Es gibt Filme, die mit einem kulturellen Erdbeben verwechselt werden könnten, dabei sind sie bloß Jugendgeschichten – bloß Musik, bloß Tanz, bloß erste Liebe. Und doch hallen sie nach, gerade weil sie mit so viel Naivität gegen die starre Welt anrennen. „Footloose“ von Herbert Ross, erschienen 1984, ist genau so ein Film.
Verstehen Sie mich bloß richtig. Ich war damals 19, dachte ich sei ein Mann und hatte nicht wirklich eine Ahnung vom Leben. Aber mit Musik haben sie mich damals immer leicht ins Kino bekommen. Und wenn ich heute, 40 Jahre später, zurückblicke, dann weiß ich, warum ich diesen Film immer sehr viel lieber mochte als „Dirty Dancing“ (1987) oder „Flashdance“ (1983), die fast zur gleichen Zeit die Charts dominiert haben, dass es einfach kein Entkommen gab. Weil „Footloose“ (1984) etwas riskiert hat, was die anderen nur dekorativ ausstellen: echten Widerstand.
Natürlich sind alle drei Filme Teil einer Ära, in der Tanz nicht bloß Ausdruck war, sondern Ausbruch – aus rigiden Geschlechterrollen, konservativen Elternhäusern, eng geschnürten Lebenswegen. Wir sahen den kleinen Schwestern und Brüdern Travoltas beim Erwachsenwerden zu. „Dirty Dancing“ hat seine politische Dimension in romantischer Nostalgie verkleidet , „Flashdance“ hat aus weiblicher Selbstermächtigung ein erotisches Schaulaufen gemacht. Aber „Footloose“ hat rebelliert. Der Film hat revoltiert gegen ein System, das alles Lebendige verbieten wollte, gegen die Angst vor dem Unbekannten, gegen eine gottgesättigte Ordnung, die sogar das Tanzen für Teufelswerk hielt.
„From the oldest times, people danced for a number of reasons. They danced in prayer, or so their crops would be plentiful. They danced to stay physically fit and show their community spirit. And they danced to celebrate. And that’s the dancing we’re talking about. Aren’t we told in Psalm 149: ‚Let them praise His name with dancing‘? And Ecclesiastes assures us that there is a time to every purpose under heaven – a time to laugh, and a time to weep, and a time to mourn – and there is a time to dance. And there was a time for this law, but not anymore. See, this is our time to dance. It’s our way of celebrating life. That’s the way it was in the beginning, that’s the way it’s always been. That’s the way it should be now.“
– Filmzitat (Ren McCormack)
Kevin Bacon, damals noch fast ein unbeschriebenes Blatt, spielt Ren McCormack, einen Teenager aus Chicago, der mit seiner Mutter in eine US-amerikanische Kleinstadt zieht, in der Tanz verboten ist. Kein Witz – und keine Parodie. Dieses Verbot beruht auf einem tragischen Unfall, nach dem der lokale Pastor (beeindruckend verkörpert von John Lithgow) das öffentliche Leben moralisch einfrieren will. Ren, der Außenseiter, beginnt, dieses Gesetz zu hinterfragen, es herauszufordern, mit Worten, mit Musik, mit seinem Körper. Und genau das macht den Unterschied: Der Film inszeniert Tanz nicht als ornamentale Sequenz, sondern als politische Handlung.
Während sich Jennifer Beals in „Flashdance“ durch einen Schweiß- und Sexfilter kämpft, um als Tänzerin anerkannt zu werden, und Baby in „Dirty Dancing“ sanft in die Rolle einer rebellischen Tochter gleitet, kämpft Ren mit jeder Bewegung gegen eine reale und greifbare Repression. Es ist keine Metapher, dass er in einer Scheune tanzt, bis der Staub fliegt und die Balken knarren. Es ist ein Akt des physischen Widerstands.
Es berührt mich heute noch, wie dieser Film damals schon Männlichkeit neu gedacht hat. Kevin Bacon tanzt nicht, um Frauen zu verführen, nicht, um zu gefallen, nicht einmal, um zu gewinnen – er tanzt, weil es sein einziger Ausweg ist, nicht am System zu zerbrechen. In einer Szene, in der sein Körper fast zerspringt vor Wut, vor Einsamkeit, vor Sehnsucht nach einem Leben ohne Zensur, ist klar, dass dieser Tanz ein Aufschrei ist. Das Pathos, über das ich heute lächeln kann, war damals irgendwie radikal ehrlich. Und es ist immer noch spürbar.
Auch die weibliche Hauptfigur, Ariel (brillant gespielt von Lori Singer), ist kein passives Love Interest. Sie ist wütend, widersprüchlich, verletzlich – aber sie ist nicht still. In ihrer Figur liegt eine Wucht, die „Dirty Dancing“ nie zulässt: Während Baby ihre politische Haltung durch eine Liebesbeziehung vermittelt, ringt Ariel mit Vater, Kirche und Kleinstadtklatsch um ihre Stimme. Diese Komplexität gab es damals nicht oft im Teenagerkino, gerade weil sie nicht „empowernd“ im popkulturellen Sinne inszeniert wurde, sondern schmerzhaft und ambivalent.
Natürlich ist „Footloose“ auch ein Produkt seiner Zeit. Es waren eben die 80er. Ich war mittendrin. Die Musik – Kenny Loggins’ Titelsong ist ein energetischer Überschuss –, die Mode, das Tempo, all das ist heute nostalgisch aufgeladen. Aber unter der Oberfläche lag ein erstaunlich präzises Porträt eines Amerikas, das sich bis heute kaum verändert hat: eine Gesellschaft, die junge Körper kontrollieren will, die Angst hat vor Lust, vor Freiheit, vor Kontrollverlust. Dass dieses Amerika ausgerechnet durch Tanz herausgefordert wird, ist kein Zufall. Körper sind politisch, und „Footloose“ hat das längst verstanden, bevor es zum Common Sense wurde.
Was mich an diesem Film nicht loslässt, ist, dass er so wenig zynisch ist. Er glaubt daran, dass Wandel möglich ist. Dass ein junger Mensch etwas verändern kann, wenn er nicht schweigt. Dass Gemeinschaft nicht durch Gehorsam entsteht, sondern durch die Bereitschaft, sich gegenseitig auszuhalten – mit aller Lautstärke. Während „Dirty Dancing“ von einem Sommer erzählt, an dessen Ende sich fast alles wieder fügt, und „Flashdance“ sich in einem individualistischen Traum verliert, zeigt „Footloose“, dass Tanz eine kollektive Revolution sein kann. Nicht perfekt, nicht sauber – aber notwendig.
Vier Jahrzehnte später ist der rebellische Geist von „Footloose“ kein Relikt, sondern ein Echo. In einer Zeit, in der Bildungspläne und Bibliotheken zensiert, queere Menschen angegriffen und kulturelle Räume ausgeblutet werden, braucht es vielleicht doch auch Filme wie diesen. Nicht um in die Vergangenheit zu flüchten – sondern um für das Heute zu kämpfen.
„Let’s dance!“
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 29.06.2025.
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Inhaltswarnung: Der Film enthält Szenen emotionaler und physischer Gewalt, darunter religiös motivierte Kontrolle, Familiendynamiken mit toxischen Mustern sowie gefährliche Mutproben. Sensible Themen werden nicht immer reflektiert dargestellt.
Drama, Musikfilm, Tanzfilm, USA, 1984, FSK 12, Regie: Herbert Ross, Drehbuch: Dean Pitchford, Produktion: Craig Zadan, Lewis J. Rachmil, Musik: Tom Snow, Kenny Loggins, Kamera: Ric Waite, Schnitt: Paul Hirsch, Mit: Kevin Bacon, Lori Singer, John Lithgow, Dianne Wiest, Sarah Jessica Parker, Chris Penn, John Laughlin, Lynne Marta, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe, @3sat
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