Das Private ist untrennbar mit dem Politischen verbunden. Bei kaum einem Filmemacher gilt das mehr, als bei Costa-Gavras. Keiner hat sein Lebenswerk wohl mehr dem Kampf gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und den Faschismus gewidmet, als der große griechisch-französische Regisseur. Jeder seiner Filme ist auch ein Schlüsselwerk seiner Zeit. #NiemalsVergessen!
Mit „Music Box“ (1989) müssen wir erstmal fertig werden. Denn kein Mensch, jedenfalls so weit er oder sie in etwa meines Alters oder älter ist, kommt im Laufe des Lebens umhin, sich die Frage zu stellen, welche Verantwortung oder Schuld die eigenen Eltern oder (Ur-)Großeltern unter dem Regime des Nazi-Faschismus in Europas auf sich genommen haben.
Ein deutscher Bundeskanzler sprach 1984 von der „Gnade der späten Geburt“ und wollte damit die Verantwortung der Generationen der Kinder von jener der Tätergeneration differenzieren. Dabei ist Vergangenheit aber nicht teilbar. Und so wie die Verantwortung für die Taten unmittelbar eine Verantwortung, ihre Wiederholung zu verhindern, mit sich brachte, so ist die Frage danach auch eine des notwendigen Wissens darum.
Mike Laszlo ist gebürtiger Ungar und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Vereinigten Staaten emigriert. Dort hat er nach dem Tod seiner Ehefrau eigenständig seine zwei Kinder aufgezogen und als ehrbarer Bürger gearbeitet. 40 Jahre später wird er beschuldigt, äußerst grausame Kriegsverbrechen aufseiten der Nazis begangen zu haben. Er bittet seine Tochter Ann, eine bekannte Rechtsanwältin, vor Gericht seine Verteidigung zu übernehmen. (…)
Sie steht vor der Frage, ob ihr Vater vielleicht doch nicht der Mann ist, für den sie ihn immer gehalten hat…
ARTE Programmtext
Bei Gavras ist es eine Familiengeschichte, ganz so, wie bei uns allen. Auch wenn meine Eltern, die beide 1932 in die deutsche Nazi-Diktatur hineingeboren wurden, zu jung gewesen sein mögen, um sich schuldig zu machen, so waren sie doch alt genug, davon nachhaltig traumatisiert zu werden. Und Trauma vererbt sich (DLF). Das fühlen auch ihre Kinder und Enkel noch.
Nur weil meine Großeltern keine Verbrecher:innen waren, religiös und während des Regimes in kriegswichtigen Berufen (Bergbau und Rüstung) tätig, waren sie in der Lage, uns, den Enkeln davon zu erzählen. Wobei das den Frauen einfacher fiel, als ihren Männern. Wohl auch, weil sie die brutalen Erlebnisse als Mütter anders erlebt und verarbeitet haben, als ihre Männer.
Gerade das „Festhalten von Erinnerung“ ist eine der wichtigsten Rollen der Kultur. Und, ob wir es wollen, oder nicht, der Einfluss von Filmen auf unser kollektives Gedächtnis ist größer, als uns häufig bewusst ist. So werden wir auch von Hollywood mitunter manipuliert und betrogen, mitunter werden wir aufgeklärt und manchmal werden wir daran erinnert, uns selbst Fragen zu stellen.
„Bis auf einige allzu krimihaft geratene Elemente eine einfühlsam erzählte Familientragödie um die schmerzliche Erkenntnis, dass der Mensch, den man liebt, eine ‚Bestie‘ ist. Bis in die Nebenrollen hinein hervorragend interpretiert, wirft der Film Fragen von Schuld und Reue auf, ohne sich in Sentimentalitäten zu verlieren.“
Jessica Lange und Armin Mueller-Stahl sehen wir hier in Rollen, die ihre Karrieren nachhaltig geprägt haben und die Sie wahrscheinlich auch nicht mehr vergessen werden, nachdem Sie den Film einmal gesehen haben.
„Music Box“ ist ein spannender und ein wichtiger Film. Vielleicht nicht der größte von Costa-Gavras, doch er wühlt auf und bewegt. Selbstverständlich ist er gealtert, wie auch wir, sein Publikum. Nichtsdestoweniger war er, gerade zur Zeit seiner Produktion, auch ein überaus notwendiger Film. Und das ist er heute um keinen Deut weniger. Um Europa und die Welt daran zu erinnern, dass der Faschismus auch nach dem vielfach postulierten angeblichen „Ende der Geschichte“ (ein Begriff geprägt von Francis Fukuyama) weiterhin ein Teil der Geschichte ist, die sich niemals wiederholen darf. Vorbei sein wird sie deshalb nie!
Dass der Film heute, ausgerechnet an einem 20. Januar, um 20:15 Uhr auf ARTE, dem deutsch/französischen Kulturkanal ausgestrahlt wird, ist ein angemessener Beitrag im Vorfeld des Holocaust-Gedenktags in einer Woche.
#NiemalsVergessen
Polit-Thriller, USA, 1989, FSK: ab 12, Regie: Constantin Costa-Gavras, Drehbuch: Joe Eszterhas, Produktion: Irwin Winkler, Musik: Philippe Sarde, Kamera: Patrick Blossier, Schnitt: Joële Van Effenterre, Mit: Jessica Lange, Armin Mueller-Stahl, Frederic Forrest, Donald Moffat, Lukas Haas, Mari Törőcsik, Elżbieta Czyżewska, Michael Rooker
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