Krimis scheinen das Schicksal von Melika Foroutan zu sein. Das überrascht nicht, bestreitet das Genre doch gefühlt alleine die Hälfte des deutschen TV-Programms. Zum Glück gibt es Ausnahmedarstellerinnen wie sie, die es dann und wann tatsächlich zum Ereignis machen. Und die meisten ihrer oft herausragenden Produktionen sind jede Wiederholung wert.
Für mich – und vermutlich für viele andere – war es eine der herausragendsten ZDF Produktionen dieses Jahrhunderts, die Melika Foroutan auf die Liste meiner Lieblingsschauspieler:innen gesetzt hat. Für sie schalte ich seither ein, auch wenn ich nicht weiß, was mich erwartet. Ich meine hier natürlich den „KDD – Kriminaldauerdienst“. Die Serie, obwohl mit mehreren Grimme- und Fernsehpreisen gekrönt, wurde von seiner mutlosen und auf Einschaltquoten fixierten Anstalt allerdings schon 2010 nach nur drei Staffeln eingestellt. Ich habe es bis heute nicht verstehen können.
In dem epischen Kreuzberg/Neuköllner Drama von Orkun Ertener, das näher an der Wirklichkeit war, als vermutlich alle deutschen Krimiproduktionen seit „Stahlnetz“ von Jürgen Roland und Wolfgang Menge (1958-1968), hat zu seiner Zeit nicht nur mit der Natur seiner Fälle, sondern auch mit dem Figurenreichtum seines Ensembles Maßstäbe gesetzt. Und dort war Foroutans Kriminalkommissarin Henke, die selbst das persönliche Trauma einer Vergewaltigung zu verarbeiten hatte, sicher eine der komplexesten Figuren, die das am Freitagabend im Fernsehsessel vor sich hin schlummernde Publikum möglicherweise überfordert haben.
Mich hat sie allerdings so nachhaltig beeindruckt, dass ich die Serie seither bestimmt fünf, sechsmal komplett binge-watched habe. Und das ist für mich bei deutschen Produktionen tatsächlich ungewöhnlich. – Ein vergleichbares Niveau hatte in Deutschland tatsächlich nur (ausgerechnet) die andere große ZDF-Krimiserie „Nachtschicht“ des großen Lars Becker, die es, mit ungleich weniger Episoden, von 2003 bis 2022 vermochte, das Dilemma der Gleichförmigkeit im Programm so nachhaltig aufzubrechen. Auch dort hatte Foroutan übrigens einen Auftritt in einer Nebenrolle.
Vielleicht war das ZDF ja auch einfach überfordert von gleich zwei Serienformaten auf internationalem Niveau, die beim Stammpublikum allerdings gegen die seit Jahrzehnten konfektionierte 20:15-Freitagabendware keinen Stich machen konnten. Soviel zum besonderen Einfluss von Einschaltquoten auf die Qualität des Programms.
Im Zeichen des Zen
Deshalb habe ich mich auch unglaublich gefreut und war tatsächlich aufgeregt, als Melika Foroutan 2015 ihren Dienst als Ermittlerin in der ARD aufnehmen durfte. Und ganz ebenso tatsächlich war „Begierde – Mord im Zeichen des Zen“ eine Sensation, mit der ich im Leben nicht gerechnet hätte:
Wenn Sie Kommissarin Louise Boni hier erleben, dann kann das eine Achterbahnfahrt für ihre Sehgewohnheiten werden. Eine sehr (doch noch nicht völlig) gebrochene Ermittlerin im Umfeld von buddhistischer Philosophie, Menschenhandel und Kindesmissbrauch – und das auch noch vor dem Hintergrund der kriminalistisch auch noch nie derartig dunkel ausgeleuchteten Eifel. Für mich war das ganze von Anfang bis zum Ende der Geschichte einfach sensationell.
Wenn Sie diesen Blog häufiger lesen oder den Autor aus dem Fediverse kennen, dann wird sie nicht überraschen, dass hier lieber nicht auf Produkte der Axel-Springer-SE verlinkt oder verwiesen wird. Zu „Begierde“ hier eine der wenigen Ausnahmen:
„Begierde“ ist der beste Fernsehkrimi des Jahres
[…] Als letzte Warnung, dass man es bei „Begierde“ eben nicht mit der hartgekochten Reproduktion der Wirklichkeit zu tun hat, sondern mit ihrem filmischen Vergessen, mit einem Traumspiel, das sich einen Dreck um Genreregeln kümmert, viel tiefer gründet, ganz woanders hin will als der klassische Whodunit.
„Ich folge dem, was fehlt“, sagt Louise Boni. Wir folgen ihr sehr gern dabei durch diesen Widerborst von Film. Verneigen uns vor der Selbstentäußerung der Melika Foroutan. Möge es Grimme-Preise nur so regnen. Und das Gequatsche über das angeblich furchtbare deutsche Fernsehen mal wieder für wenigstens fünf Minuten verstummen.
Jäger in der Nacht
Im zweiten verfilmten Fall ist schon früh deutlich: Die Kommissarin ist trocken. Der Wald nicht mehr so tief und dunkel. Die angebrochene Seele von Frau Boni aber, dieses Mal gezeichnet vom Entzug, noch die gleiche.
Wenn sie es gewohnt sind, in einem Krimi ein wenig fröhliches Täter:innenraten zu betreiben, dann ist auch „Jäger in der Nacht“ wirklich nichts für sie. Denn auch hier geht es tatsächlich mehr um das Thema, dem es an Relevanz wirklich nicht mangelt. Männergewalt. Und Frauen, die Männern zum Opfer gefallen sind.
Dass die Kommissarin hier selbst zum Ziel dieser Gewalt wird, ist keine irre Wendung der Geschichte, sondern eine Beschreibung ihrer Wirklichkeit – und macht sie dadurch nicht nur zur Leidensgenossin, sondern eben auch zur Verbündeten der geschundenen Frauen in unser aller Realität jenseits des Fernsehbildschirms.
Am Ende ist das wahrscheinlich, vor allem für Frauen, keine Geschichte, nach welcher Sie den Fernseher ausstellen und beruhigt und zufrieden einschlafen werden können. Ganz im Gegenteil. Denn die meisten Täter finden wir, wo sie und wir zu Hause sind.
Von Oliver Bottini sind bisher sechs Romane über die Kommissarin Louise Boni erschienen. Es ist mir ein Rätsel, warum es nur diese zwei Geschichten bislang in das Erste Deutsche Fernsehen geschafft haben. Hat Christine Strobel (oder den WDR) etwa der Mut verlassen?
Unter der Bedingung, dass Melika Foroutan wieder bereit wäre, die Rolle erneut zu spielen, wäre es mein erster und vordringlichster Wunsch, auch die anderen 4 Bücher verfilmen zu lassen. Ich habe sie nicht gelesen, doch die Entwicklung dieser Figur ist tatsächlich noch lange nicht auserzählt…
Und deshalb so spannend.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 17.05.2024.
Nachtrag am 04.10.2024:
Nun ist es zwar doch nicht so gekommen, wie ich es mir von der ARD gewünscht habe. Doch die Meldung des HR, dass Frau Foroutan zukünftig in Frankfurt ermitteln wird, stimmt mich dann doch äußerst zuversichtlich. Schade für Aachen und die Eifel. Doch wenn die Beförderung in das experimentierfreudigste Tatort-Revier in Deutschland kommt, dann lehnt eine Kommissarin das sicherlich nicht unüberlegt ab. Und ich freu‘ mich sehr darauf!
Melika Foroutan und Edin Hasanović werden das neue Frankfurter Team im hr-„Tatort“
Ab 2025 startet ein neues Team beim hr-„Tatort“: Melika Foroutan und Edin Hasanović ermitteln künftig gemeinsam im neuen Frankfurt-„Tatort“ des Hessischen Rundfunks (hr). Mit dem Fokus auf Cold Cases, ungeklärten Mordfällen und Tötungsdelikten aus der Vergangenheit, betritt der hr abermals neues Terrain innerhalb seines „Tatort“-Formats.
Link: Presseheft des WDR – „Begierde – Mord im Zeichen des Zen“ – 2015
Link: Presseheft des WDR – „Jäger in der Nacht“ – 2016
Link: Irgendwann hat man Glück – FAZ, Stefan Locke, 02.03.2013
Krimi, Deutschland, 2015, 2016, FSK: ab 12, Regie: Brigitte Maria Bertele, Drehbuch: Hannah Hollinger, Mit: Melika Foroutan, Anian Zollner, Frank Seppeler, Andrea Bürgin und vielen anderen.
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