In der Welt gibt es einfach mehr Konflikte, Krieg und Terror, als ein durchschnittlich politisch interessierter Mensch verarbeiten kann. Da bleibt es nicht aus, dass der neueste Schrecken den gerade erst geschehenen schon wieder überlagert. Jedes Kino, irgendwo auf der Welt, ist deshalb ein wichtiger Ort, um Erinnerung zu schaffen.
Hier zitiere ich zunächst die von mir sehr verehrte Frau Berg. Vor einigen Wochen erst gelesen und auf den Kontext passend, wie von ihr souffliert:
Eine Katastrophe ist geschehen. Luft anhalten. Bis 100 zählen dann – ziehen die erregten Medien weiter? Die Aufmerksamkeit wendet sich etwas anderem zu. Dem Wetter. Dem Winter, einer anderen Katastrophe, einem anderen Leid. Der Moment der Anteilnahme scheint vorüber. Der Moment, da sich Menschen in andere Menschen fühlen können, in ihr Leid, ihr bodenloses Erstarren, in den Moment, in dem die Welt jener, die Geliebte verloren haben, sich nicht mehr dreht. Grau geworden ist, dumpfes Rauschen.
@SibylleBerg – Wofür sind soviele gestorben | Tacheles.ch, 17.11.2023
Und jetzt mal ehrlich: Wer hat denn bei uns heute noch, zum Beispiel den 11. September 2001 auf dem Zettel? Wer erinnert sich noch an die 20 Jahre Krieg im Irak und Afghanistan? Und das war ja tatsächlich auch „erst gestern“…
Der Krieg gegen den Terror
Die „Herstellung von Erinnerung“ ist eine der wichtigsten Rollen der Kultur. Und, ob wir es wollen, oder nicht, der Einfluss von Filmen auf unser kollektives Gedächtnis ist größer, als uns häufig bewusst ist. So werden wir auch von Hollywood mitunter manipuliert, mitunter werden wir aufgeklärt und mitunter werden wir erinnert.
Denn der 2001 von den USA erklärte „Krieg gegen den Terror“ ist noch keineswegs vorbei. Er führt noch jeden Tag zu neuen Opfern. Und seien es das Recht und die Würde der Menschen, die seit Jahrzehnten hinter Gittern sitzen, ohne jemals ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen zu haben, oder von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden zu sein.
Guantanamo – Die historische Schande
Weil die ARD nun für sieben Tage den Film „Der Mauretanier„ (2021) von Kevin Macdonald wieder in das Programm der Mediathek aufgenommen hat, ist das eine gute Gelegenheit sich daran zu erinnern, dass noch immer rund 30 Menschen in Guantanamo Bay, einem exterritorialen Gefängnis der USA auf ihrem Militärstützpunkt auf Cuba festgehalten werden.
Es ist, soviel sei verraten, eigentlich kein klassisches Gerichtsdrama. Es ist weit mehr. Spannung vermittelt die wahre und verstörend realistisch inszenierte Geschichte und ein wirklich ganz hervorragender Cast. Und die drastische Realitätsnähe der im Prozess verhandelten Folter und menschenverachtenden Behandlung des Angeklagten Mohamedou macht diesen Film zutiefst erinnerungswürdig.
Um so mehr er uns auch an die Schuld und die Verantwortung für die fortwährenden elementaren Menschenrechtsverletzungen erinnert, die alle US-Administrationen von Bush jun., über Obama, Trump, bis hin zu Biden tragen. Denn „Gitmo“ ist bis heute eine Realität, die wir unter keinen Umständen vergessen dürfen.
Nicht zu Unrecht hat Hollywood-Veteranin Jodie Foster für ihre Darstellung einer Menschenrechtsanwältin einen weiteren Golden Globe für ihre Sammlung entgegennehmen dürfen. Ihr Partner, Benedict Cumberbatch, hier ein am System zweifelnder Ankläger des US-Militärs, steht ihrer Leistung nicht im Geringsten nach.
Meine größte Bewunderung gilt aber dem Hauptdarsteller Tahar Rahim, der sich für die Rolle des Gefangenen, Folteropfers und Angeklagten sichtlich nicht geschont hat. Ich kannte ihn zuvor nur aus der niedlichen französischen Sozialkomödie „Heute bin ich Samba“ (2014), die ich damals sehr gemocht habe. Wo dort allerdings in Rahims kleinerer Sidekick-Rolle noch nichts von dem zu ahnen war, was er im dann im „Mauretanier“ zu demonstrieren wusste.
Ein wichtiger Film!
Spielfilm, USA, UK, 2021, FSK: ab 12, Regie: Kevin Macdonald, Buch: Michael Bronner (nach dem Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi), Mit: Tahar Rahim, Benedict Cumberbatch, Jodie Foster, Shailene Woodley, Zachary Levi
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