Ein ziemlich großartiger, ja ultimativer Sportfilm: Selbst, wenn Sie mit der Disziplin Baseball eigentlich überhaupt nichts anfangen können, lohnen sich die zweieinhalb Stunden vor dem Fernseher. Auch weil es hier um weit mehr geht, als nur das Ballspiel, in dem die Algorithmen am Ende gewinnen.
Vor einigen Jahren habe ich gute viereinhalb Stunden meines Lebens investiert, um dem Mythos von „America’s favorite Pastime“ auf den Grund zu gehen. Und meine Recherche war ganz sicher keine theoretische oder etwa über einen TV Bildschirm vermittelt, sondern fand am 07. Juli 2008 im PNC Park in Pittsburgh, Pennsylvania, USA, statt, dem Baseball-Stadion der Pittsburgh Pirates. Das Spiel gegen die Houston Astros gewannen die Pirates mit 10:7.
Ganz ehrlich: Völlig verstanden habe ich das Spiel nicht. Auch mein in Pittsburgh lebender amerikanischer Freund, Sport-Experte, Navy Veteran und lebenslänglich Künstler und ein nur ein paar Millionen eingeweihter Fans bekannter Saxophonist aus New Jersey, hat mir da nicht wirklich helfen können. Während des Spiels war uns mehr als einmal so langweilig, dass ich die Gänge zum Bier und Hotdog-Stand mit ihm als willkommene Abwechslung zum Geschehen auf dem Rasen wahrgenommen habe.
Regelrecht aufregend dagegen dieser wahnsinnig exzellent besetzte Film, der tatsächlich schafft, mich 2 1/2 Stunden vor dem Bildschirm zu fesseln. Und das, weil er gerade die Art und Weise beschreibt, die ich am (bei weitem, nicht nur dem amerikanischen) Profisport zutiefst verachte. Denn die Kultur und die Mechanismen des Profisports bringen es mit sich, dass Sportler:innen nicht viel mehr als eine Handelsware sind. Und gerade dieser Aspekt wird in diesem Film kein bisschen verleugnet. Da wird gekauft und verkauft, ohne jede Regulierung. Vor der Saison, während der Saison, quasi, so gar während der Spiele. „Hire & Fire“ eben. Sport als turbo-kapitalistisches Börsenspiel in Echtzeit.
Naheliegend war es, deshalb den Manager eines Klubs (Brad Pitt) zur Konstante und dem Protagonisten im Zentrum der Geschichte zu machen. Was auch tatsächlich der wahren Geschichte entspricht, auf welcher dieser Film basiert.
Die Obsession der amerikanischen Ligen über Statistik ist beileibe keine neuzeitliche. Und keine Sportart hat dieses tiefer verinnerlicht, als Baseball. Und wenn dann 100 Jahre alte Kultur und ihre Traditionen auf die Wunder der Informationstechnologie treffen, dann wirft das tiefe Konflikte auf.
Schon in den ersten Szenen wird die grandiose Erzählleistung dieses Films deutlich, der durch Detailtiefe fasziniert, aber dennoch bei seinem Publikum keinerlei Vorkenntnis voraussetzt: Selbst Zuschauer, die noch nie in ihrem Leben mit Baseball in Berührung gekommen sind, werden dank des virtuosen Skripts sofort die dramatische Dimension begreifen, die Beanes Abkehr vom Althergebrachten hat.
(David Kleingers, „Ganz großer Wurf, Brad Pitt!“, Spiegel-Online, 01.02.2012)
Sie kennen und verzeihen mir die Analogie des großen Essener Fußball-Philosophen Otto Rehhagel: „Geld (allein) schießt keine Tore“. Das, am Ende des Films, überlegene (nicht aber unbedingt siegreiche) Team ist hier eben nicht jenes, das am meisten Kapital investiert, sondern welches sich der modernen Technik („Sabermetrics“) bedient, statt an Instinkten, Gefühlen und (vielleicht wirklich) überlieferten Vorurteilen festzuhalten.
Heute macht das die AI. Künstliche Intelligenz, die am Ende auch nichts anderes ist, als Statistik auf Steroiden. Menschen sind nur mehr Spielfiguren, ein Team das Ergebnis von Algorithmen.
Irgendwie kein Zufall, dass dieser Film von denselben Autoren (u.a. Aaron Sorkin) und Produzenten stammt, die vorher noch Zuckerbergs Semi-Biographie in dem Film „The Social Network“ (2010) verfilmt haben.
Bis zu „Moneyball“ war Kevin Costners epischer Traum „The Field of Dreams“ (1989, Regie: Phil Alden Robinson) der ultimative Baseball-Film für mich. Denn dort ging es um Romantik, Träume, Gefühle, Sehnsüchte und Helden einer untergegangenen Ära. Die Zeiten haben sich geändert, denn tatsächlich hat „Moneyball“ diese Romantik absolut nachhaltig zertrümmert und damit das Sportfilm-Sujet 2012 endgültig in die Gegenwart transformiert.
Sie können es, wie ich, bedauern. Doch letztlich funktioniert dieses System ja inzwischen nicht nur in diesem uramerikanischen Sport, sondern in ganz ähnlicher Weise durch alle professionellen und kommerziell betriebenen Ligen weltweit. Fragen Sie doch, zum Beispiel, mal Max Eberl.
Das tatsächlich Besondere an dieser wahren Geschichte ist, dass ihr Protagonist, Billy Beane, ganz anders als Eberl, viel besser bezahlte Angebote viel finanzstärkerer und deshalb erfolgreicherer Clubs konsequent zurückgewiesen hat. Er arbeitet noch immer für seinen Heimatverein, die Oakland Athletics.
Damit ist er hier womöglich tatsächlich der letzte „romantische“ Held.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 14.01.2024.
Nachtrag am 02.10.2024:
Bereits am 20. April 2023 hat der Eigentümer der Athletics den Umzug des Teams nach Las Vegas, Nevada verkündet. Vor ein paar Tagen, am 26.09.2024 hat sich das Team mit einem 3:2 Heimsieg gegen die Texas Rangers von seinen Fans und der Stadt verabschiedet. So verliert Oakland auch sein letztes verbliebenes professionelles Sport-Team. Und damit findet eine mehr als 125 Jahre lange Geschichte ihr Ende:
»Wir haben die Raiders verloren. Die Warriors sind nach San Francisco umgezogen. Jetzt wollen sie die A’s aus Oakland vertreiben. Sie sollen alle zur Hölle fahren.«
Ob die Redaktion des @ZDF diesen Film aus Anlass dieses sporthistorischen Ereignisses zurück in das Programm genommen hat, oder ob es nur ein glücklicher Zufall war, können wir nur vermuten. Angemessen ist es in jedem Fall. Und in meiner, durch keinerlei Wissen getrübten Wahrnehmung, freut mich das einfach sehr.
Und wenn Sie einmal auf die Sendezeit dieser Wiederholung schauen, dann ist klar, dass dieser Film einzig und allein für die Mediathek wiederholt wurde. Denn heute Morgen, von 04:10 bis 06:15 Uhr, wird im linearen TV wohl kaum eine messbare Einschaltquote zusammengekommen sein.
Sport-Drama, USA, 2011, FSK: ab 6, Regie: Bennett Miller, Drehbuch: Steven Zaillian, Aaron Sorkin, Stan Chervin, Produktion: Michael De Luca, Rachael Horovitz, Brad Pitt, Musik: Mychael Danna, Kamera: Wally Pfister, Schnitt: Christopher Tellefsen, Mit: Brad Pitt, Jonah Hill, Philip Seymour Hoffman, Ken Medlock, Robin Wright, Chris Pratt, Stephen Bishop, Casey Bond, Jack McGee, Vyto Ruginis, Brent Jennings, Kerris Dorsey, Nick Porrazzo
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