Vielleicht der am meisten unterschätzte Film in Quentin Tarantinos Filmografie – und einer der unbequemsten. Ich habe ihn erst lange ignoriert, abgetan als stilisierte Gewaltorgie ohne Tiefgang. Doch beim Wiedersehen hat er sich mir ganz anders gezeigt: als wütender, feministischer Rachefilm, der den männlichen Blick nicht einfach nur spiegelt, sondern seziert – und schließlich vernichtet…
Tarantino hat „Death Proof“ 2007 als Teil eines Grindhouse-Double-Features mit Robert Rodriguez’ „Planet Terror“ ins Kino gebracht, eine Hommage an das Exploitationkino der 1970er-Jahre. Dass diese Hommage so detailverliebt ausfällt – mit Filmrissen, Zelluloid-Patina, abrupten Schnitten und Fake-Trailern – ist Teil des Konzepts, aber auch ein doppeltes Spiel: Tarantino tut so, als würde er sich nostalgisch verneigen, dabei montiert er diese Trash-Ästhetik zu einem Kommentar über männliche Gewaltfantasien und die Macht filmischer Bilder.
Im Zentrum steht Stuntman Mike, gespielt vom zutiefst beunruhigenden Ex-Disney-Star Kurt Russell. Ein Haudegen, der sich unter dem Deckmantel des Coolen an jungen Frauen festklammert, sie ausspäht, verfolgt – und schließlich mit seinem „death proof“-getunten Muscle Car zur Strecke bringt. Die ersten 45 Minuten dieses Films sind wirklich schwer auszuhalten. Nicht, weil die Gewalt so explizit wäre – sie ist es, aber spät –, sondern weil Tarantino das männliche Starren, das Herumschleichen, das „Ich bin doch nur charmant“-Gewaber so exakt inszeniert. Jede Einstellung ist durchtränkt von sexualisierter Macht. Wir folgen Mike, weil die Kamera ihm folgt. Weil das Kino das eben immer so gemacht hat.
Doch dann, plötzlich, dreht sich alles. Im zweiten Teil des Films, der einer neuen Gruppe von Frauen folgt – darunter Stunt-Frau Zoe Bell als sie selbst –, kippt der Ton. Die Gespräche bleiben lang, die Kamera bleibt nah, aber etwas ist deutlich anders: Diese Frauen sind nicht länger Objekte, die durch den Plot geschleust werden. Sie sind Subjekt, sie agieren, sie fahren selbst – buchstäblich! Was wie ein weiteres Kapitel im immergleichen Gewaltmärchen aussieht, entpuppt sich als seine Dekonstruktion. Tarantino gibt den Frauen das Steuer – und sie fahren zurück. Mit aller Wucht und tödlicher Konsequenz.
Ich habe selten einen Film gesehen, der so genüsslich, so triumphierend mit dem männlichen Gewaltmythos bricht. Mike, der Jäger, wird zur Beute. Die letzte halbe Stunde ist ein reines Adrenalinballett – handgemacht, wie es sich gehört –, das Gewalt nicht etwa als Selbstzweck feiert, sondern als Befreiungstat. Als es vorbei ist, kommt kein Abspann. Nur ein einziger, befreiender Moment. Die Kamera bleibt stehen. Der Spuk ist vorbei.
Natürlich blieb Tarantino auch hier Tarantino. Seine Dialoge sind geschliffen, selbstverliebt, manchmal zu lang, oft brillant. Er inszeniert Füße, als wären sie sakrale Objekte – was spätestens nach fünf Filmen eine inzwischen wirklich ermüdende Obsession ist. Und dennoch: „Death Proof“ wirkt in seiner Radikalität ehrlicher als vieles, was danach kam. Er ist nicht so smart wie „Pulp Fiction“ (1994), nicht so ausgefeilt wie „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019) (Blog), aber er ist direkter. Und wirklich radikal politisch.
Hier zeigt sich, wie tief Tarantino das Genre versteht – und wie sehr er es hasst. Bitte kein Missverständnis: „Death Proof“ ist kein Empowerment-Kino mit Wohlfühlsiegel! Aber der Film ist wahnsinnig unbequem, weil er die Zuschauer:innen zwingt, ihre eigene Sehgewohnheit zu hinterfragen. Wer genießt hier was, und warum? Wer darf zuschauen, wer wird angeschaut – und was passiert, wenn dieses Verhältnis umgekehrt wird?
Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Film über Muscle Cars, Gewalt und schweißtreibende Kneipenszenen so erwischen würde. Doch genau das hat „Death Proof“ geschafft. Weil er sich nicht entscheidet, ob er Trash oder Kritik sein will. Weil er beides ist – und darin eine sehr komplexe Wahrheit über Macht, Geschlechter und das Kino erzählt.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 22.06.2025.
Inhaltswarnung: Der Film enthält explizite Darstellungen physischer Gewalt, insbesondere gegen Frauen. Der Film thematisiert sexualisierte Bedrohung, psychologischen Terror, Stalking und tödliche Übergriffe, die im Kontext patriarchaler Machtfantasien inszeniert und kritisch reflektiert werden. Zuschauer:innen können durch die expliziten Gewaltdarstellungen, den voyeuristischen Blick und die intensive Atmosphäre emotional stark belastet werden.
Action, Thriller, USA, 2007, FSK: ab 16, Regie: Quentin Tarantino, Drehbuch: Quentin Tarantino, Produktion: Elizabeth Avellan, Robert Rodriguez, Erica Steinberg, Quentin Tarantino, Kamera: Quentin Tarantino, Schnitt: Sally Menke, Mit: Kurt Russell, Rosario Dawson, Vanessa Ferlito, Jordan Ladd, Sydney Tamiia Poitier, Quentin Tarantino, Rose McGowan, Tracie Thoms, Mary Elizabeth Winstead, Zoë Bell, Omar Doom, Eli Roth, Marley Shelton, Michael Parks, Fediverse: @filmeundserien
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