Oliver Masucci – „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ (2024)

3.5
(4)
Bei den sogenannten „TV-Events“ der öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter bin ich eigentlich grundsätzlich vorsichtig. Zu oft haben sie sich in der Vergangenheit an ihren Großproduktionen übernommen. 2024 wurde ich dagegen von der ARD überrascht. Und das liegt zuvorderst am wirklich grandiosen Oliver Masucci.
Bild: © ARD Degeto/Sperl Film und Fernsehproduktion GmbH/Mathias Bothor/Composing: Leni Wesselman

Die Lebensgeschichte von Alfred Herrhausen, dem Mann aus Essen im Ruhrgebiet und vielleicht letzten Visionär als Chef der Deutschen Bank, wird in diesem ARD-Zweiteiler nicht wirklich erzählt. Stattdessen schauen wir nur auf die letzten drei Jahre seines Lebens – jene Zeit kurz vor seiner Ermordung durch die RAF, ein Verbrechen, das bis heute nicht aufgeklärt ist. Der Film kratzt also nur an der Oberfläche des Mannes, der einst als das Gesicht der alten „Deutschland AG“ galt. Und trotzdem funktioniert das Ganze – gerade weil er sich auf diesen engen Ausschnitt beschränkt. Spannung entsteht nicht trotz, sondern gerade wegen unseres Vorwissens.

Wir sehen das Berufsporträt eines bemerkenswerten Bankers mit viel Gegenwind. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen, famos gespielt von Oliver Masucci, übersetzt Machtanspruch mit Gestaltungswillen. Die Doppelspitze der Bank ist ihm ein Ärgernis. Vorstandssitzungen sind spannend wie anderswo Thriller. Dieser Herrhausen, der auch rücksichtslos und ungeduldig mit dem eigenen Körper umgeht, hat Albträume, die Bedrohungen und Untergang vorahnen lassen.

Heike Hupertz, FAZ, 01.10.2024

Was uns da gezeigt wird, ist ein Porträt voller Dissonanzen: ein Machtmensch mit humanistischem Anstrich, ein Strippenzieher, der glaubt, mit Kapital auch Verantwortung übernehmen zu müssen. Und Oliver Masucci spielt ihn großartig – getrieben, nervös, wuchtig. Kein Zentimeter wirkt hier aufgesetzt. Es ist eine dieser Performances, bei der wir als Zuschauer:in spüren: Da hat jemand nicht nur die Rolle, sondern auch den Zeitgeist inhaliert.

Dass das Attentat auf Herrhausen über 30 Jahre her ist und die Täter:innen noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, verleiht dem Stoff eine gespenstische Aktualität. Dieser Film ist kein Historienkino. Er ist Gegenwartsdiagnose. Und Mahnung.

Natürlich ist vieles in dieser Erzählung spekulativ. Wie auch nicht – solange die Faktenlage ein löchriges Flickwerk bleibt. Aber der Film kokettiert nicht mit der Wahrheit. Er gibt sich als das, was er ist: eine fiktionalisierte Annäherung. Und genau deshalb können wir uns darauf einlassen, ohne gleich zum Spielball verkürzter Täter:innen/Opfer-Narrative zu werden.

Herrhausen selbst wird hier zur tragischen Figur hochstilisiert – und das ist keineswegs unangemessen. Denn dieser Mann war eben nicht nur das Symbol und Vollstrecker der Interessen des Großkapitals, als das ihn viele Linke sehen wollten. Er war auch jemand, der gestalten wollte, der weiter dachte als seine Zeit, der wusste, dass Macht nicht ausreicht, wenn man keine Idee hat, was man mit ihr anfangen soll.

Herrhausen war ein Rocker im Gewand eines Dreiteilers, den er immer trug. Ich habe beim Spielen gedacht, ich halte diese Bürgerlichkeit nicht mehr aus. Aber er hat die Form gewahrt. Er war ein Denker, der Leute mitzog und die Kraft besaß, Dinge voranzutreiben. Bis heute hallt noch diese Form des humanistischen Denkers nach, der sich selber ins Verhältnis setzt: Wir sind Kapitalisten, aber wir haben Verantwortung. Er hat den sozialpolitischen Kontext gesehen. Solche Figuren haben wir nicht mehr.

Oliver Masucci im Interview mit Jörg Seewald, FAZ, 01.10.2024

In einer Zeit, in der sich CEOs und Vorstände am liebsten vor der Macht wegducken, aus Angst vor der Rache aus dem Weißen Haus, wirkt Herrhausens Selbstverständnis fast schon utopisch. Und Masucci bringt das auf den Punkt – als fiebriger, manchmal arroganter, oft hellsichtiger Geist in einem System, das ihn irgendwann nicht mehr ertragen konnte.

Natürlich bleibt vieles auf der Strecke. Die verworrenen Verbindungen zwischen CDU, RAF, Stasi, KGB, Finanzwelt und Weltpolitik hätten genug Material für eine 12-teilige HBO-Serie geboten. Die Geschichte der Deutschen Bank allein reicht für fünf Staffeln. Aber die Macher:innen wollten kein Biopic-Monster erschaffen. Sie erzählen kompakt, zugespitzt – und mit Lust an der Überhöhung. Das kann ich ihnen nicht vorwerfen, sondern eher anrechnen.

Was allerdings wirklich nervt: Wie die ARD diesen Film (wieder) einfach ins Abendprogramm kippt, ohne irgendeinen Versuch, ihn gesellschaftlich oder politisch einzuordnen. Früher hätte sie so ein Projekt zum Anlass genommen, einen ganzen Themenabend zu kuratieren. Heute? Steht der Film zur Wiederholung im Dritten des RBB.

Inhaltlich hätte das Ganze dringend einen Rahmen gebraucht. Eine mehrteilige Doku. Ein Gespräch. Ein Kontrast. Irgendetwas, das diesen Film mit der politischen Realität rückkoppelt. Aber stattdessen herrscht Schweigen. Und genau dieses Schweigen ist vielleicht das ehrlichste Statement, das der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu diesem Thema derzeit im Angebot hat.

Carolin Emcke hat es schon 2007 – achtzehn Jahre nach dem Mord – besser gesagt, als der Film:

Achtzehn Jahre ist der Mord an Alfred Herrhausen her. Jemand wird erwachsen genannt, der diese Zeitspanne überlebt hat. Ich war zu jung damals, um das Unverfügbare zu kennen. Zu alt, um es abstreiten zu können. Die Täter sind zu alt heute, um noch an die Logik des Verrats zu glauben. Zu jung, um ihr Leben in der Lüge weiterzuleben.
Die Bundesrepublik ist alt genug, um selbstkritisch sein zu können. Zu jung, um die Verkrustungen der Vergangenheit nicht aufbrechen zu können. Niemand braucht zu fürchten, der Staat zeige Schwäche oder löse sich auf, wenn er auf sein Recht auf Strafe verzichtete.
Dreißig Jahre ist der Deutsche Herbst her. Die gesellschaftliche Selbstsicherheit, die damals noch nicht bestand, ließe sich heute auch gegenüber denjenigen demonstrieren, die sie infrage stellen: durch Großzügigkeit. Durch ein Angebot. Zum Gespräch. Zur Aufklärung. Damit wären die Verbrechen nicht entschuldigt. Damit wären die Taten nicht verharmlost. Aber das Eis könnte zu schmelzen beginnen.

Carolin Emcke, Die Zeit, 06.09.2007

Das Eis ist nicht geschmolzen. Und ehrlich gesagt: Die Bundesrepublik wirkt heute fragiler als damals. Was bedeutet es, wenn wir es nicht einmal mehr schaffen, einem solchen Film den Raum und Rahmen zu geben, den er verdient?

Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ ein sehenswerter Film. Respekt an die viel gescholtene Degeto. Ein starker TV-Zweiteiler. Ein politisches Statement, verpackt als Thriller. Klar, mit vielen Schwächen, mit notwendiger Spekulation, mit alten Klischees. Aber was wäre die Alternative?

Dieser Beitrag erschien zuerst am 10.10.2024.



Thriller in 2 (4) Teilen, Deutschland, 2024, Regie: Pia Strietmann, Drehbuch: Thomas Wendrich, Musik: Martina Eisenreich, Kamera: Florian Emmerich, Mit: Oliver Masucci, Julia Koschitz, Sascha Nathan, David Schütter, Ursula Strauss, Franz Hartwig, Philippe Brenninkmeyer, Harry Michelll, Lisa Vicari, Yousef Sweid, Anton Spieker, Joshua Seelenbinder, August Zirner, Thomas Loibl, Bettina Stucky, Peter Benedict, Fediverse: @filmeundserien



Reaktionen:

Wie bewerten Sie diesen Film / diese Serie?

Dieser Film / diese Serie wurde 4x im Durchschnitt mit 3.5 bewertet.

Bisher keine Bewertungen.


  1. Avatar von Ԏєηυкι, 手抜き🚀🐧♏ 🔭 ⚫⚪
    Ԏєηυкι, 手抜き🚀🐧♏ 🔭 ⚫⚪

    @mediathekperlen @filmeundserien speziell diese Doku hatte es mir letztes Jahr angetan . Helmut Kohl immer ohne Kopf oder nur Rückenansicht . Dabei waren beide eng verbunden . Kohl vermied das „Du“ immer – außer bei Herrhausen.

    Sie können diesen Beitrag nur über das Fediverse kommentieren.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diesen Beitrag auch über das Fediverse (zum Beispiel mit einem Konto auf einem Mastodon-Server) kommentieren.