Ein Film, der sich leise entfaltet. Wie ein Gespräch, das erst nach dem dritten Satz beginnt. „Die feige Schönheit“ von Moritz Krämer, geschrieben mit Saskia Benter Ortega, ist zurückhaltend, schüchtern fast, mit einer zarten Emotionalität, die sich dem direkten Zugriff entzieht und doch berührt. Vielleicht ist es dieser sanfte Widerstand gegen einfache Kategorisierung, die mich überhaupt an diesem Film interessiert hat, nachdem ich den Trailer gesehen habe.
Der Titel klingt wie ein Paradoxon, und das ist er auch. Die Schönheit in diesem Film ist keine glatte Oberfläche, sondern ein Vexierbild. Sie versteckt sich in kleinen Gesten, in unausgesprochenen Konflikten, im Schweigen. Und sie ist feige, weil sie sich nicht aufdrängt – keine große Geste, kein Melodrama. Stattdessen tastet sich der Film durch Zwischenräume, durch das, was nicht gesagt wird. Genau darin liegt seine Kraft. Ich wollte das sehen!
Moritz Krämer, bislang vor allem als Musiker bekannt, inszeniert mit bemerkenswertem Gespür für Rhythmus und Intimität. Gemeinsam mit Saskia Benter Ortega gelang ihm eine Erzählung, die mehr über Atmosphäre als über Handlung funktioniert. Ihr Drehbuch ist poetisch und präzise zugleich – eine Seltenheit. Es ist ein Film, der spürbar im Dialog entstanden ist. Zwischen Menschen, die sich sehr gut zuhören.
Die Geschichte erzählt eine universelle Angst, die uns alle immer wieder begleitet: Dass etwas Geschehenes nicht rückgängig gemacht werden und danach keine Versöhnung stattfinden kann. Wenn etwas schiefläuft, wird man aus dem Paradies vertrieben. Atomare Kriege brechen aus, ein Virus rafft alle dahin, der Planet erstickt am CO2. Wer verzeiht, rettet nicht die Welt, aber lässt hoffen, dass wir gut sind. Die Protagonisten stehen im Nebel. Sie kämpfen mit sich selbst und ihrer Existenz. (…)
– Moritz Krämer, Pressemappe ZDF
Inspiriert wurden wir bei der Stoffentwicklung von Filmen wie „Waves“ oder „Moonlight“, die den Fokus auf die Innenwelten der Protagonisten lenken. In „Mid90s“ sind uns die Dialoge, der Umgang mit der Jugendsprache und die Gruppendynamik Inspiration gewesen. Unsere Protagonist*innen handeln, ähnlich wie bei den Figuren in den Filmen der Dardenne Brüder, aus einer körperlichen Aktion und Impulsivität heraus.
Besetzt ist der Film mit Laien und Schauspielern. Die Skate-Crew in unserer Geschichte besteht vor allem aus Skater*innen der queeren Crew VUM. Sie erschaffen sich als Crew sichere Räume, in denen sie in einem männlich dominierten Umfeld skaten können. (…) „Skateboarding is about being stupid“, hat Pascale bei einer Probe gesagt. Wer krass ist und geile Tricks zeigt, ist dabei, egal in welcher Crew. Durchlässigkeit gibt es nur für Skills.
Was mich beeindruckt hat, ist, wie politisch dieser Film wirkt – nicht durch große Themen, sondern durch seine Entscheidung für Zärtlichkeit und Ambivalenz. Die Figuren des fantastischen Casts – vorwiegend aus Amateurdarsteller:innen und wenigen Profis (darunter Melika Foroutan) – werden nie vorgeführt, nie verraten. Auch wenn sie sich verlieren oder scheitern, bleibt die Kamera auf Augenhöhe. Dieser Respekt zieht sich durch jede Szene.
Formal erinnert vieles an den traditionellen Naturalismus des europäischen Kinos, wirkt aber nie nachgemacht. Die Bildsprache ist zurückgenommen, fast dokumentarisch, aber durchdacht. Räume, Blicke, Körper – alles hat Bedeutung, ohne aufgeladen zu sein. Und immer wieder entstehen magische Momente der Nähe, in denen ich fast das Gefühl hatte, selbst Teil der Szene zu sein.
Insbesondere die VUM Skatecrew eint unterschiedliche Backgrounds; sie stammen aus den USA, den Niederlanden, Afghanistan und Frankreich und identifizieren sich als queer femme Skatecrew. Ihr Ziel ist es, gemeinsam eine gute Zeit zu haben, Videos zu drehen, neue Tricks zu lernen und vor allem für Sichtbarkeit und Akzeptanz zu kämpfen, denn die Skaterszene ist bis heute eher männlich dominiert. Die persönlichen Geschichten, die sie mitbringen, finden insbesondere durch die Einbindung von selbst gedrehtem Skatevideomaterial Einzug in den Film.
– „Die feige Schönheit“ – TV Tipps, Queer.de
Wohltuend ist der Verzicht auf jede Dominanz. Figuren stehen an Schwellen, sind unentschieden. Der Film bleibt in dieser Unsicherheit – und traut dem Publikum zu, es auch zu tun. Für mich hat das etwas Befreiendes. Statt Lektionen zu erteilen, lädt „Die feige Schönheit“ zum Zuhören ein. Das ist selten. Und berührend.
Die Dialoge wirken fast nie geschrieben, sondern vielmehr wie Bruchstücke echter Gespräche – zögerlich, scharf, ehrlich. Die Autor:innen vertrauen ihren Figuren. Sie dürfen widersprüchlich und verletzlich sein – und genau deshalb sind sie so nahbar.
„Die feige Schönheit“ ist ein Film für den zweiten Blick. Für Leute, die bereit sind, sich berühren zu lassen, ohne erklären zu müssen, warum. Für mich war es wie ein Spaziergang auf vertrautem Gelände, bei dem plötzlich ein neuer Weg auftaucht – unscheinbar, aber interessant genug. Ich bin ihm gefolgt.
Und ich werde gerne wiederkommen.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 21.06.2025.
Inhaltswarnung: Der Film thematisiert einen tragischen Unfall, psychische Krisen, depressive Verstimmungen, familiäre Überforderung sowie zwischenmenschliche Entfremdung. Er enthält Szenen emotionaler Instabilität, Rückzug und sprachloser Konflikte. Vereinzelte Darstellungen könnten für Menschen mit Erfahrungen in diesen Bereichen belastend wirken. Es gibt keine explizite Gewalt, aber eine dichte emotionale Atmosphäre und implizite seelische Grenzerfahrungen.
Das kleine Fernsehspiel, Deutschland, 2025, FSK: ab 12, Regie: Moritz Krämer, Drehbuch: Saskia Benter Ortega, Kamera: Greta Isabella Conte, Schnitt: Evelyn Rack, Ton: Camilo Garcia Castro, Moritz Zuchantke, Musik: Moritz Krämer, Szenenbild: Paul Schille, Olga Gredig, Kostüme: Wiebke Christin Lebus, Produzent: Jost Hering, Mit: Pascale Numan, Sira-Anna Faal, Lea Meny, Melika Nazari, Marine Bourdais, Ludwig Schubert, Max Hubacher, Melika Foroutan, Manolo Bertling, Lasse Berg, Theodor Pühs, Bea Brocks, Yasin El Harrouk, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF
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