Ein Film, der sich für mich lohnt, überrascht mich, fesselt mich, interessiert mich. Beschäftigt mich länger. Allerbestenfalls vergesse ich ihn danach auch nicht mehr. Und schau ihn mir auch ein zweites oder drittes Mal an. Das ist selten. Doch wenn es vorkommt, dann liegt es meistens am Personal. Frau Schudt ist eine, die hat das immer wieder geschafft.

Gestern Abend waren die Mediatheken bei mir offline. Also nicht technisch, sondern aufmerksamkeitsökonomisch. Weil @3sat uns diesen Film im linearen Programm wieder in die Erinnerung gerufen hat. Nötig war das nicht. Denn „Laufen“ (2022) stand bereits seit seiner Erstausstrahlung eigentlich ununterbrochen in der Mediathek. Da hätte ich den Film sehen können, wann immer ich es wollte.
Eigentlich also die Definition einer „Mediathekperle“. Denn, seien wir ruhig mal ehrlich zu uns selbst, wegen dieser, schon erwähnten Aufmerksamkeitsökonomie, haben es Filme wie dieser auch in den Onlineangeboten der Sender schwer, wenn wir nicht irgendwo an sie erinnert werden. Und deshalb lesen Sie vermutlich diesen Blog.
Doch dieser Film, der eigentlich schon längst viel größer als hier hätte erwähnt werden müssen, fand auch bei mir nicht die Aufmerksamkeit, die er eigentlich verdient hat.
Letztlich war es Anna Schudt, der diese Aufmerksamkeit gestern endlich wieder sicher war. Denn ich liebe es (häufig) dieser Frau bei der Ausübung ihres Berufes zusehen zu dürfen. Und dieser Film ist auch deshalb etwas Besonderes, weil er so nahe an sie herangeht, dass wir geradezu mit ihr „laufen„.
„Laufen“ ist ein herausragender Film über die Kraft der körperlichen Bewegung und die Kraft der Musik, über den Trost echter Freundschaft und Sackgassen der Trauer. Wie jeder gute Film über den Tod ist er ein Film übers Weiterleben. Herausragend insbesondere von Anna Schudt gespielt. Wo sich zurzeit Erzählungen ins formlos Serielle auflösen, zeigt „Laufen“, dass der konzentrierte neunzigminütige Fernsehfilm ein Niveau erreichen kann, auf dem Inhalt und Form korrespondieren. Freilich bedarf es dazu, wie hier, des Glücks der gelungenen Teamarbeit. Und auf Zuschauerseite neunzig Minuten Lebenszeit.
Heike Hupertz, FAZ, 24.04.2023
Die Geschichte ist nicht kompliziert. Der Verlust eines Partners durch Suizid ist allerdings eine der schlimmsten überhaupt vorstellbaren Ausnahmesituationen, der die Psyche eines Menschen wohl ausgesetzt werden kann. Überhaupt ist der Umgang mit Tod und Verlust etwas, das wir erst lernen müssen. Und manchmal scheint es fast unmöglich, darüber hinweg zu kommen. In fast jedem Fall ist ein Film zu solch einem Thema immer auch eine Herausforderung für das Publikum.
Hier ist das (Über-)Leben einer Frau, die plötzlich einer solchen Situation ausgesetzt wird, die Ausgangsposition des Filmes. Und weil eben Frau Schudt diese Frau spielt, sind natürlich Parallelen zu dem Ende ihres Engagements in der Dortmunder Tatort-Mordkomission unübersehbar. Dort allerdings ist es der Mann, „Peter Faber“, dargestellt vom überragenden Jörg Hartmann, an dessen Trauerarbeit wir bereits mehrere Folgen lang teilnehmen konnten. Und man(n), diese Selbsttherapie ist eine, die wir im Deutschen Fernsehen vermutlich auch nicht vergessen werden.
„Laufen“ ist kein Spektakel, sondern ein eigentlich ganz kleiner, leiser Film. Spektakulär daran ist weder die Geschichte, noch die Idee, durch „Laufen“, also Sport, auch die Psyche zu heilen (erinnern Sie sich etwa noch an den transkontinentalen Lauf von „Forrest Gump“ (1994)?), sondern nur, wie Frau Schudt als gebrochene Frau, sich wieder zurück ins Leben läuft. Einen Schritt nach dem anderen.
Keine gloriose (Pop-)Filmmusik (die hier, in ihrer klassisch möglichsten Ausprägung, für einen Fernsehfilm, wirklich herausragend gut ist), keine spektakulären Landschaftspanoramen amerikanischer Highways, sondern (hauptsächlich) ein Hamburger Stadtpark, ist das was wir als Szenerie bekommen. Und eben das Gesicht von Anna Schudt.
Für mich hat diese Schauspielerin eines der interessantesten der Branche überhaupt. Im Tatort war sie damit schon ziemlich einzigartig. In diesem Film allerdings, spricht fast allein ihr Gesicht genug, um uns an der Geschichte teilhaben lässt. So lesbar es ist, so schwer ist es, beständig so lange, so präzise und so unmittelbar zu spielen. Denn die Kamera verheimlicht nichts. Die Schauspielerin verschwindet ganz hinter ihrer Figur.
Grandios!
Tatsächlich geht die Kamera bei Schudt hier ganz nah dran und lässt uns so auch ihrer Figur extrem nahe kommen. Und das ist etwas, das auch eine extrem professionelle Darstellerin erst einmal zulassen muss. Ich stelle mir das tatsächlich als enorm anstrengend vor. Und nach so einem Film, ist es auch eine Leistung, auf die auch eine Schauspielerin ihres Ranges noch stolz sein kann. In etwa so, wie nach einem 10-Kilometer-Lauf… der sich vermutlich mehr wie ein multidisziplinärer Triathlon angefühlt hat.
Es ist eine leise Geschichte, familiär, dramatisch, mit vielen Zeitsprüngen, nicht ganz unkompliziert erzählt, doch ganz großartig gespielt, die einen eigenen Sog entwickelt. Je nach persönlicher Disposition lässt es sich auch sicher nicht vermeiden, dass ihr Publikum dabei auch persönliche Gefühle oder Erfahrungen reflektiert. Und je nach Bereitschaft und eigenem Erleben, können wir unter Umständen deshalb sogar etwas lernen. Das ist ungewöhlich bei einem deutschen Fernsehfilm, weil es so selten ist.
Und deshalb ist es so kostbar.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 17.04.2025. Permalink: https://nexxtpress.de/b/dLC
Drama, Deutschland, 2022, FSK: 0, Regie: Rainer Kaufmann, Drehbuch: Silke Zertz nach einer Romanvorlage von Isabel Bogdan, Produktion: Heike Wiehle-Timm, Musik: Richard Ruzicka, Kamera: Martin Farkas, Schnitt: Eva Schnare, Mit: Anna Schudt, Katharina Wackernagel, Maximilian Brückner, Kai Schumann, Victoria Trauttmansdorff, Gaby Dohm, Michael Abendroth, Heike Schuch, Dominik Maringer, Simon Kluth, Robin Sondermann, Editha Bogatsu, Tibet Kahriman, Fediverse: @filmeundserien, @3sat
Schreiben Sie einen Kommentar