Paul Greengrass, Tom Hanks – „Captain Phillips“ (2013)

Mit dem Label „Action-Thriller“ wird so mancher Film vermarktet, der eigentlich in seiner Natur eher etwas ganz anderes ist. In diesem Geiseldrama ist es nicht die „Action“, derer wegen sich das Anschauen lohnt, sondern die psychologische Dimension der Handlung. Hier kämpft Armut gegen Globalisierung und Tom Hanks gibt einmal mehr keinen Helden, sondern einen Überlebenden.



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Paul Greengrass kann erstklassiges Action-Kino. Das hat er mit seinen Beiträgen zur Jason-Bourne-Saga ausführlich bewiesen. Er kann aber auch auf dem feinen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion balancieren, was ihn mit dem halbdokumentarischen „Bloody Sunday“ (2002) auf die A-List jener Regisseure gesetzt hat, die „wahre Geschichten“ für die große Leinwand erzählen. Sein Film „22. Juli“ (2018) über die Anschläge des Massenmörders Breivik geht mir bis heute nicht aus dem Gedächtnis.

Wenn ich also den Regisseur kenne und dann Tom Hanks auf der Besetzungsliste sieht, wachsen meine Erwartungen fast automatisch. Weniger als anspruchsvolles Qualitätskino liefern diese Beteiligten in der Regel einfach nicht ab.

„Captain Phillips“ (2013) ist genau das: Qualitätskino, nach der wahren Geschichte der Maersk Alabama. Wer aber Action will – Schießereien, Explosionen, Helden – wird enttäuscht sein. Gut die Hälfte des Films verbringen die Figuren in der Enge eines Rettungsboots, irgendwo vor der somalischen Küste. Was hier entsteht, ist ein psychologisches Kammerspiel mit maximaler Anspannung.

Was ich dem Film, Regisseur Greengrass und Drehbuchautor Billy Ray hoch anrechne, ist nicht nur die intensive Inszenierung, sondern vor allem die Ernsthaftigkeit ihrer Figuren. Statt platte Gegensätze zwischen „bösen Piraten“ und dem „heldenhaften Amerikaner“ zu bedienen, gelingt ein Blick in soziale Realitäten: Die Piraten wirken nicht bösartig, sondern vor allem verzweifelt.

Tatsächlich ist die Region am Horn von Afrika – ebenso wie der gegenüberliegende Jemen – seit Jahrzehnten geprägt von kolonialen Altlasten, Stellvertreterkriegen und der Ausbeutung durch ausländische Akteure. „Ihr kommt mit euren Schiffen und fischt in unserem Meer…“ – dieser Satz im Film steht nicht nur sinnbildlich für den tiefen Frust über diese globale Ungleichheit.

In der Realität hat sich die Lage seither weiter zugespitzt: Im Jemen tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg, in dem sich Saudi-Arabien und der Iran gegenüberstehen. Die Huthi-Miliz greift gezielt Handelsschiffe im Roten Meer an – mehr als hundert wurden bereits attackiert, teils mit tödlichen Folgen. Internationale Militärmissionen wie „Aspides“ oder „Prosperity Guardian“ (sic!) sollen die Routen sichern – auch eine deutsche Fregatte war/ist vor Ort. Dennoch meiden viele Reedereien die Passage und nehmen den Umweg ums Kap der Guten Hoffnung – mit enormen Kosten und Umweltfolgen.

Der Film ist also eigentlich aktueller denn je. Und obwohl einige Kritiker:innen ihm einen Hang zum Pathos nachsagen oder die historische Genauigkeit anzweifeln – einige Crewmitglieder warfen Phillips später riskantes Verhalten vor –, bleibt Captain Phillips für mich ein starkes Stück Erzähl-Kino.

Weil er Haltung zeigt. Weil er sich weigert, einfache Feindbilder zu bedienen. Und weil er uns daran erinnert, wie eng wirtschaftliche Macht, geopolitische Interessen und menschliche Verzweiflung miteinander verwoben sind.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 16.03.2024.


Inhaltswarnung: Dieser Film enthält Darstellungen einer Geiselnahme, von psychischer Gewalt, Waffengebrauch und bedrohlichen Situationen in beengten Räumen. Der Film basiert auf realen Ereignissen und kann für Zuschauer:innen mit Erfahrungen von Gewalt oder traumatischen Stresssituationen belastend sein. Besonders die klaustrophobische Enge und die anhaltende Bedrohungslage können emotional intensiv wirken.



Drama, USA, 2013, FSK: ab 12, Regie: Paul Greengrass, Drehbuch: Billy Ray, Produktion: Scott Rudin, Dana Brunetti, Michael De Luca, Musik: Henry Jackman, Kamera: Barry Ackroyd, Schnitt: Christopher Rouse, Mit: Tom Hanks, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman, Faysal Ahmed, Mahat M. Ali, Michael Chernus, Catherine Keener, David Warshofsky, Corey Johnson, Chris Mulkey, Yul Vazquez, Max Martini, Omar Berdouni, Issak Farah Samatar, Mohamed Ali, Stacha Hicks, Will Bowden, Len Anderson IV, Azeez Mohammed, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF



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  1. Avatar von Ԏєηυкι, 手抜き🚀🐧♏ 🔭 ⚫⚪
    Ԏєηυкι, 手抜き🚀🐧♏ 🔭 ⚫⚪

    @mediathekperlen @filmeundserien @ZDF manchmal ist der erste Gedanke an alte Filme mit Hanks der beste für meine Favoritenrolle für ihn : Cast away – Gestrandet ( auf Insel wie Robonson Crusoe ) . Denn das verbindet sich mit meinem Hanks-Klassiker: Apollo13 . Jene Rolle , die er nur erhielt, weil Kostner ablehnte. Dieser sollte 👨‍🚀 J.Lovell nur wegen seine Ähnlichkeit spielen

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    1. Avatar von Mediathekperlen

      Ich liebe das Fediverse (und meinen Blog) auch dafür, dass es mir erlaubt jeden Tag was Neues zu lernen und ich muss dafür noch nicht mal auf einen Link klicken. Die Nummer mit Hanks/Costner kannte ich auch noch nicht! Unvorstellbar, Apollo 13 ohne Tom Hanks!? 🤯

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      1. Avatar von Ԏєηυкι, 手抜き🚀🐧♏ 🔭 ⚫⚪
        Ԏєηυкι, 手抜き🚀🐧♏ 🔭 ⚫⚪

        @mediathekperlen
        die Ähnlichkeit Costner zu Astronaut James Lovell ist schon signifikant. In der Mondkapsel hielt sich die Ähnlichkeit der anderen auch in Grenzen. Fred Haize – Bill Paxton ( Alien die Rückkehr) – ist so kantig während Swigert – Kevin Bacon – fast ein Milchgesicht hatte. Alle waren von Ron Howard genial , d.h unabhängig vom Aussehen besetzt. Ausnahme: Ed Harris als Gene Kranz. Fun Fact: James Lovell spielte als Cameo den Captain des Flugzeugträgers bei der Bergung der Kapsel.

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