Frank Beyer – Jakob der Lügner (1974)

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Groß ist wieder das Geräusch, über die (Nicht-)Nominierungen zu den Oscars… doch ob Greta Gerwig und Barbie in 50 Jahren noch erinnerungswürdig sein werden, wer weiß das schon? Nach fast 50 Jahren noch einmal auf den einzigen Film aus der DDR zu schauen, der jemals für einen Oscar nominiert wurde, das liegt am Gedenktag des Holocaust allerdings nahe.

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Tatsache ist, dass der DEFA Film von Frank Beyer („Die Spur der Steine“, 1966) in den 70er Jahren keinen westdeutschen Filmverleih und erst nach der Aufführung auf der Berlinale und der Erstausstrahlung in der ARD einen Weg in „unsere“ Kinos gefunden hat. Die Geschichte hat „uns“ zum Glück eingeholt und „Jakob der Lügner“ ist nicht nur mit Jurek Beckers Roman, sondern auch als Film ein Meilenstein im gesamtdeutschen Kulturkanon.

Es ist aber eben auch ein Film, gemacht für unsere Zeit. Weil in deutschen Hinterzimmern längst schon wieder Deportationen geplant werden, auch wenn die Wiedergänger:innen der Täter von damals uns weismachen wollen, dass „Wolken aus Watte sind“ und es freundlich euphemistisch „Remigration“ nennen. Wir wissen es besser, auch weil solche Filme es uns nicht vergessen lassen.

Überleben im Getto: Jakob, der Lügner, macht seinen jüdischen Leidensgenossen Mut für den Alltag, indem er erfundene Nachrichten vom Näherrücken der Russen verbreitet. Jakobs imaginäres Radio wird zum Zentrum einer kollektiven Hoffnung, bis zum Abtransport in die Gasöfen. Behutsam, zärtlich, ohne wohlfeiles Pathos und naheliegende Sentimentalität erzählt Frank Beyer („Nackt unter Wölfen“), einer der besten Regisseure der DDR, von Menschen, die inmitten von grauenhafter Unmenschlichkeit zu existieren versuchen.

(Hans-Christoph Blumenberg, Die Zeit, Nr. 11/1976)

Ich hatte das Glück, den Film in den 80ern tatsächlich im Deutschunterricht sehen zu dürfen. Was sicher für das damalige Medienzentrum des Jugendamtes in Essen spricht, und die Aufgeschlossenheit (m)eines Deutschlehrers der Einrichtung des zweiten Bildungswegs an der ich mein Abitur erwerben durfte. Dieser „Bildungsweg“ hat mein Leben so unermesslich bereichert, dass ich noch fast 40 Jahre nach meinem Abschluss zutiefst betroffen darüber bin, dass die Stadt Essen das Ruhrkolleg vor zwei Jahren geschlossen hat.

Wie viele Menschen den Film wohl gestern Nacht im MDR gesehen haben, wird wahrscheinlich kaum messbar gewesen sein. Eine Ausstrahlung um Mitternacht ist schon fast unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit. Und das ist einen oder zwei Gedanken wert. Denn heute präsentieren ihnen die ARD Anstalten in der 20:15 Primetime das folgende Samstagabendprogramm:

ARD Helene Fischer – Rausch Live
WDR Jet zo laache – Das Beste aus dem Kölner Karneval XL
NDR Verdamp lang her – Die Hits der 80er und ihre Geschichte
MDR Mein Name ist Nobody – mit Terrence Hill
HR Die schönsten Wälder im Norden
BR Kaiserschmarrndrama
SR/SWR Spiel mir das Lied vom Tod – Western von Sergio Leone

Ist das am „Holocaustgedenktag“ eine den Ansprüchen der ARD genügende Programmbegleitung? Die Frage dürfen sie gewiss stellen. Doch will ich nicht darüber lamentieren. Denn die Mediathek potenziert ja hier tatsächlich die mögliche Öffentlichkeit, die kein „Drittes Programm“ je erreichen könnte.

Machen sie sich selbst einen Reim drauf.


„Jakob der Lügner“ – in der ARD Mediathek bis 29.10.2024

Spielfilm, DDR, 1974
FSK: ab 12
Regie: Frank Beyer
Drehbuch: Jurek Becker, Frank Beyer
Produktion: DEFA, Fernsehen der DDR
Musik: Joachim Werzlau
Kamera: Günter Marczinkowsky
Schnitt: Rita Hiller
Mit: Vlastimil Brodský, Erwin Geschonneck, Manuela Simon, Henry Hübchen, Blanche Kommerell, Dezső Garas, Zsuzsa Gordon, Friedrich Richter, Margit Bara, Reimar J. Baur, Armin Mueller-Stahl, Hermann Beyer, Klaus Brasch, Jürgen Hilbrecht, Paul Lewitt, Edwin Marian, Hans-Peter Reinecke, Helmut Schellhardt, Peter Sturm, Erich Petraschk, Fred Ludwig, Wilfried Zander, Gabriele Gysi, Fritz Links


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