Kein anderes Genre steht mehr für das deutsche Fernsehen, als der Krimi an sich. Und noch vor dem sonntäglichen Tatort-Ritual (und seinen wochentäglichen Wiederholungen) kommt da der deutsche Provinzkrimi. Und irgendwie, jedenfalls in meiner Wahrnehmung, fließt da alles zusammen. Ich komme schon lange nicht mehr mit.
Sehr froh und geradezu glücklich bin ich deshalb über das Spielfilm-Debüt von Mareike Wegener. Weil er eben genau das ist: nur ein deutscher Provinzkrimi. Ganz gewiss nicht mehr. Doch ist es endlich einmal einer, der alle meine diesbezüglichen Sehgewohnheiten aufbricht. Und weil das so ist, können wir ihn kaum verwechseln. Am ehesten noch mit einem Murot, dem experimentellsten aller Tatorte. Allerdings ohne Felix Murot.
Doch stellen wir uns einmal vor, uns würde am Sonntagabend nach Klaus Doldingers Intro etwa ein Film im 4:3 Format präsentiert. Das Internet würde explodieren und irgendein Mensch in der Redaktion der Bildzeitung hätte sich spätestens zur 21:00 Uhr Marke wohl selbst entleibt. „Die GEZ muss weg!“ Aber mindestens.
Ja, an der Stelle, wo die Filmkritik dieses Werk in einen Kontext, etwa mit David Lynch, gestellt hat, da hat sie mich ja schon für den Film gewonnen. Und mit dem Interview, in welchem die Filmemacherin das auch noch explizit zugibt, war mir klar, dass ich das unbedingt sehen wollte.
Wie wichtig war dieses Spiel mit dem liebsten Genre der Deutschen, dem Krimi?
Sehr wichtig, was auf eine weitere Wurzel des Films verweist, meine Herkunft. Das Dorf, das Moor, das sind Elemente meiner Herkunft, und da gehört auch dieses sonntägliche „Tatort“-Sehen dazu. Das dann zu unterlaufen macht Spaß. Ich mochte es, die Dinge anzureißen, dann aber doch in eine andere Richtung zu gehen, um mich auszuprobieren, aber auch um durch das erzählerische Hakenschlagen die Zuschauer mehr zu involvieren.
(Mareike Wegener im Interview mit Michael Meyns, taz, 24.11.2022)
Der schönste Dialog im Film ist sicher der, zwischen Felix Römer und einem Papagei: „Du sagst immer das Gleiche“ – „Du auch“. Bam! Die traurige, aber auch romantische Mythologie der griechischen Bergnymphe beschreibt so auch das rosafarbene Kriegstrauma der ermittelnden Kommissarin und ihre Gefangenschaft in endlosen Wiederholungen des Erlebten. Außerdem gibt es eine Moorleiche, einen Bombenblindgänger aus dem II. Weltkrieg und ein Zwangsarbeiterlager der Nazis.
Einmal Erlebtes und Geschichte wiederholt sich nicht. Doch das Echo davon, jenseits der Provinz, werden wir nicht los. All das steckt auch in Wegners Film. Er ist eine einzige, intelligente, post-traumatische Provokation. Und das auch noch (ko-)finanziert von ihrer Haushaltsabgabe!
Ich hoffe hiermit sehr, dass dieses nicht der letzte Spielfilm von Frau Wegner gewesen ist. So sehr ich mir wünsche, sie möge sich niemals wiederholen, so sehr würde ich gerne mehr von ihr sehen.
Krimi, Deutschland, 2022, FSK: ab 16, Regie: Mareike Wegener, Drehbuch: Mareike Wegener, Produktion: Hannes Lang, Mareike Wegener, Musik: Thom Kubli, Kamera: Sabine Panossian, Schnitt: Mareike Wegener, Mit: Valery Tscheplanowa, Ursula Werner, Andreas Döhler, Felix Römer, Oskar Keymer, Marina Galic, Nico Kleemann
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