Bruno Dumont, Léa Seydoux – „France“ (2021)

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„Ein Porträt von Frankreich als Land kurz vor der Explosion. Melodram, Tragödie und absurdes Drama zugleich, ein Leben wie aus einem Roman von Guy de Maupassant, mit all seinen triumphalen, aber auch schrecklichen Prüfungen. France, gespielt von einer Léa Seydoux, die im Film alles gibt, erzählt uns von uns selbst.“ (ARTE)

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Das Phänomen ist nicht neu und es ist sicherlich auch kein spezifisch französisches. Denn wenn Bruno Dumont hier die Medienmaschine unseres Nachbarlandes als Gegenstand und Hintergrund des Dramas um eine junge und überaus erfolgreiche Journalistin, der „France de Meurs“, inszeniert, übt er damit eine universell und international gültige Medienkritik, mitten aus der Wirklichkeit.

Subtil ist es eigentlich gar nicht, höchstens morbid, wenn nicht zynisch, seine Protagonistin „Frankreich des Todes“ zu nennen. Doch weil das eben nur eine mögliche Übersetzung ist, und ebenso „vergehen“, „verschwinden“, „erlöschen“, „untergehen“, „sterben“ bedeuten könnte, suchen Sie sich einfach aus, was Sie mit dem Namen assoziieren wollen.

Die junge Frau steht im Mittelpunkt eines Filmes, der Sie durchaus unterhalten möchte. Tatsächlich ist er eigentlich eine dramatische und, ja, manchmal auch komische Satire, ein bis zur Kenntlichkeit der Realität verfremdetes Selbstbild des Medienbetriebes, von dem ja auch das Kino, und damit die Filmkunst, ein wesentlicher Teil ist.

Nach großen Erfolgen mit Sozialdramen hat sich der Franzose als der humorvollste Misanthrop des Weltkinos neu erfunden und unter anderem ein Metal-Musical über Jeanne d’Arc gedreht. In »France« wendet er sich nun gegen das bildungsbürgerliche Publikum, das die Nase über die Neuen Medien rümpft und sich gleichzeitig mit altbackenen Läuterungsgeschichten abspeisen lässt. Ein ums andere Mal lässt Dumont Seydoux bittere Tränen vergießen. Doch die Tränen kullern ins Nichts, France ändert sich nicht. Das macht den Film zu einer Frustration, aber einer heilsamen: Wer sich von seinen Erwartungen nach dramatischer Krise und anschließender moralischer Klarheit gelöst hat, der kann auch der Aufregung auf Twitter, Telegram und Bild TV gelassener entgegensehen. 

Hannah Pilarczyk, Spiegel.de, 09.06.2022

„Un regarde sur le monde“ – Ein Blick auf die Welt – so der Name der Sendung unserer Heldin – ist der Film in jedem Fall. Auch wenn dieser Blick unser Vertrauen in die inszenierte Wirklichkeit, die uns durch Medien vermittelt wird, durchaus erschüttert, ist er, so glaube ich, soweit er uns hinter die Kulissen schauen lässt, durchaus ziemlich nahe dran, an eben dieser. Eben so weit, als dass wir für plausibel halten können, was wir sehen.

Die von Dumount als multimedial, bis in das Privatleben jederzeit verfügbar inszenierte Journalistin steht hier zwar als Frau im Zentrum, sie ist aber durchaus universell auf all jene zu übertragen, die, egal welchen Geschlechts, von ihren Medien als „Marken“ inszeniert werden.

Und damit trifft der große französische Filmemacher voll ins Schwarze. Denn um das zu verifizieren, genügt ein Blick in ihr tägliches Fernsehprogramm (oder auf YouTube). Und wenn, wie bei Madame de Meurs, die Präsentation wichtiger als die Nachricht wird, und die Person zur Nachricht, dann ist der Journalismus am Ende.

Für den Film und seine (fiktive) Geschichte gibt es keine Grenzen. Hier gehen die „Person des öffentlichen Lebens“, die Journalistin, die Mutter und die moderne Frau in einer Person auf, die wir nicht lieben können, weil wir längst schon zu viel über sie wissen. Die Liebesgeschichte zur Mitte des Films braucht es für mich nicht, denn dort hat auch meine Empathie längst ihre Grenzen, weil die Geschichte selbst diese schon als Mittel der Manipulation entlarvt hat. (Die Idee mit der Kanzlerin war aber schon nett.)

Für Léa Seydoux war diese Rolle vermutlich ein Traum. Ihre Heldinnenreise hat so viele Brüche, ihre Figur soviel persönliche Tragik und, aus der Geschichte vermittelte, Super-Star-Power, eine so vielschichtige Rolle spielen zu dürfen ist selten. Und einen Film, über zwei Stunden, ganz alleine zu tragen, ohne die Aufmerksamkeit des Publikums überzustrapazieren, das ist tatsächlich großartige Kunst.

Entscheiden Sie sich, diesen Film zu sehen, dann gehen Sie ein nicht ganz unerhebliches Risiko ein, die Fernsehnachrichten zukünftig mit anderen Augen zu sehen. Das gilt insbesondere für jene, die vorgeben, ihnen davon zu erzählen.

Ich brauch‘ frische Luft.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 28.09.2024 veröffentlicht.



Drama, Frankreich, 2021, FSK: ab 12, Regie: Bruno Dumont, Buch, Bruno Dumont, Produktion: Dorothe Beinemeier, Rachid Bouchareb, Jean Bréhat, Musik: Christophe, Kamera: David Chambille, Schnitt: Nicolas Bier, Mit: Léa Seydoux, Blanche Gardin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, François-Xavier Ménage, Juliane Köhler, Marco Bettini, Gaëtan Amiel, Jawad Zemmar,


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