Kida Khodr Ramadan – „Testo II.“ (2025)

Ich glaube, ich bin (bald) zu alt für den Scheiß. Die Zielgruppe für „Testo“ sind all die, denen das Smartphone nur mehr durch einen chirurgischen Eingriff aus den Händen entfernt werden kann. Die, deren Aufmerksamkeitsspanne nach 15 Minuten erschöpft ist. Wenn ich länger darüber nachdenke, dann würde ich wohl noch ein paar altersdiskriminierende Klischees mehr finden. Aber dafür hab‘ ich keine Zeit… Die Taktrate des Lebens ist auch in der Mediathek gestiegen. Und diese Serie muss doch am Stück gesehen werden…
Bild: © ARD Degeto Film/NDR/W&B Television GmbH/Marco Fischer

Hierfür werden sie sich wieder feiern lassen. Die ARD-Menschen ganz genau so, wie die Crew um Kida Khodr Ramadan. Der ist lange schon der Pate des deutschen Films und Fernsehens. Und das ist er nur geworden, weil er mit „4Blocks“ (2017) einen internationalen Hit hatte, den bei den ÖRR wohl niemand so hat kommen sehen. Der Einfluss von „Toni Hamadi“ geht längst weit über Neukölln hinaus. Doch, wenn er danach nicht so unendlich fleißig gewesen wäre und so ein großes Herz für das Medium hätte, dann hätte auch alles ARD-Geld der Welt nicht garantiert, dass er nicht als Abziehbild seiner selbst geendet wäre, in seiner mittlerweile dritten Serie für die ARD-Mediathek.

Ich mag den Kerl sehr. Das ist kein Geheimnis. Und ich liebe die meisten seiner Filme, nicht als Kritiker, sondern als Fan. Doch hat die Nachricht, dass „Testo“ (2024) fortgesetzt würde, bei mir gemischte Gefühle ausgelöst. Denn eine gute Geschichte, wie ein erfolgreiches Prinzip, wird durch Wiederholung oder Verlängerung nicht automatisch besser. Serien nutzen sich anders ab, als Filme. Das passiert auch den besten.

Für „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ (2020) werde ich Ramadan bis an das Ende meiner Tage feiern. Das war ein epochales Werk für ihn, wie für mich. Mit dem Film ist er als Künstler endgültig angekommen. Und das muss für einen, der vorher nur unter der Regie anderer, die Geschichten anderer spielen durfte, eine unglaubliche Befriedigung gewesen sein. Allein die Chance einen eigenen Film in kompletter Eigenverantwortung als Regisseur, Autor und Hauptdarsteller zu drehen, bekommen nur sehr, sehr wenige. Doch bei Ramadan hat sich jeder Cent meiner Haushaltsabgabe rentiert, mit dem die ARD seinen Film finanziert hat.

Klar, so ein Erfolg weckt auch Begehrlichkeiten. Und ein Künstler, der die ihm plötzlich verfügbaren Mittel nicht reinvestiert, hat diesen Erfolg eigentlich auch nicht verdient. Doch als die ARD im Lichte des Erfolges von „Orangenbaum“ verkündet hat, mit Ramadan eine Serie „für die Mediathek“ zu entwickeln, war ich ehrlich skeptisch. Nicht wegen des Künstlers, sondern wegen des Prinzips.

„Asbest“ (2023) war dann doch so viel besser, als das, was ich erwartet habe, doch wurde sie von der Kritik auch schwerer abgestraft, als die Serie es eigentlich verdient hatte. War es dann irgendwie auch nachvollziehbar, dass die ARD ihr Mut trotz des Cliffhangers in der ersten Staffel schon wieder verlassen hat? Die bereits groß angekündigte zweite Staffel hat sich jedenfalls niemals materialisiert… Gründe dafür kenne ich nicht. Herr Gniffke und Frau Strobl haben sich für die 7 Millionen Abrufe in der Mediathek so heftig feiern lassen (Spiegel.de), wie selten zuvor.

Verstehen Sie das? Schade, nicht schade? Weiß nicht.

So bekamen wir statt „Asbest II.“ eben „Testo I“. Einen Action-Comic. Schnell, schmutzig, cool, improvisiert. Mit den Besten, die das Telefonbuch von Ramadan hergab und einem Level an Selbstironie, der bei der angepeilten Zielgruppe (14-49) wahrscheinlich vergebens, bei mir aber äußerst willkommen war. Und wenn der Kommentatoren- (alles Männer?) Abgrund bei Welt-Online eine Produktion derartig hasst, dann hat sie einfach alles richtig gemacht.

Ja, sowas kann fortgesetzt werden! Aber warum? Das war meine erste Frage, als die zweite Staffel angekündigt wurde. Offensichtlich hatten alle Beteiligten Bock darauf. Jedenfalls sieht es deutlich danach aus.

Das Genie des Autors/Regisseurs zeigt sich schon nach wenigen Minuten daran, wie er mit allen Regeln bricht. Einen Hauptdarsteller derartig in Szene zu setzen, eine solche Story für eben diesen, hat sich im deutschen Fernsehen noch keiner getraut. Das geht nur, wenn der Künstler und sein Team ein entsprechendes Selbstvertrauen – Eier! – haben. Und der Geschichte vertrauen. Ich wäre gerne dabei gewesen, als Ramadan dieses Drehbuch seiner ARD-Redaktion zum ersten Mal präsentiert hat. Vermutlich waren die Chefbedenkenträger:innen gerade nicht im Raum?

Großspurigkeit gehört zur Rolle, dass er es kann, zeigt Ramadan mit „Testo 2“ erneut. Vor allem beherrscht er Timing und Geschwindigkeit. Figuren mit wenigen Strichen und Dialogzeilen erschaffen. Figuren, die so unsympathisch wie unkalkulierbar wirken, um deren Schicksal man sich trotzdem sorgt. Daneben gelingen ihm wieder ein paar Momente, in denen durch übertriebene Rührseligkeit hindurch echte Freundschaft leuchtet. (…)

Die Musik (Fetisch, Marco Freivogel) gibt „Testo 2“ überhaupt wieder den Rhythmus. Will man es weit treiben mit der Bedeutungsfindung, kann man das Prinzip des Tricksens und Täuschens, das die Miniserie inhaltlich wie formal trägt, auch als Kommentar zur Zeit auffassen. Will man das nicht, bleibt das Gegenteil, Spaß an der Oberfläche des Eskapismus.

„Gekonnt Gas gegeben“, von Heike Hupertz, FAZ, 25.04.2025

Das Ensemble ist natürlich wieder Weltklasse. Irgendwie überrascht das bei einer Ramadan-Produktion inzwischen auch keine:n mehr. Allerdings sind die neuen Figuren von den großartige:n Kolleg:innen Franka Potente, vor allem aber Peter Kurth und Thomas Thieme sträflich unterbeschäftigt. Im Grunde sind ihre Rollen dann leider doch nur Cameos, auch wenn Frau Potente etwas mehr Screentime hat. Die Geschichte lebt fast allein von der Gang, die wir schon aus der ersten Staffel kennen.

Ich schrieb „fast“, weil es dann doch eine neue Figur gab, die ich nicht mehr vergessen werde, auch weil sie es verstanden hat, das Testosteronlevel in ihren Szenen restlos zu neutralisieren:

Wenn Sie Abonnent:in, oder wenigstens regelmäßige:r Theaterbesucher:in im Musiktheater im Revier in (meiner Geburtsstadt) Gelsenkirchen sind, dann hatten Sie vielleicht schon das unendliche Privileg, Marie-Louise Hertog kennenzulernen. Ich kannte die junge Niederländerin allerdings noch nicht… sonst hätte sie mich kaum so umhauen können, wie mit ihrer (getanzten) Performance in Episode 4. Ich frage da nicht, wie die Frau es in Ramadans Adressbuch geschafft hat. Dass ihr Name in meinem jetzt aber dick und rot unterstrichen werden muss, ist logisch!

Wow!

Wenn ich einen Wunsch an die ARD äußern dürfte, dann wäre das eine Schnittfassung als Spielfilm. Mit fast 60 kann mir eine längere Aufmerksamkeitsspanne unterstellt werden, als jenen, welche diese Serie während des Schulwegs im Bus auf ihren Smartphones sehen. Ich finde es ok, sich an die veränderten Sehgewohnheiten anzupassen. Kein Problem! Doch der Stoff gibt es her, auch am Stück gesehen zu werden. Und da nerven Vor- und Nachspann dann einfach.

Unbedingt Popcorn, wenn Sie das zu Hause schauen! Und nicht soviel nachdenken. Es ist ein Comic! Zwischen den Bildern gibt es Löcher in der Geschichte, in denen Sie einen LKW verstecken können. Das macht aber nix. Die gibt es mitunter auch im Tatort. Doch hier handelt es sich eben um die pure Antithese zu wirklich allen (deutschen) Fernsehkrimis, die Sie kennen! Dass sowas notwendig ist, ist keine Frage. Denn die Leute, für die dieses Fernsehen gemacht ist, schauen gar kein Fernsehen!

Über die Rolle Ramadans habe ich schon geschrieben. Sein Cliffhanger ist hier eine ziemlich geniale Huldigung aller Cliffhanger der Filmgeschichte. Keine Frage, dass er sich so quasi schon den Auftrag zu einer dritten Staffel gesichert hat… 😉

Asbest II. hätte ich dennoch gerne gesehen, solang ich noch nicht zu alt für dieses Fernsehen bin.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 28.04.2025.



Action-TV-Serie, Deutschland, 2025, FSK: ab 12; Regie: Kida Khodr Ramadan, Silvana Santamaria, Drehbuch: Kida Khodr Ramadan, Nicolette Krebitz, Christoph Gampl, Kamera: Ralf Noack, Schnitt: Yvonne Tetzlaff, Jens Klüber, Mit: Kida Khodr Ramadan, Frederick Lau, Stipe Erceg, Veysel Gelin, Marie-Louise Hertog, Nicolette Krebitz, Yusuke Yamasaki, Franka Potente, Peter Kurth, Thomas Thieme u.v.a. Fediverse: @filmeundserien



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  1. Avatar von Knipper
    Knipper

    @mediathekperlen @filmeundserien also der Juri Sternburg, der ja der (einer der?) Drehbuchschreiber von Asbest war, macht Hoffnung auf Asbest2, er hat im Januar gepostet:
    https://www.instagram.com/p/DE7Hwk2Mj9x/?igsh=NHZrZnB6NmdyaXAy

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    1. Avatar von Knipper
      Knipper

      @mediathekperlen @filmeundserien allerdings endete Staffel 1 ziemlich hoffnungslos, ich war echt ein bisschen geschockt, das hätte ich nicht erwartet.

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    2. Avatar von Mediathekperlen

      Jau! Das stimmt! Das war seinerzeit ein ziemlich brutaler Cliffhänger. Vielleicht dient die seitdem verstrichene Zeit ja auch dazu, der Geschichte von Momo mehr Entwicklung zu erlauben, statt direkt dort weiterzumachen, wo die erste Staffel geendet hat? Ich hoffe sehr, wir bekommen das dieses Jahr noch zu sehen!

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