Vier Frauen auf der Flucht – und ich, der seine Gitarre nicht mal stimmen konnte. Ein Beitrag von einem Mann, Ende 50, der endlich verstanden hat, warum „Bandits“ von Katja von Garnier mehr ist als ein Pop-Roadmovie – und was das mit seiner eigenen Kapitulation zu tun hat.
Ich war elf oder sieben, so genau weiß ich das nicht mehr. Meine Eltern schenkten mir eine Gitarre. Edel, glänzend, sie roch nach Holz und Hoffnung. Ich sah mich schon im Halbschatten des Kinderzimmers rebellisch rocken, „House of the Rising Sun“ oder wenigstens den Refrain von „Smoke on the Water“. Drei Wochen später war das Ding für mich ein Feind. Die Saiten waren hart wie Drahtseile, meine Finger blutig, die Akkorde ein Mysterium. Irgendwann wurde sie verschenkt – kommentarlos. Und ich hab nicht mal protestiert.
Das war mein persönlicher Rückzug von der Bühne des männlichen Pop-Pathos. Während andere Jungs sich in Schulbands raufbrüllten oder wenigstens mit dem Bass die Mädchen beeindruckten, blieb ich still. Ich beobachtete. Ließ Musik durch und mit mir, aber nie aus mir sprechen. Vielleicht war das ein Fehler. Vielleicht aber auch die Vorbereitung auf das Erwachen – das kam, als ich „Bandits“ sah.
Laut, chaotisch, kompromisslos
Der Film kam 1997. Ich war damals eher mit Studentenkneipen-Philosophie beschäftigt, vielleicht auch ein bisschen mit der Aufarbeitung gescheiterter Träume. Ich hatte fast eine Karriere. Als „Bandits“ in die Kinos kam, nahm ich den Film nicht ernst. Vier Frauen auf der Flucht, mit Gitarren und Träumen? Klang nach „Thelma & Louise“ mit Musik – für das deutsche TV-Abendprogramm. Ich lag falsch.
Erst viel später, Mediathek sei Dank, stolperte ich wieder über den Film. Ich blieb hängen. Wegen der Musik. Wegen Riemann, Krebitz, Tabatabai und Hoffmann… Wegen ihrer Wut, die aus jeder Szene tropft, als hätte eine Autorin all die aufgestaute Frustration weiblicher Nebenfiguren aus 50 Jahren Kinogeschichte auf ein einziges Drehbuch destilliert.
Und diese Musik! Keine nett drapierten Popsongs, sondern Songs mit Haltung, Wut, Zweifel und Sehnsucht. Selbst geschrieben, selbst gespielt, roh und ohne Scham. Die Band – Emma, Luna, Angel, Marie – ist nicht perfekt. Und gerade deshalb echt. Ich hab mich verliebt!
„Catch me, if you can – I’m the bandit.“
Ein Satz wie ein Knall. Und gleichzeitig ein Rettungsseil für alle, die sich in der Enge sozialer Rollenvorgaben totgelaufen haben. Frauen dürfen hier laut sein, wütend, schräg. Sie dürfen Fehler machen, einander lieben, verraten, vergeben – und sie schulden dabei niemandem Erklärungen. Schon gar nicht einem männlichen Publikum.
Wenn du’s nicht verstehst, bist du nicht gemeint
Was „Bandits“ so klug macht: Der Film will gar nicht gefallen. Er fragt nicht, ob ich als Zuschauer das okay finde, was diese Frauen tun. Er erzählt aus ihrer Perspektive, nicht über sie. Und das war damals, Mitte der Neunziger, noch radikal. Bis heute ist es das.
Ich erinnere mich an einen Satz, den ich keiner Quelle mehr zuordnen kann – vergessen habe ich ihn aber nicht: „Männer erzählen, um verstanden zu werden. Frauen erzählen, um zu überleben.“
In „Bandits“ ist es genau das Thema. Die Musik der Frauen ist ihre Sprache. Ihre Flucht ist ihr Statement. Und ihre Unversöhnlichkeit ist der notwendige Bruch mit allem, was vorher war – Knast, Gewalt, Objektstatus.
Und ich? Ich sitze heute davor, Ende 50, mit einem Bier in der Hand und denke: So sollte Rebellion aussehen. Nicht inszeniert, nicht gepolstert – sondern schmerzhaft, echt und roh.
Feminismus, der groovt – und weh tut
Was ich besonders schätze: „Bandits“ macht keinen Hehl daraus, dass seine Protagonistinnen nicht unverwundbar sind. Sie sind keine feministischen Superheldinnen, sondern beschädigte Menschen mit Sehnsucht, Traumata, Wut und Humor. Genau das macht ihre Geschichte glaubwürdig – auch wenn sie zugleich ins Pop-Märchenhafte rutscht. Aber das ist völlig okay. Märchen helfen uns schließlich, Wahrheiten auszuhalten, die sonst zu weh tun.
Und ja, es ist ein feministischer Film. Einer, der ganz klar sagt: Wir spielen nicht mehr nach euren Regeln. Und weil er das mit Gitarren tut – laut, unbeholfen, ehrlich –, tut es besonders gut. Und besonders weh.
Gerade heute, wo viele „Frauenrollen“ glattgebügelt daherkommen und Diversity oft dekorativer Selbstzweck ist, wirkt „Bandits“ wie ein Knallkörper in der glattgespülten Streamingwelt. Er erinnert uns daran, dass das Politische dann wirkt, wenn es laut ist – und nicht immer gut aussieht.
Und vielleicht ist das die späte Pointe für mich, den Mann, der seine Gitarre verschenkt hat: Es geht gar nicht darum, der Welt den richtigen Akkord vorzuspielen. Es geht darum, überhaupt den Mund aufzumachen.
Seid laut!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 26.05.2025.
Roadmovie, Deutschland, 1997, FSK: ab 12, Regie: Katja von Garnier, Drehbuch: Uwe Wilhelm, Katja von Garnier, Produktion: Harry Kügler, Molly von Fürstenberg, Elvira Senft, Musik: Peter Weihe, Udo Arndt, Kamera: Torsten Breuer, Schnitt: Hans Funck, Mit: Katja Riemann, Jasmin Tabatabai, Nicolette Krebitz, Jutta Hoffmann, Hannes Jaenicke, Werner Schreyer, Andrea Sawatzki, Oliver Hasenfratz, August Schmölzer, Heio von Stetten, Peter Sattmann, Peter Rühring, Irmhild Wagner, Barbara Magdalena Ahren, Helga Storck, Sarah Camp, Vicki Schmatolla, Erich Diercks, Peter Weiß, Joseph Hannesschläger, Edeltraud Schubert, Claudia Ahrens, Hillmer Meyer, Elsa Hanewinkel, Fediverse: @filmeundserien
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