendes Konzept, bleibender Eindruck.

„Das Jerico Projekt“ ist nicht makellos – an manchen Stellen wirkt der Plot doch arg konstruiert, und nicht alle Nebenfiguren bekommen die Tiefe, die sie verdienen hätten. Doch der Film bietet spannende Denkanstöße, eine wirklich ungewöhnliche Figurenentwicklung und einen souveränen Cast. Ariel Vromen gelingt es, in einem traditionellen Thriller eine vielschichtige Geschichte über Identität, Erinnerung und Moral zu erzählen – ohne uns für viel dümmer zu halten, als wir sind…

Das ist – verdammt – eine Menge!

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 15.06.2025.


Inhaltswarnung: Der Film enthält explizite Gewaltdarstellungen, darunter Folter, physische Übergriffe und tödliche Schusswaffengewalt. Es gibt Szenen psychischer Manipulation, medizinisch-invasive Eingriffe am Gehirn sowie Darstellungen von Kontrollverlust über Körper und Bewusstsein. Themen wie Tod, Verlust, Trauma und Identitätsauflösung werden zentral verhandelt. Die Handlung ist emotional intensiv und kann für Zuschauer:innen mit sensibler psychischer Verfassung belastend wirken.



Thriller, USA, Großbritannien, 2016, FSK: 16, Regie: Ariel Vromen, Drehbuch: Douglas S. Cook, David Weisberg, Produktion: Chris Bender, Christa Campbell, Mark Gill, Matthew O’Toole, J. C. Spink, Jake Weiner, Musik: Brian Tyler, Keith Power, Kamera: Dana Gonzales, Schnitt: Danny Rafic, Mit: Kevin Costner, Gary Oldman, Tommy Lee Jones, Ryan Reynolds, Jordi Mollà, Gal Gadot, Michael Pitt, Amaury Nolasco, Alice Eve, Antje Traue, Scott Adkins, Robert Davi, Steven Brand, Colin Salmon, Natalie Burn, David Avery, Gisella Marengo, Fediverse: @filmeundserien, @3sat



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  1. Avatar von ᑭᗩᔕᔕEᑎGEᖇ
    ᑭᗩᔕᔕEᑎGEᖇ

    @mediathekperlen

    Ich hatte den Film vor ewigen Zeiten mal geladen. Dann ist er monatelang ungesehen auf der SSD gelegen. Als ich ihn mir dann angesehen hatte, habe ich mich gefragt, warum ich den nicht schon früher angesehen habe.
    🤪

    Was macht einen Menschen wirklich aus ?

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    1. Avatar von Mediathekperlen

      Sorry, jetzt muss ich aber laut lachen! 🤣 Den Beitrag habe ich wohl schon im Februar(?) geschrieben. Da lief der Film zuletzt (im ZDF?), war aber nur noch 2 Tage verfügbar. Auf meiner Platte lag er wohl schon seit 2023. (Die ungesehenen Filme machen bei mir allein 762 GiB aus. Ich bin ein echter Mediathek-Messie.)

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