Kolja Malik – „LasVegas“ (2024)

3.5
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Las Vegas ist kein Ort, sondern ein Versprechen. Oder eine Drohung. In Kolja Maliks Film liegt es irgendwo zwischen Begehren und Zusammenbruch, zwischen Ketchup auf nackter Haut und der Frage, wie viel Rausch ein Körper aushält, bevor er zur Projektionsfläche anderer wird.



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Ich bin in diesen Film hineingefallen wie in einen Traum, den niemand erzählen kann, ohne sich dabei selbst preiszugeben. Vielleicht ist das genau der Punkt: „LasVegas“ (2024) interessiert sich nicht für kohärente Narrative, sondern für die Risse dazwischen. Für queere Sehnsüchte, die nicht integrierbar sind. Für Nähe, die nicht heilbar ist.

Ohne zu spoilern: Tristan, junger Modedesigner, trifft Sunny, queerer Free Spirit mit dem Körper eines gefallenen Engels. Die beiden verlieben sich. Oder begehren einander. Oder stürzen gemeinsam ab. Kolja Maliks Regie vermeidet jede Zuschreibung. Der Film ist wie hochflüssiges Metall (Quecksilber?), das sich mal an die Form eines Roadmovies anschmiegt, mal an die einer toxischen Liebesgeschichte, um dann plötzlich in expressionistischem Überschwang zu explodieren. Nichts ist hier sicher. Schon gar nicht die eigene Wahrnehmung.

„Zum einen ist LasVegas für mich der Versuch, den Ursprung von Gewalt zu verstehen. Zum anderen wollte ich den zugrunde liegenden Kriminalfall nicht als Kriminalfall erzählen, sondern als eskapistische Liebesgeschichte.“

Kolja Malik, Filmfest Emden

Was mich an „LasVegas“ fasziniert hat, ist die Unsicherheit. Die ästhetische Entscheidung, Queerness nicht als Identität zu illustrieren, sondern als Zustand zu verhandeln – fluide, schmerzhaft, ekstatisch. Tim-Fabian Hoffmann spielt Tristan mit einer Präzision, die geradezu weh tut. Jede seiner Gesten wirkt wie eine kontrollierte Explosion. Daniel Roth als Sunny ist das Gegenteil: alles Instinkt, alles Körper, alles Jetzt. Ihre Beziehung ist keine Entwicklung, sondern ein atomares Experiment ohne Schutzanzug. Es wird geküsst, geschrien, geflohen. Auch vor sich selbst.

Die Kamera von Jieun Yi schwebt über Oberflächen, bleibt aber nie an ihnen hängen. Sie sucht nach dem, was darunter liegt – Erspüren statt ein Erzählen. Das Licht flackert wie das Restbewusstsein nach drei Tagen ohne Schlaf. Schnitt, Musik, Rhythmus – alles verweigert die sichere Ordnung, die konservative Erzählungen so gern auf queere Figuren legen: Erklärung, Ursache, Lösung. Nichts davon interessiert Malik. Sein Film ist ein Raum. Wer ihn betritt, lässt alle Klischees an der Tür.

Natürlich geht es auch um Gewalt. Aber nicht als Spektakel, sondern als Struktur. Die Gewalt, die in Elternhäusern beginnt, in stummen Erwartungen fortlebt und sich irgendwann im Liebesverhältnis entlädt, ist hier präsent – diffus, schwer fassbar, immer da. Sunny ist keine romantisierte Rebell:in. Und Tristan ist kein Opfer. Beide sind zugleich Täter:innen und Suchende. Es ist diese Unauflösbarkeit, die den Film so ehrlich macht. Es gibt keine moralische Erlösung, keine politische Pointe. Nur das brennende Bedürfnis, endlich gesehen zu werden – ohne Kompromiss.

Ich frage mich: Ist das Liebe? Oder ist das nur der Reflex auf eine Welt, in der Begehren entweder zur Ware oder zum Trauma gemacht wird? Auch „LasVegas“ gibt keine Antwort. Für mich zeigt der Film eine Konsequenz, wenn diese Frage gar nicht gestellt werden darf. Wenn Lust immer auch Flucht ist.

Identität ist kein sicherer Hafen – nur ein prekäres Boot auf offenem, glitzerndem Ozean.

„Life is beautiful!“

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 06.07.2025.


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Der Film enthält explizite Darstellungen psychischer und physischer Gewalt in intimen Beziehungen, suizidale Andeutungen, Alkohol- und Drogenkonsum sowie Szenen emotionaler Manipulation. Thematisiert werden auch familiäre Gewaltstrukturen, queere Identitätskonflikte und destruktive Abhängigkeiten. Der Film arbeitet mit Reizüberflutung, flirrenden Lichtquellen und auditiver Übersteuerung, was für die Sinne empfindlicher Zuschauer:innen erheblich belastend sein kann.



Liebesdrama, Deutschland, 2023, FSK: ab 16, Regie: Kolja Malik, Drehbuch: Kolja Malik, Produktion: Jan Philip Lange, Susann Schimk, Musik: Charlotte Brandi, Kamera: Jieun Yi, Schnitt: Kolja Malik, Quirin Grimm, Mit: Tim-Fabian Hoffmann, Daniel Roth, Robert Stadlober, Thomas Thieme, Nastassja Kinski, Lana Cooper, Julia Malik, Sven Henninges, Franziska Ponitz, Christoph Schmidt, Alexander Czerwinski, Fediverse: @filmeundserien



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