Wolfgang Menge – Das Millionenspiel (1970)

Morgen würde Wolfgang Menge seinen 100. Geburtstag feiern. Anlass genug für die ARD und den WDR, eines seiner Meisterwerke zurück in das Programm zu holen, welches in jeder Hinsicht seiner Zeit voraus und zu seiner Zeit schon ein so verstörendes Werk, wie danach nur wenig im Deutschen Fernsehen gewesen ist. „Genial“ ist da zu wenig.
Jörg Pleva in „Das Millionenspiel“ (1970) – Bild: WDR

Zur ersten Ausstrahlung des Fernsehfilms „Das Millionenspiel“, war ich erst fünf Jahre alt. Natürlich durfte ich das damals noch nicht sehen. Und erst 30 Jahre später konnte der Film wieder im Fernsehen gezeigt werden. Doch angesichts des riesigen Skandals, der seine Aufführung 1970 gewesen ist, lag der Grund dafür, dass er so lange im Giftschrank des WDR verschwinden musste, an etwas vergleichsweise profanem: Den Urheberrechten an der von Wolfgang Menge adaptierten Kurzgeschichte von Robert Sheckley.

Um so länger der Film von Tom Toelle aber der Öffentlichkeit entzogen war, um so größer wurde sein Mythos. Im Grunde war es, als hätte Menge auch diese Entwicklung vorhergesehen. Denn so hat der Film ganz erheblich auch zum ganz eigenen Mythos seines Autors beigetragen.

Wolfgang Menge, das ist für viele jüngere Menschen ja tatsächlich Fernseh-Archäologie, hat zum Beispiel auch „Stahlnetz“ (1958–1968) – die erste „True-Crime“ Krimiserie der Welt erfunden, oder – heute noch ein TV Quotenbringer – Ein Herz und eine Seele“ (1973–1976) – die erste deutsche Sitcom, oder mit „Smog“ (1973) – den ersten Dokumentarthriller für das deutsche Fernsehen geschrieben, er war auch noch Moderator bei 3 nach 9, der ersten TV Talkshow in Deutschland, hat für den Tatort geschrieben… und, und, und. Die Liste ist nahezu endlos. „Das Millionenspiel“ war die Erfindung des Reality-TV, 14 Jahre bevor es überhaupt Privatfernsehen in Deutschland geben sollte.

Das war, alles in allem, ein großes Leben, welches in unserem kulturellen Erbe nicht nur all diese Werke, sondern auch so viel Spuren im „Quellcode“ hinterlassen hat, ohne den das Fernsehen, so wie wir es kennen, ziemlich unvorstellbar wäre.

„Im Film kommt alles vor, was am Fernsehen bis heute kritisiert wird: Werbung, die vom Programm kaum zu unterscheiden ist; Quotendruck, der wichtiger ist als Menschlichkeit; und ein Moderator aus der echten Fernsehwelt. Dieter-Thomas Heck verkörpert den Showmaster Thilo Uhlenhorst. Heck trägt viel dazu bei, die Fiktion täuschend echt erscheinen zu lassen: Er spielt keine Rolle, sondern präsentiert das „Millionenspiel“ wie seine „Hitparade“, inklusive Auftritten des Fernsehballetts. Toelle und Menge zeigen viele Details, die heute längst Fernseh-Alltag sind: Im Studio zittert die Mutter des Kandidaten; Straßenumfragen stilisieren die Sendung zum Großereignis; Außenreporter kommentieren die Menschenjagd wie ein Sportereignis; eingestreute Werbespots verkaufen Empfängnisverhütung und Leichenkosmetik.

WDR Hörfunk – „Stichtag“ vom 18.10.2010

Alleine deshalb ist „Millionenspiel“ ein Pflichtprogramm. Und das meine ich mit allem mir zustehendem Ernst! Vor allem für jene, die eine der wenigen Wiederholungen versäumt haben, oder gar jene, die zu seiner Zeit zu jung oder schlicht und einfach noch gar nicht geboren waren. Denn es ist sehr viel mehr als hübsche Fernsehnostalgie mit Dieter Thomas Heck oder Dieter Hallervorden. Obschon alleine für diese beiden späteren (für deutsche Verhältnisse) TV-Superstars damals noch nicht im Entferntesten abzusehen war, wie sehr auch sie sich in unserem kollektiven Gedächtnis einbrennen würden.

Klicken sie doch mal in die Wikipedia und scannen sie die Liste all der Werke, die wohl direkt oder indirekt auf diesen Film zurückzuführen wären.



Mediensatire, Deutschland, 1970, FSK: ab 12, Regie: Tom Toelle, Drehbuch: Wolfgang Menge, Produktion: Peter Märthesheimer, Musik: Irmin Schmidt (Can), Kamera: Rudolf Holan, Jan Kališ, Schnitt: Marie Anne Gerhardt, Mit: Jörg Pleva, Dieter Thomas Heck, Dieter Hallervorden, Josef Fröhlich, Theo Fink, Friedrich Schütter, Peter Schulze-Rohr, Annemarie Schradiek, Elisabeth Wiedemann, Joachim Richert, Heribert Faßbender, Werner Sonne, Arnim Basche, Gisela Marx, Andrea Grosske, Suzanne Roquette, Ralf Gregan


2 Antworten

  1. Avatar

    @mediathekperlen
    Für mich als damals 11 jähriger war das sehr intensiv und verstörend.

    1. Avatar
      rhrwllnrtr

      @MichaelimOdenwald @mediathekperlen

      Puh, ja, das kann ich mir wirklich vorstellen! Ich habe den Film erst als Erwachsener gesehen, doch „verstört“ hat er mich auch da noch.

      Und je mehr wir in der Geschichte vorankommen, umso verstörender wird eigentlich auch der #FIlm. Denn so etwas hellsichtiges, zumal als #ARD Fernsehproduktion, gab es danach nur sehr sehr selten.

      Erschreckend, wie sehr die die Realität sich der Fiktion angenähert – und sie durchaus auch schon überholt hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert