Benjamin Quabecks „Verschwende deine Jugend“ ist eine liebevolle Verneigung vor dem Soundtrack einer Generation, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie tanzen oder auf die Fresse fallen wollte. Es ist ein Film, der die frühe NDW-Szene mit all ihrer aufkeimenden Rebellion atmet, ohne sich in Nostalgie zu verlieren – na ja, sagen wir: ohne sich komplett darin zu ersäufen. Unvermeidlich peinlich.
Quabeck geboren 1976, ist eigentlich viel zu jung, um die Zeit miterlebt zu haben. Doch er verstand es, die Atmosphäre dieser Jahre einzufangen, in denen die Haare kürzer, die Schultern breiter und die Bassläufe wichtiger waren als jedes Seminar über Watzlawicks „Konstruktion der Wirklichkeit“ oder die Frage, ob ich jemals nochmal etwas „Richtiges“ arbeiten würde.
Ich weiß, wovon ich rede: 1985 war ich ungefähr 20, fuhr Taxi, machte Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, „studierte“ demnächst irgendwas, was sich immer wichtiger anhörte, als es für mich war, und verbrachte meine Nächte im „Panoptikum„ am Gerlingplatz (Essen) – Ingo Jannowitz, wenn du mich im Himmel lesen solltest, ich verdanke dir mein Leben! – dieser Kneipe, in der alle gleich alt oder gleich jung waren und in der man für zehn Mark noch eine ganze Nacht kriegen konnte. Die NDW war da eigentlich schon vorbei. Oder furchtbarer Mainstream.
Der Film ist voll von diesen Nächten, in denen die Beats aus übersteuerten Boxen boxen, als wollten sie die Realität draußen vor der Tür einfach plattmachen. Bands wie DAF, Fehlfarben oder Ideal sind dabei keine Hintergrundmusik – sie sind das Herzstück, der Soundtrack für all die verpassten Chancen und kurzen Momente, in denen wir wirklich geglaubt haben, die Welt könnte uns gehören, wenn wir nur laut genug mitgröhlen.
„Verschwende deine Jugend“ (2003) macht keinen Hehl daraus, dass nicht jeder Gig ein Triumph war, nicht jeder Drink ein Versprechen und nicht jeder Song ein Manifest. Im Gegenteil: Der Film zeigt diese Mischung aus Größenwahn und totaler Unsicherheit, die damals in uns steckte. Wir wussten, dass das alles vielleicht nicht ewig hält – aber für eine Nacht war es alles.
Ich habe unzählige solcher Nächte erlebt: Gespräche, die immer ein bisschen zu lang, Drinks, die immer ein bisschen zu billig waren, und das ständige Gefühl, dass ich gleich was ganz Großes entdecke – oder mich wenigstens so fühlen durfte. Genau das fängt Quabecks Film ein: diese eigentümliche Mischung aus Sehnsucht und Übermut, die in jedem verpassten Einsatz, jeder Neonleuchte und jedem kaputten Verstärker steckte.
Ich war später drei, vier Jahre mit einer deutsch-italienischen Band unterwegs. Unseres war Mainstream-Rock. Ich hab‘ die Verstärker geschleppt, mit dem Gitarristen gesoffen und wohl eine Million Fotos gemacht. Für den Rolling-Stone. Hau wech, Karl! Ma ce catzo sta facendo? Du warst der Größte!
„Verschwende deine Jugend“ macht den Fehler nicht, seine Protagonist:innen zu sehr zu verklären. Die Szene ist kein romantisches Ideal, sondern ein Haufen von Idealist:innen, Blender:innen und Glücksritter:innen, die alle in denselben verrauchten Clubs standen. Da ist Platz für Selbstironie – und die ist auch dringend nötig, wenn wir diese furchtbaren 80er-Jahre-Outfits wiedersehen und merken, wie wenig wir damals eigentlich vom Leben gewusst haben.
Der Film ist echt kein Meisterwerk. Wenn Sie ihn einmal gesehen haben, dann reicht das auch für den Rest ihres Lebens. Aber er hat Charme. Eine Einladung, wieder einmal kopfüber in diese Zeit einzutauchen: in die Musik, die Schweißflecken, das verschüttete Bier auf dem Tanzboden und das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das wichtiger war als alles, was danach kam. Oder es sich zumindest so lange einreden zu können, bis der Morgen alle Illusionen zunichtegemacht hat und wir wieder alleine nachhause gehen mussten.
Heute schaue ich den Film mit diesem seltsam sanften, jenseitig entrückten Lächeln, das ich mir seit damals mühsam, aber sehr erfolgreich erarbeitet habe. Es sagt: Kinder, das war alles eine einzige große Pose – aber eine, in der wir uns für ein paar Stunden unbesiegbar gefühlt haben.
Und das war es wert.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 02.06.2025.
Spielfilm mit Musik, Deutschland, 2003, FSK: ab 6, Regie: Benjamin Quabeck, Drehbuch: Ralf Hertwig, Kathrin Richter, Produktion: Jakob Claussen, Thomas Wöbke, Musik: Lee Buddah, Kamera: David Schultz, Schnitt: Tobias Haas, Mit: Tom Schilling, Robert Stadlober, Jessica Schwarz, Marlon Kittel, Nadja Bobyleva, Denis Moschitto, Josef Heynert, Dieter Landuris, Christian Ulmen, Mareike Lindenmeyer, Nina Asseng, Oliver Bröcker, Steffen Jürgens, Martin Kiefer, Franziska Walser, Klaus Haderer, Stephan Bissmeier, Annette Paulmann, Stefan Wiesbrock, Peter Illmann, Lee Buddah, David Scheller, Jäki Eldorado, Hendrik Hölzemann, John Peel, Mauro Dalvit, Stefan Wagner, Philipp Grüner, Timo Steilz, Andreas Simbeck, Henry Jakob Brodski, Lucas Aydin, Ellen Schwiers, Fediverse: @filmeundserien
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