Die Ballade von Jimmy und Kim

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Better Call Saul – die größte Liebesgeschichte des 21.Jahrhunderts

Better Call Saul von Autor und Produzent Vince Gilligan ist viel mehr als nur ein Spin-off oder Prequel von Breaking Bad – darüber gibt es keine zwei Meinungen mehr. Mensch muss die eine Serie tatsächlich nicht gesehen haben um die andere zu verstehen. Zwei solitäre Monumente in der Wüste des Fernsehens. Doch darüber was „Saul“ aber eigentlich und wirklich ist, dazu gibt es viele verschiedene Ansätze der Interpretation. Hier folgt nun die meine…

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Dieses monumentale Werk über 64 Episoden ist in jedem Fall eine herausragende Serie, und sicher eine der großartigsten TV-Produktionen seit The Sopranos. Charakterentwicklung, komplexe Figuren, die nahtlosen Verbindungen zu „Breaking Bad“, hervorragende schauspielerische Leistungen, eine fesselnde Erzählstruktur und Spannung, thematische Tiefe und moralische Komplexität sowie meisterhafte Inszenierung und visuelle Ästhetik – mehr geht einfach nicht!

Breaking Bad

Wir erleben die Vorgeschichte von „Breaking Bad“ (ebenfalls AMC) und die Verwandlung des Anwalts Jimmy McGill zum Winkeladvokat und besten Freund der Unterwelt, Saul Goodman. Bob Odenkirk als Jimmy McGill, Jonathan Banks als Mike Ehrmantraut und Rhea Seehorn als Kim Wexler zeigen hier wahrscheinlich die großartigsten schauspielerischen Leistungen ihrer Karriere. Was allerdings noch zu abschließend zu beweisen ist.

Die Erzählstruktur verbindet Vergangenheit und Gegenwart, also vor der Zukunft, die wir aus „Breaking Bad“ schon kennen. „Saul“ untersucht dabei die individuelle, ewige (vergebliche) Suche nach menschlicher Anerkennung und die fundamentalen moralische Konsequenzen von Entscheidungen.

Die herausragende visuelle Ästhetik und Inszenierung der Stadt Albuquerque in New Mexico, dem weitgehenden Ort der Handlung, verdient dabei ganz besondere Erwähnung. – Denn dieser Ort steht für weit mehr als nur einer Kulisse in der Wüste. Subtile Symbole und haufenweise extrem skurrile visuelle Hinweise – eine auch schon in „Breaking Bad“ gepflegte Idee, werden hier endgültig zur Kunstform erhoben.

Was als emotionale Familiengeschichte über die tiefe Rivalität zweier Brüder beginnt, ist aber eben auch die originäre Verfilmung einer der größten Liebesgeschichten des 21. Jahrhunderts: Die Ballade von Kim & Jimmy.

Prolog: Die Familientragödie

Das Drama von epischen Proportionen (65 Folgen!) stellt uns Jimmy McGill vor, der als Anwalt um Anerkennung und Erfolg kämpft. Von Anfang an ist klar, dass seine Beziehung zu seinem älteren Bruder Chuck McGill komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint.

Chuck ist ein brillanter Jurist und Partner einer höchst angesehenen Anwaltskanzlei. Er leidet allerdings unter elektromagnetischer Hypersensibilität, einer Krankheit, die ihm das Leben in der modernen Welt schlechterdings unmöglich macht.

Jimmy, der jüngere, sehnt sich nach der Anerkennung durch seinen Bruder, wird von dem zwar asl nützlicher Helfer toleriert, doch herablassend und wie ein Aufschneider und Versager behandelt. Diese verletzte Sehnsucht von Jimmy ist die treibende Kraft und psychologische Erklärung der Motivation seiner Geschichte. Nicht mehr und nicht weniger. Sie begründet auch ursächlich alle von Jimmys Entscheidungen und Handlungen.

Die Tragik der Brüder

Die Beziehung zwischen Jimmy und Chuck ist also kompliziert. Wir erleben Momente der Versöhnung und intimer Nähe der Brüder, aber auch Momente des Verrats, der Verachtung, der Wut und einer tiefen Entfremdung. Denn Chuck ist eben auch tatsächlich zu tiefst eifersüchtig auf Jimmys Charme und seine Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen.

Die Tragik eskaliert in einem – für beide – verheerenden Ereignis, das unheilbare Wunden hinterlässt. Beziehungen prägen fast alle Charaktere, die wir später in „Saul“ und natürlich „Breaking Bad“ erleben.

Jimmy v/s Saul

Jimmy McGill / Saul Goodman ist ein Mann der vielen Facetten – zuvorderst unendlich charmant, schlagfertig und schlau – gleichzeitig von existenzieller Unsicherheit geprägt. Seine Zerrissenheit wird durch seine Beziehung zu seiner Kollegin Kim Wexler noch verstärkt.

Und diese Beziehung wird schnell zum eigentlichen Hauptaspekt der Serie – und ist hier mein zentrales Thema. Kim ist eine ebenso entschlossene wie hochtalentierte Anwältin, die, ganz wie Jimmy, ebenfalls „von ganz unten“ kommt und ihre ganz eigenen Ziele und Ambitionen verfolgt. Jimmy liebt Kim und will sie beeindrucken und beweisen, dass ihrer überhaupt würdig ist, weil er mindestens so fähig ist wie sie.

Die Ballade von Kim und Jimmy

Der faszinierendste Aspekt an dieser Liebesgeschichte in „Better call Saul“ ist die Anziehungskraft der Gegensätze. Zwei, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Jimmy ist chaotisch, schlitzohrig, streetsmart und neigt dazu auch sehr hohe Risiken einzugehen, während Kim äußerst analytisch, diszipliniert, klug und vorsichtig ist. Diese Unterschiede machen ihre Beziehung komplex und für die Erzählung so reichhaltig, da sie sich fortlaufend so in vielerlei Hinsicht widersprechen oder eben einfach auch perfekt ergänzen. Kim ist fasziniert von Jimmys unkonventionellem und charismatischem Wesen, während Jimmy die Stärke und die unbedingte Integrität von Kim bewundert.

Das zentrale Element der Beziehung zwischen Kim und Jimmy ist ihr tiefes Vertrauen zueinander. Von Anfang an unterstützt Kim ihren Kollegen Jimmy, wie er versucht, sich als Anwalt zu etablieren um so endlich aus dem Schatten seines Bruders zu treten. Sie glaubt an sein Potenzial, auch wenn er sich selbst ständig unterschätzt. Kim sieht immer seine guten Seiten und ist so auch immer bereit, ihm noch eine weitere Chance zu geben, und dann noch eine. Jimmy wiederum vertraut Kim bedingungslos. Sie ist Verbündete und Komplizin. Dieses fast bedingungslose Vertrauen repräsentiert die tiefe emotionale Bindung und ihre Loyalität macht sie zu einem unzertrennlichen – unschlagbaren – Team.

Die Unabhängigkeit der Liebenden

Die einzigartige Natur dieser Liebesgeschichte ist, wie unabhängig Kim und Jimmy in der Serie als Individuen gezeichnet sind. Beide haben ganz eigene Ziele und Ambitionen. Sie respektieren und unterstützen sich komplementär in ihren individuellen Bestrebungen und ganz ohne Vorbehalte, statt sich etwa gegenseitig in den Schatten stellen oder übertreffen zu wollen.

Diese Unabhängigkeit macht ihre Verbindung authentisch und bedeutungsvoll. Sie sind zusammen, weil sie sich als gleichwertige Partner schätzen und nicht etwa, weil sie voneinander abhängig sind – sei es emotional, wirtschaftlich, durch Erwartungen oder durch Konventionen gebunden oder getrieben.

Die Komplexität der Liebe

So eine Entwicklung ist nicht gradlinig. Im Gegenteil. Sie ist von Zweifeln, Herausforderungen und harten Rückschlägen geprägt. Beide Charaktere leben in Konflikten und Unsicherheiten, die ihre Beziehung fortlaufend massiv beeinflussen – und der Serie und ihren Personen in der Erzählung der Geschichte eine äußerst authentische Dimension ermöglichen.

Kim, die Idealistin, gerät in permanente moralische Konflikte, wenn sie Jimmys riskante und grenzwertige Entscheidungen miterlebt. Jimmy hingegen fühlt sich ebenso permanent unverstanden und den Erwartungen der Welt und Kims nicht gerecht. Dieser Widerspruch und diese Komplexität erscheint mir absolut realistisch und zutiefst menschlich. Sie zeigt: Wahre und bedingungslose Liebe ist wohl eben nicht grundsätzlich romantisch und strebt auch nicht nach Perfektion, sondern immer nach Ausgleich und Ergänzung. Deshalb wird sie auch immer von den Stärken UND Schwächen der Beteiligten geprägt.

Zusammen stärker als allein

Im Laufe der Staffeln sehen wir, wie diese Liebe zwischen Kim und Jimmy vielen, oft wirklich absurden Herausforderungen ausgesetzt und gewachsen ist. Es gibt Momente, in denen sie aneinander geraten und sich voneinander zu entfremden drohen. Doch die Belastbarkeit der Beziehung zeigt sich in ihrer Fähigkeit, diese Konflikte zu überwinden und so ihre Verbindung zu intensivieren, ja, tatsächlich, an all ihren Konflikten zu wachsen.

Das klingt zwar idealer, als es abläuft, doch sie schaffen es alle Schwierigkeiten zu überwinden und immer wieder einen Weg zurück zu einander zu finden. Der eine kann und will niemals und gar nicht ohne die andere und umgekehrt .

Die besondere Erotik einer Zigarette

Eine auffällige und bemerkenswerte Symbolik in der Beziehung von Kim und Jimmy sind immer wieder gemeinsam gerauchte Zigaretten. – (Erinnern sie sich hier auch zufällig an Spacey & Wright in „House of Cards“?)

Zusammen eine Zigarette zu rauchen steht über alle sechs Staffeln tatsächlich für die jeweils intimsten Momente der zwei Protagonisten – wenn sie über Pläne sprechen, wenn sie sich ihrer Unterstützung versichern oder wenn sie sich entspannt zurücklehnen und nur die Gesellschaft des anderen genießen. Diese Zigaretten symbolisieren Verbindung und Vertrauen. Ein stiller Schwur, immer füreinander da zu sein, egal was passiert.

Die Zigaretten haben daneben aber ebenso eine sinnliche und äußerst erotische Bedeutung. Ja, sie ersetzen tatsächlich die konventionellen Liebes-/Kuss- oder Sexszenen die wir als TV-Standards längst gewohnt sind. Jede einzelne Zigarette dient einem erzählerischen Zweck. Sie sind kein Beiwerk, sondern werden zelebriert, wenn Kim und Jimmy sich am allernächsten sind. In diesen Momenten, können sie ihre Gedanken und Gefühle teilen und sich verstehen, ohne Worte zu verwenden. Eine besondere Form der Kommunikation.

Eine solche (Lieblings-)Szene findet sich zum Beispiel in der Episode „Chicanery“ der dritten Staffel. Hier verteidigt Kim ihren Freund in einem Gerichtsverfahren gegen Chuck. Die Szene, eigentlich sehr einfach, zeigt Kim und Jimmy, wie sie sich vor dem Gerichtsgebäude auf einer Bank entspannen und eben eine Zigarette rauchen. Es ist ein einfacher Moment der Ruhe und gleichzeitig Symbol einer tiefen, intimen Verbindung unter der eigentlich unmenschlichen Anspannung des Gerichtsverfahrens.

Eine weitere, äußerst denkwürdige Szene findet sich in der Episode „Winner“ der vierten Staffel. Hier befindet sich Kim zuvor in einer wirklich lebensgefährlichen Situation, nachdem sie in einen Autounfall verwickelt wurde. Jimmy eilt zur Hilfe und sie suchen Schutz in einem nahegelegenen Motelzimmer. Dort rauchen sie, halten sich in den Armen und spenden sich Trost…

Und – natürlich auch noch die vorletzte Szene der Serie überhaupt – in der Episode „Saul gone“ der sechsten und letzten Staffel – die sprichwörtliche „letzte Zigarette“. Wenn nur eine einzige Einstellung es verdient hat, dann muss dieses Finale bitte in das Pantheon der größten Momente in der Film- und TV-Geschichte aufgenommen werden, weil es von so unendlicher Poesie ist, und ganz ohne Worte…

Epilog

„Better Call Saul“ ist für mich tatsächlich eine der größten Liebesgeschichten des noch jungen 21. Jahrhunderts. Sie erinnert daran, dass wahre Liebe auf Vertrauen, Respekt und Unabhängigkeit basiert und ganz sicher niemals den Konventionen klassischer Boy-meets-Girl Geschichten folgt. Die Serie hat – nicht nur bei mir – einen ewig bleibenden Eindruck hinterlassen. Und, wenn sie mich fragen, dann hat sie – gerade aufgrund ihrer tiefen Menschlichkeit, und damit sogar noch mehr als das abgründige „Breaking Bad“ – ihren Ruf als eine der besten, bedeutendsten und fesselndsten Serien unserer Zeit mehr als absolut verdient.

Ja, ich möchte mich fast schon wieder hinsetzen und mir die 64 Folgen gleich ein weiteres Mal ansehen.

Thank you for smoking!

Nachtrag: Was „Better call Saul“ nebenbei, eben auch und deshalb wirklich überhaupt nicht ist: Diese Serie ist kein Justiz/Gerichts-/Anwalt:innendrama – auch wenn Gerichte eine durchaus zentrale Bühne für die Protagonist:innen sind. Die Serie ist zärtlich und manchmal äußerst brutal, manchmal haarsträubend lustig, meistens bunt und manchmal schwarz weiß. Obwohl im Laufe der Jahre einige Menschen erschossen werden oder auf andere absurde und manchmal brutale Art ums Leben kommen, ist es keine Kriminalgeschichte. Und obwohl auch hier pharmazeutische Drogen und mexikanische Kartelle eine durchaus signifikante Rolle spielen, ist es kein Drogenhandelsthriller. Im Grunde seiner Natur ist diese Serie nur eine kleine Geschichte von Menschen die sich irgendwie durchzuschlagen versuchen. In einem wirklich ganz großen Format!

Sie könn(t)en was für’s Leben lernen!


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