Rockpalast – „James Brown: Say It Loud!“ (2024)

Eine Geschichte von Sound, Stolz und Selbstermächtigung. Ihr Rhythmus beginnt lange, bevor der erste Ton erklingt. Er liegt in den Blicken, in der Geschichte, im politischen Körper des Mannes, um den es in diesem Vierteiler geht. Kein Heldenporträt einer Musikikone, sondern eine visuelle und akustische Rekonstruktion von Geschichte – die so sehr von Gewalt, Ausschluss und strukturellem Rassismus geprägt ist wie von überlebensgroßem Talent, kreativer Wut und einer visionären Bühnenpräsenz.



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Produziert von Mick Jagger und Questlove – zwei Musikern, die Brown auf ganz unterschiedliche Weise viel zu verdanken haben – erzählt die Dokureihe nicht nur vom Leben des James Brown, sondern viel mehr noch von der Kraft schwarzer Selbstbehauptung, von Kontrolle über den eigenen Körper, die eigene Stimme und das eigene Narrativ.

Dieser Film erstarrt nicht Ehrfurcht vor dem Helden. Da wird nichts romantisiert. Er lässt Raum für Ambivalenz, für Widersprüche, für die Härte und den Schmerz, die Browns Weg durchzogen haben – ebenso wie für seinen unverkennbaren Sound, der Funk nicht nur erfand, sondern als kulturelle Waffe eingesetzt hat.

Die Mini-Serie verwebt Interviews mit Zeitzeug:innen, Musiker:innen, Kulturwissenschaftler:innen und Weggefährt:innen mit teils seltenem Archivmaterial. Besonders eindrücklich sind die Aufnahmen von Browns Auftritten – etwa sein legendäres Konzert in Boston am Tag nach der Ermordung Martin Luther Kings. Wo andere Städte brannten, hielt James Brown eine ganze Community im Gleichgewicht, durch eine Performance, die so viel mehr war als Entertainment: ein politischer Akt, ein Appell an Würde, Disziplin und Stolz.

In diesen Momenten wird deutlich, wie politisch Musik ist – und wie sehr Brown als schwarzer Künstler nicht nur ein Entertainer, sondern ein Symbol war. Die Autoren verschweigen dabei auch seine problematischen Seiten nicht: Gewalt gegen Frauen, ein diktatorischer Führungsstil, sein widersprüchliches Verhältnis zur Black-Power-Bewegung. Sie zeigen ihn nicht als Helden, sondern als Mensch – geprägt von Armut, Demütigung und zugleich getrieben von einem unbändigen Willen zur Kontrolle.

Die formale Gestaltung der Serie ist rhythmisch, fast musikalisch. Kapitelweise wird Browns Geschichte erzählt – von seiner Kindheit in extremer Armut über seine ersten musikalischen Schritte bis zu seinem Status als „Godfather of Soul“. Dabei wird deutlich, dass Brown keine weiße Anerkennung brauchte, um Größe zu behaupten. Seine Musik war für sein Publikum gemacht, nicht trotz der Umstände, sondern aus ihnen heraus geboren.

Dass Mick Jagger als weißer Rockmusiker Mitproduzent dieser Serie ist, wirkt zunächst wie ein möglicher Widerspruch. Doch „Say It Loud!“ geht mit dieser Spannung enorm produktiv um. Jagger, der selbst sehr früh schon von Brown beeinflusst wurde, wirkt nicht als Erklärer, sondern als Ermöglicher, der Raum gibt für Stimmen, die zu oft überhört wurden. Und Questlove, schwarzer Musiker und Historiker der Black Music, sorgt dafür, dass dieser Raum nicht dekorativ, sondern auch substanziell genutzt wird.

Ich gebe gerne zu, zwischendurch hätte ich mir wirklich gewünscht, unter all den Zeitzeug:innen auch @wolfmaahn zu sehen. Denn kein anderer weißer, deutscher Musiker hat mir James Brown jemals besser erklärt. Wer ihn und seine Band „Die Deserteure“ (YouTube, Rockpalast, 1985) in den 80ern und 90ern mal gesehen hat, wird sich gerne daran erinnern. (Viele Grüße auch an die wunderbare Renate Otta!)

Was mir bleibt, ist mehr als Bewunderung und Respekt. Es ist ein Gefühl für die Komplexität eines schwarzen Lebens, das ebenso sehr durch kulturelle Leistung wie durch soziale Ungleichheit geprägt war. „Say It Loud!“ leistet Aufklärungsarbeit, ohne zu dozieren. Macht spürbar, wie politische Körper aussehen, wie musikalische Genialität entsteht, wie Machtausübung auf und jenseits der Bühne funktioniert.

Diese Doku ist ein echtes Geschenk – an die, vor allem, die James Brown nur als Sample kennen, an die, die seine Musik mit Bewegung und Aufbruch verbinden, und an die, die verstehen wollen, was es heißt, als schwarzer Mensch in Amerika den Soundtrack des Widerstands zu schreiben.

„Get up..!“

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 30.06.2025.


Inhaltswarnung: Die Dokumentation thematisiert Rassismus, Armut, familiäre Gewalt und Polizeigewalt. Auch wird offen über James Browns gewalttätiges Verhalten gegenüber Frauen gesprochen. Einzelne Archivbilder können retraumatisierend wirken.



Dokumentarfilm (Mini-Serie, 4 Teile), USA, 2024, FSK: ab 12, Regie: Deborah Riley Draper, Produktion: Mick Jagger, Ahmir „Questlove“ Thompson, Tara Long, Shawn Gee, Musik: James Brown (Archiv), Mit: James Brown, Mick Jagger, Ahmir „Questlove“ Thompson, Al Sharpton, Bootsy Collins, Dan Aykroyd, LL Cool J, Chuck D, Jill Scott, Jimmy Jam, Terry Lewis, Reverend Al Sharpton u. a. Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe



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