„Schtonk!“ ist eine fantastische Satire über einen Skandal, der bis heute nachhallt: Über die Hitler-Tagebücher, die Medien und die deutsche Nachkriegsgesellschaft. Das Meisterwerk von Helmut Dietl ist bis heute unerreicht und die Mechanismen der Medien sind noch ganz dieselben.
Schon mehr als drei Jahrzehnte ist es her, dass Helmut Dietls „Schtonk!“ (1991) in die Kinos kam. Eine rabenschwarze Satire, die vordergründig unterhalten wollte – und doch so viel mehr war. Ich verehre diesen Film, und ich verehre alle, die ihn möglich gemacht haben. Bis heute.
Denn „Schtonk!“ hat nichts von seiner Wucht verloren. Im Gegenteil: Im Jahr 2025, über 40 Jahre nach dem Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher und 34 Jahre nach der Filmpremiere, erscheint mir Dietls Werk aktueller denn je. Die Mechanismen, die er aufzeigt – Sensationsgier, Verblendung, Verklärung –, sie sind nicht verschwunden. Sie haben sich gesteigert, verfestigt. Sie eskalieren weiter, Tag für Tag.
Der Medienskandal um Konrad Kujaus plumpe Fälschungen und die Veröffentlichung durch den Stern war nicht nur peinlich. Er war absolut verheerend. Für die Redaktion. Für den Journalismus. Für das Vertrauen in die Medien insgesamt. Der Stern hat sich davon nie wieder erholt – davon bin ich überzeugt. Auch wenn andere Sündenfälle folgten, größer wurde kaum einer. Vielleicht, weil uns dieser Skandal zum ersten Mal zeigte, wie anfällig selbst die lautesten Wahrheitsverkünder für den Reiz der Lüge sind.
Der STERN ist durch die gefälschten Hitler-Tagebücher und den Streit mit dem Verlag um die Neubesetzung der Chefredaktion zu einem Thema geworden, das in den STERN gehört. Ein sonderbares Gefühl, in eigener Sache zu schreiben. Aber in all der Hektik, dem Stress und dem Widerstand gegen Vorstandsbeschlüsse haben die STERN-Leute nicht vergessen, dass sie Journalisten sind. Sie haben aufgeschrieben, was ihnen angetan wurde und wie sie sich dagegen wehrten.
– „Tage, die den Stern erschütterten“ – Original-Artikel aus stern 22/1983
Die Folgen waren dramatisch: Der Rücktritt der Chefredaktion, ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust, wirtschaftliche Turbulenzen – bis hin zum Verkauf des Magazins an RTL (Bertelsmann) viele Jahre später. Für mich war das kein Zufall. Es war die logische Konsequenz. Ein angeschlagener Ruf heilt nicht, wenn das Fundament brüchig bleibt. Der Skandal hat einen Riss durch das Selbstverständnis des deutschen Journalismus gezogen.
Und zur gleichen Zeit – „zufällig“? – hat das Privatfernsehen Fahrt aufgenommen. Die Marktlogik trat ihren Siegeszug an, die Boulevardisierung potenziert. „Schtonk!“ war da nicht nur Kommentar, sondern Warnung. Politisch und prophetisch. Heute ist wichtiger denn je, was am besten klickt.
Helmut Dietl hat das Tagebuch-Debakel nur als Aufhänger genommen. In Wahrheit aber blickte er in den Abgrund einer Gesellschaft, die nie sich wirklich mit ihrer Geschichte konfrontieren wollte – und das bis heute nicht kann oder will. Die Gier nach Spektakel, die Lust an der Nazi-Nostalgie, der voyeuristische Zugriff auf das Grauen – das alles ist Teil der Geschichte, die „Schtonk!“ erzählt. Und es ist Teil unserer Gegenwart.
Die Weltgeschichte wiederholt sich nicht, sie repetiert ihre blutigen Tragödien nur als billige Komödien. Und das war ja wohl der wahre, der innerste Kern der Hitler-Tagebücherei: Sie versuchte, zum zweiten Mal und postum, aus dem Führer ein Idol, einen anständigen Kerl zu machen, sie wollte aus dem Mörder einen Menschen machen – so wie sich der Mörder seinen blinden Anhängern gern anbiederte.
– „Eine Sternstunde wird verfilmt“ – 30.06.1991, DER SPIEGEL 27/1991
„Schtonk!“ ist nicht nur Satire. Es ist ein Schlag in die Magengrube – wahnsinnig unterhaltsam, ja, aber auch gnadenlos in seiner Kritik. Dietl hat gezeigt, wie die Verdrängung der NS-Vergangenheit weiterwirkt. Wie sie in Medien und Köpfen fortlebt. Wie sie banalisiert und ausgeschlachtet wird, fürs schnelle Zitat, fürs große Geld. Geschichte wird verzerrt, Wahrheit geopfert, Verantwortung abgelegt. Und wer zahlt den Preis? Die Demokratie. Die Wahrheit. Wir alle.
Die Debatte um „Fake News“ begann nicht erst mit dem Internet, auch wenn uns das die selbsternannten Expert:innen seit Jahren glauben machen wollen. Diese Expert:innen – und ihre moderierenden Zeremonienmeister:innen in ungezählten Talkshows – tragen Mitverantwortung. Und sie tun es im Gewand des aufklärerischen Journalismus. Ironie der Geschichte.
Was wäre, wenn „Schtonk!“ heute spielen würde? Eine gruselige Vorstellung. Oder einfach nur eine realistische?
„Wenn ich einen Film mache, dann nur einen guten.“
– Helmut Dietl, „Führers Blähungen“, 05.05.1991, DER SPIEGEL 19/1991
Nicht nur für mich hat „Schtonk!“ längst seinen Platz in der Filmgeschichte. Und Dietl, mit seinem Kinodebüt, den Beweis geliefert, dass eine deutsche Komödie mehr sein kann als Unterhaltung. Viel mehr. Mit feinem Gespür für Abgründigkeit und einem schwarzen Humor, wie er in Deutschland bis dahin kaum denkbar war, hat er ein Meisterwerk geschaffen. Eines, das bis heute als Referenz für medienkritische Satire dient – zumindest für mich.
Die Szene der Pressekonferenz – bei der Präsentation der gefälschten Tagebücher – ist bis heute ein Lehrstück. Ein Klassiker. Ein Mahnmal. Und ich frage mich: Wie oft müssen wir das noch sehen? Wie oft lassen wir es noch zu?
Und dann ist da natürlich Götz George. Als Hermann Willié. Für mich das schauspielerische Herzstück des Films – hier ist er eigentlich nur einer von so vielen der größten. Doch George – von mir als grimmiger Tatort-Kommissar innig geliebt – zeigte hier seine ganze enorme Bandbreite. Komödiantisch, grotesk, und doch so erschütternd menschlich. Ein Clown am Rande des Wahnsinns. Lächerlich. Tragisch. Unvergessen.
„Ich. Wünsche. Keine. Bittere. Orangenmarmelade.“
– Götz George als Hermann Willié
In einer nur sehr kurzen Szene mit seinem Priester (Hark Bohm), in der Willié im Begriff scheint, seine „Sünden“ zu beichten, hat George für mich ein Schauspielmonument geschaffen. Er gab alles, was er hatte: Komik und Tragik, verzerrt und wahrhaftig zugleich. Es ist diese Ambivalenz, die „Schtonk!“ so groß macht.
Für mich ist dieser Film nicht nur ein Rückblick auf einen Skandal, der zwei Generationen zurückliegt. Er ist eine Anklage. Eine politische, moralische, medienethische. Gegen die Verklärung des Nationalsozialismus. Gegen die Sensationsgeilheit. Gegen die mediale Selbstvergessenheit.
Und gleichzeitig ist „Schtonk!“ auch ein großes Vermächtnis. Von Helmut Dietl. Von Götz George. Von all den großen Künstler:innen, die darin mitgewirkt haben.
Unbedingt anschauen! Alle! Jetzt!
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 25.05.2025.
Sehen Sie auch >>
Der Hitler-Fake: Geschichte einer Jahrhundertfälschung – Dokumentation von Christian Bock, SWR, NDR, RBB, 2023, in der ARD-Mediathek bis 24.04.2028
Böse Fälschung: Die Geschichte hinter den „Hitler-Tagebüchern“ – Panorama – Die Reporter, NDR, 2023, in der ARD-Mediathek
Satire, Deutschland, 1991, FSK: ab 6, Regie: Helmut Dietl, Drehbuch: Helmut Dietl, Ulrich Limmer, Produktion: Günter Rohrbach, Helmut Dietl, Musik: Konstantin Wecker, Kamera: Xaver Schwarzenberger, Schnitt: Tanja Schmidbauer, Mit: Uwe Ochsenknecht, Götz George, Christiane Hörbiger, Harald Juhnke, Dagmar Manzel, Veronica Ferres, Ulrich Mühe, Hermann Lause, Martin Benrath, Rolf Hoppe, Georg Marischka, Karl Schönböck, Rosemarie Fendel, Wolfgang Menge, Thomas Holtzmann, Hark Bohm, Hans Joachim Hegewald, Peter Roggisch, Willy Harlander, Günter Junghans, Armin Rohde, Michael Kessler, Martin Feifel, Thomas Wüpper, Fediverse: @filmeundserien
Schreiben Sie einen Kommentar