Deutschland auf der Anklagebank – Ökozid (2020)

Dieser Film steht auf der Seite der Wissenschaft. Fakten werden zu Geschichte. Und ein öffentlich-rechtlicher Spielfilm, angelegt als Gerichtsdrama, zu einem aktivistischen Aufruf, die Katastrophe aufzuhalten. Die ARD-Produktion von 2020 braucht ein Update. Denn auch Olaf Scholz gehört inzwischen so sehr auf die Anklagebank wie Frau Merkel. Und für die Herren Lindner und Habeck findet sich auch noch ein Platz. Einschalten werden die Herren bei dieser Wiederholung aber sicher nicht.

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Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird häufig, und meistens zu Recht, vorgeworfen, sich zu häufig in Partikularinteressen (Lobbyismus) zu verlieren, statt sich der Klimakatastrophe und ihrer Konsequenzen zu widmen. Doch für diesen Film haben sich die Vorwürfe mal gedreht. Denn dieser Film ist tatsächlich purer Aktivismus. Und das auch noch in einer künstlerischen Herangehensweise, die selten ist. Für manche Zuschauer*in war das im Corona Jahr 2020 tatsächlich zu viel.

Ökozid ist Traktat, Drama und forensische Untersuchung – ein Gerichtsprotokoll aus der Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2034. Eine Koalition von 31 Staaten des Globalen Südens klagt vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik Deutschland in der Hoffnung, ein Präzedenzurteil werde die Möglichkeit eröffnen, auch andere Industrienationen zur Verantwortung zu ziehen. Bisher galt der Klimawandel als eine Katastrophe in Zeitlupe. Ein Verbrechen an der Zukunft, welches seine Beweise in der Gegenwart geschickt vertuscht.

(Programm der Theaterinszenierung des Schauspiel Stuttgart, 2021/22)

Andres Veiel ist Dokumentarfilmer, Autor, Theatermacher und in all diesen Ausprägungen ist er immer auch Aktivist. Sein Werk ist immer zu tiefst politisch. „Ökozid“ war erst sein zweiter Spielfilm, nach „Wer, wenn nicht wir?“ (2011) über die Vorgeschichte der RAF. Doch ist das hier nicht eigentlich Science-Fiction, weil er im Jahr 2038 spielt?

Wenn es das Genre des Science-Fiction-Dokumentar-Geschichts-Dramas gäbe, dann wäre der Film wohl eben genau das… im Grunde aber ist die Zukunft hier nur Projektion einer Kulisse und alle Fakten real. Die Spielhandlung ist fiktiv, doch Protagonist*innen und Mechanismen kennen wir alle zu gut und schon viel lange.

Was hat Sie von diesen gewonnenen Recherche Erkenntnissen am meisten schockiert?

Thomas Kufus: Die Chuzpe der Automobil- und EnergieLobby, bewusst auf Kosten anderer mit unabsehbaren Folgen ihre Eigeninteressen durchsetzen zu wollen und können.

Jutta Doberstein: Und die Diskrepanz zwischen dem Ruf, den Deutschland international genießt, und der Wirklichkeit. Seit Ende der 60er-Jahre ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Das haben auch die Bundesregierungen unter Schröder und Merkel nie in Zweifel gezogen. Im Gegenteil, gerade Angela Merkel hat sich international als Vorkämpferin des Klimaschutzes einen Namen gemacht. Alles nur Inszenierung? Die Recherche belegt eine Folge verpasster Chancen, Jahr für Jahr. Deutschland hat seine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz nicht nur leichtfertig verspielt, sondern hinkt auch in der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien anderen Ländern um Jahre hinterher.

Andres Veiel: Ein Fehler, der sich in den kommenden Jahren dramatisch rächen wird. Die zitierten Fakten im Drehbuch wurden übrigens von Fachberatern für den Emissionshandel und die Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor überprüft. Wichtig war uns, auch die Verteidigung der Bundesrepublik mit einer fundierten Argumentation auftreten zu lassen. Auch hierfür recherchierten wir ausgiebig.

(Quelle: Interview mit Andres Veiel (Regisseur und Autor), Jutta Doberstein (Autorin) und Thomas Kufus (Produzent) im Presseheft der ARD, 2020)

Was in diesem Film allerdings (leider noch) fehlt, das sind die Nachfolgeregierungen der Dr. Merkel. Auch wenn es 2020 noch unvorstellbar, ja, wirklich Science-Fiction, gewesen sein mag, dass ausgerechnet ihr eigener Finanzminister tatsächlich einmal eine Bundesregierung von SPD, FDP und den Grünen anführen sollte. Dass der 94 jährige Gerhard Schröder sich währenddessen „zur Kur“ in Russland aufhalten sollte… die Fußnote konnte mensch 2020 dagegen noch bringen…

Das Abschlussplädoyer der Exkanzlerin ist natürlich komplett fiktiv und kommt deshalb zutiefst moralisch daher. Denn im Prinzip gibt die Ex-Kanzlerin zu: Wir haben alles gewusst, ignoriert, verdrängt und nicht gehandelt.

Und dann haben wir einfach so weiter gemacht.

Fragen sie mich nicht, ob für diesen Film nicht der Tatbestand des „betreuten Denkens“ erfüllt ist. Tatsächlich ist er ja ganz nahe dran. Auf die Kritik anderer dazu einzugehen, hieße etwa die Manierismen und das unglaubwürdige Make-Up der Merkel-Figur, oder des kaum gealterten Zamperoni zu thematisieren. Das manche Kritik derartig unpolitisch, ja borniert gewesen ist, dazu kann ich mich auch vier Jahre später nicht verhalten. Denn natürlich ist die Spielhandlung totale Fiktion und vollkommen unrealistisch. Frau Merkel wird zunächst mal ihre Memoiren zu Geld machen – und mit ziemlicher Sicherheit nicht als Klima-Aktivistin wiedergeboren.

Dieser Film ist ein spröder, sperriger, nicht einmal wirklich spannender Holzhammer. Für einen ebenso groben Klotz. Hier geht es nicht um „das retrospektive Ausmachen von Schuldigen“ (Oliver Jungen, FAZ). Hier geht es um Kunst und darum, den politisch Verantwortlichen morgen und in aller Zukunft angesichts der Klimakatastrophe keine Ausreden mehr zu erlauben und sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Besser wäre es, sie würden ihr Handeln noch im HEUTE ändern!

Eine naive Hoffnung? Vielleicht.

Aber NOTWENDIG!



Fernsehfilm, Deutschland, 2020
FSK: 0
Regie: Andres Veiel
Drehbuch: Andres Veiel, Jutta Doberstein
Produktion: Thomas Kufus
Musik: Ulrich Reuter, Damian Scholl
Kamera: Matthias Fleischer
Schnitt: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer
Mit: Utsav Agrawal, Friederike Becht, Martina Eitner-Acheampong, Nina Kunzendorf, Edgar Selge, Ulrich Tukur, Hans-Jochen Wagner, Sven Schelker, Frank Röth, Falk Rockstroh, Ingo Zamperoni


2 Antworten

  1. Avatar

    @mediathekperlen Fehlt nur noch der Mediatheken-Link – oder hab ich den übersehen?
    https://www.3sat.de/film/fernsehfilm/oekozid-104.html

    1. Mediathekperlen
      Mediathekperlen

      Lieber Stefan, den hast du wohl übersehen… kein Problem. Aber vielleicht sollte ich mir da mal eine etwas auffälligere Gestaltung einfallen lassen? Weil ich da ein hochwertiges HTML Kompendium zum Nachschlagen kenne, kann das ja nicht so schwer sein! 😂

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