Isabelle Adjani – Ein mörderischer Sommer (1983)

4.7
(3)
Ein Film, wie ich danach nie wieder einen anderen gesehen habe. Und das, ob schon seine Krimi-Handlung so konventionell daherkommt, wie jene ungezählter anderer Thriller. Doch das, was Frau Adjani und Regisseur Jean Becker aus der Geschichte des Racheengels herauszuholen in der Lage waren, ist bis heute noch ziemlich unerreicht.

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Es ist, ganz unzweifelhaft, ein Film, der ganz um seine Hauptdarstellerin herum entwickelt wurde. Selbst die Biografie der Hauptfigur Eliane ist angelehnt an die algerisch-deutsche Herkunft der Adjani – wobei sie tatsächlich auf einem Roman (1977) von Sébastien Japrisot beruht, der hier auch für das Drehbuch verantwortlich war.

Doch ganz gleich, ob der Autor schon seine Hauptdarstellerin im Kopf hatte, als er die Geschichte schrieb – Adjani hat sie jedenfalls so umgesetzt, dass sie damit ihre Karriere gleichsam neu erfunden hat. Vier Cesars hat der Film gewonnen. Und einen völlig sprachlosen Zuschauer in Deutschland, der 40 Jahre später noch davon überfordert zu sein scheint, zu ihm die richtigen Worte zu finden.

Meine Bewunderung für Adjani habe ich schon in meinem Text zu ihrem nur kurz vorher erschienenen Film „Das Auge“ (1983) von Claude Miller kaum angemessen wiedergeben können. Hier fällt es mir gleich nochmal ungleich schwerer.

Natürlich spielt der Male-Gaze dabei eine ganz elementare Rolle. Denn der in Perfektion inszenierte Körper der Adjani und der von ihr gespielten 19-jährigen Eliane (Adjani war zu dem Zeitpunkt bereits 28 Jahre alt) war der Grund dafür, dass dieser Film schon seit 40 Jahren als Prototyp des französischen Erotik-Thrillers gilt. Dabei ist das Thema hier aber nicht Erotik, sondern Rache.

Von dem 18-Jährigen, der diesen Film damals zum ersten Mal gesehen hat, durften wir wirklich nicht erwarten, dass er notwendigerweise in der Lage gewesen ist, die erotische Wirkung jener Frau und ihre Funktion als ultimative Waffe in einem Film auszudifferenzieren, die gleichsam eines Schrotgewehrs jeden Mann trifft, der in ihre Schusslinie gerät. Doch auch nach mehr als vier Jahrzehnten funktioniert und fasziniert diese einfache Geschichte ihn nicht weniger als in den 80ern.

Denn Sex ist hier Mittel zum Zweck. Und das in einer gewaltsamen Konsequenz, die jene der auslösenden elementaren Gewalt an der Mutter der Protagonistin und den Folgen auf das Leben ihrer Familie und ihrer eigenen Existenz zu entsprechen scheint. In der Herleitung und Darstellung dieser Geschichte ist der Film durchaus drastisch – sodass er für empfindsame Menschen tatsächlich nicht zu empfehlen ist!

Ganz genau wie der Film, der eigentlich wie eine leichte französische Sommerkomödie beginnt und in einer Tragödie endet, gibt uns auch Adjani alle Facetten ihrer Kunst. Ihre Eliane, die zunächst wie ein, vielleicht etwas einfältiges, Mädchen daherkommt, das jung und schön ist und eigentlich nur eine gute Zeit haben möchte – wobei sie ganz gewiss nicht viel darüber nachzudenken scheint, was sie tut – besitzt tatsächlich eine tiefe und geradezu meisterinnenhaft verborgene, dunkle, komplexe und verletzte Persönlichkeit, die sie nur für Bruchteile von Sekunden als ihre wahre Natur offenbart.

Dieser Wechsel, von der Außenansicht des jungen Mädchens, in die Seele dieser verletzten Frau spielt Adjani auf eine Art und Weise, dass es verwirrend und überaus faszinierend ist, ihr dabei zuzusehen. Denn sie verkörpert sie gleichsam parallel, manchmal gleichzeitig in einem einzigen Blick. Unmöglich, diese Augen zu vergessen.

All diese Fragmente zusammenzusetzen ist die Aufgabe der Geschichtenerzähler:innen – denn davon gibt es im Film gleich mehrere – für ihr Publikum. Tatsächlich werden wir durch sie in den Sog der Geschichte hineingezogen und je weiter wir fortschreiten und unser Puzzle sich seiner Vervollständigung nähert, so nähert sich die Tragödie ihrer erschütternden Auflösung.

Der Film von Jean Becker ist keiner, den sie wieder vergessen können. Für Adjani war es einer der erfolgreichsten ihrer langen Karriere. Und für mich ist „Ein mörderischer Sommer“ ein ewiger Beweis der Macht des Kinos. Es braucht gar nicht viel. Einen Regisseur, eine Geschichte und hervorragende Darsteller:innen – das ist schon genug, um das Leben von Menschen für immer zu verändern.

Ich bin nur ein lebender Beweis.



Thriller, Frankreich, 1983, FSK: ab 16, Regie: Jean Becker, Drehbuch: Sébastien Japrisot, Produktion: Christine Beyout, Musik: Georges Delerue, Kamera: Étienne Becker, Schnitt: Jacques Witta, Mit: Isabelle Adjani, Alain Souchon, Suzanne Flon, Jenny Clève, Maria Machado, Evelyne Didi, Jean Gaven, François Cluzet, Manuel Gélin, Roger Carel, Michel Galabru, Marie-Pierre Casey, Cécile Vassort, Édith Scob, Martin Lamotte, Maïwenn


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