Marcus H. Rosenmüller – „Trautmann“ (2018)

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Eine der Geschichten, die in Deutschland lange lieber nicht erzählt wurden: Die Geschichte von Bert Trautmann, einem Wehrmachtssoldaten und Kriegsgefangenen, der nach 1945 in England geblieben ist, sich dort als Torwart von Manchester City unsterblich machte – und in seinem Heimatland systematisch übergangen wurde. Weil seine Geschichte nicht ins neue Selbstbild der jungen Bundesrepublik passen sollte.



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Dass Bert Trautmann nie für die deutsche Nationalmannschaft spielen durfte, obwohl er in England als einer der weltbesten Torhüter galt, war nicht nur sportliche Ignoranz. Es war eine politische Entscheidung und symbolisches Wegschauen zugleich. Der DFB, geprägt von alten Seilschaften und kaum entnazifiziert, konnte mit einem Spieler, der im Ausland blieb – und das auch noch freiwillig –, nichts anfangen.

Vor allem Sepp Herberger, Nationaltrainer der Nachkriegszeit, stand für die Kontinuitäten im deutschen Fußball. Herberger war nicht einfach nur ein begabter Taktiker – er war auch seit 1933 NSDAP-Mitglied, als „Reichstrainer“ Förderer des „nationalsozialistischen Sports“ und ein Mann, der nach dem Krieg problemlos als moralisch geläutert durchging, weil er nie ernsthaft infrage gestellt wurde. Er war es, der das „Wunder von Bern“ 1954 orchestrierte – ein Triumph, der zum Gründungsmythos der Bundesrepublik verklärt wurde. Sönke Wortmann hat es 2003 verfilmt.

Das 3:2 gegen Ungarn bei der WM in der Schweiz wurde ja nicht nur als sportlicher Erfolg gefeiert, sondern geradezu als moralische Wiederauferstehung eines Landes, das selbst noch in Trümmern lag. Es war die Geburtsstunde der Idee, dass ein Land sich durch Fleiß, Disziplin und Sportsgeist von der Schuld der Menschheitsverbrechen reinwaschen könne – ohne sich wirklich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Ein Spieler wie Trautmann, der sich diesem deutschen Wiederaufbau entzogen hatte, der nicht nur freiwillig im Ausland blieb, sondern dort auch noch gefeiert wurde, war da ein Störfaktor. Einer, der gezeigt hat, dass es nach dem elenden Krieg, Völkermord und Elend, das Deutschland über Europa und die Welt gebracht hat, auch andere Handlungsoptionen gab – mutiger, aufrichtiger, menschlicher. Während Herberger und der DFB an ihrer Selbsterzählung vom „unpolitischen Fußball“ unter den Nazis strickten, lebte Trautmann Versöhnung im direkten Austausch mit denen, die einst seine Feinde waren.

In England wurde Bert Trautmann zur Ikone – nicht trotz, sondern wegen seiner Vergangenheit. Dass ausgerechnet ein ehemaliger deutscher Fallschirmjäger, der nicht nur für die Nazis gekämpft hatte, sondern auch selbst ein überzeugter Nazi gewesen ist, aus der Kriegsgefangenschaft heraus zum Publikumsliebling von Manchester City wurde, war Ausdruck einer bemerkenswerten Bereitschaft zur Vergebung – aber auch ein Verdienst Trautmanns selbst, der sich dieser Chance mit Demut und Haltung stellte.

Der Mythos Trautmann kulminierte am 5. Mai 1956: Im FA-Cup-Finale gegen Birmingham City hielt er in den letzten 17 Minuten nicht nur das 3:1 fest – er tat es mit einem gebrochenen Genick. Nach einem Zusammenprall blieb er zwar benommen liegen, spielte aber weiter. Erst Tage später wurde klar: Er hatte sich den zweiten Halswirbel gebrochen. Jeder andere wäre wahrscheinlich gestorben oder gelähmt gewesen.

Für die Engländer:innen war das mehr als sportlicher Heroismus. Es war ein Bild für Mut, Loyalität, Schmerz und Haltung. Ein Mann, der als Feind kam und als Held blieb. Während in Deutschland noch das Bild des „Verräters“ kursierte, weil er den Nazis den Rücken gekehrt hatte und nicht „heimgekehrt“ war, wurde er in England zum Maßstab sportlicher Aufopferung für sein Team und schlichter menschlicher Größe.

Rosenmüllers Film erzählt Trautmanns Leben mit Zurückhaltung. David Kross spielt den jungen Torwart nicht als makellosen Helden, sondern als Suchenden, der seine Schuld nicht leugnet, aber Verantwortung übernimmt – vor allem im Zwischenmenschlichen. Eine Lovestory, seine Beziehung zur Tochter seines englischen Trainers ist der emotionale Kern des Films, nicht der Sport. Sie müssen das nicht goutieren. Der Rest ist aber spannend genug.

„Trautmann’s sincere disgust at Nazi war crimes, his decency, humility, marriage to a British woman – and his great performances on the pitch – won the city over.“

– The Guardian: „The Keeper – back‑of‑the‑net tale of the PoW goalkeeper“

Während der Film in Großbritannien ein ziemlich großes Publikum – als Erzählung über Vergebung, Mut und Menschlichkeit –, blieb er in Deutschland leider weitgehend unbeachtet. Die Kinoauswertung verlief still, die Kritiken waren wohlwollend, aber zurückhaltend. Vielleicht, weil der Film ohne die gewohnte Täter-Opfer-Didaktik auskommt. Vielleicht auch, weil er Fragen aufwirft, die wir hierzulande nicht so gern gestellt bekommen: Warum wurde dieser Mann auf der Insel zum Symbol der Versöhnung – und blieb doch nur eine Fußnote in seinem Heimatland?

Ich halte „Trautmann“ nicht einmal für einen besonders guten (Sport-)Film. Er lässt in vielerlei Hinsicht Lücken, wo eine komplexe und widersprüchliche Persönlichkeit mehr Hinsehen erfordert hätte. Es ist eine typische Heldengeschichte für ein Feel-Good-Publikum, welche die Schattenseiten des Lebens seines Protagonisten ausblendet – und nichts über den Rest seines Lebens erzählt. Das müssen wir selbst recherchieren, wenn wir diesen Menschen für interessant genug dafür halten. Ich würde Ihnen das allerdings vorbehaltlos nahelegen.

Denn Bert Trautmann hat für die deutsch-britischen Beziehungen vermutlich mehr erreicht als die meisten Diplomat:innen oder Außenminister:innen unserer Geschichte. Während die offizielle Außenpolitik noch mit Reparationsforderungen und diplomatischen Eiszeiten kämpfte, baute dieser ehemalige Feind auf dem Platz schon die Brücken, die bis heute noch stehen.

Dass der Deutsche-Fußball-Bund diesen Mann nie für die Nationalelf nominiert hat, war nicht nur ein sportlicher Fehler. Es war auch eine moralische Bankrotterklärung. Und „Trautmann“, der Film, hält dieser sehr deutschen Geschichte den Spiegel vor – leise, aber deutlich.

„Bert was one of the first genuine true legends of the game, and he will always be remembered as part of the great history of Manchester City Football Club.“

Alex Williams, Manchester City Football Club, 2013

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 13.06.2025.



BioPic, Deutschland, Großbritannien, FSK: ab 12, Regie: Marcus H. Rosenmüller, Drehbuch: Marcus H. Rosenmüller, Nicholas J. Schofield, Robert Marciniak, Produktion: Robert Marciniak, Chris Curling, Steve Milne, Musik: Gerd Baumann, Kamera: Daniel Gottschalk, Schnitt: Alexander Berner, Mit: David Kross, Freya Mavor, John Henshaw, Dervla Kirwan, Gary Lewis, Julian Sands, Harry Melling, Michael Socha, Barbara Young, Chloe Harris, Mikey Collins, Dave Johns, Angus James Barnett, Butz Ulrich Buse, David Schütter, Shenja Lacher, Maximilian Befort, Florian Kroop, Martin Walch, Florian Kroop, Thomas Lettow, Ryan Wichert, Daniel Holzberg, Fediverse: @filmeundserien



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