Ein Film über eine Frau, die sich selbst immer wieder neu entdeckt – in Momenten voller Sehnsucht, Zweifel und kleinen Triumphen. Claire Denis’ unaufgeregte Regie lässt Raum für Zwischentöne, während Juliette Binoche mit radikaler Ehrlichkeit spielt. Ein Film einer Frau, der einstudierte Muster hinterfragt und in dem „die Binoche“ sich wieder einmal neu erfinden konnte.
Claire Denis’ „Meine schöne innere Sonne“ (2017) ist tatsächlich ein stilles Meisterinnenwerk, das sich sanft, aber sehr bestimmt gegen überkommene (männliche) Erzählmuster stellt. Im Zentrum steht Isabelle (Juliette Binoche), eine Frau in ihren Fünfzigern, die sich in wechselnden Beziehungen immer wieder selbst sucht – und dabei nie verliert.
Denis erzählt keine laute Geschichte von Selbstermächtigung, sondern zeigt weibliches Begehren und Zerrissenheit in all ihrer Nuance. Und gerade in dieser stillen, tastenden Suche liegt ihre feministische Kraft. Unvorstellbar, wäre dieser Film etwa als amerikanische Rom-Com entstanden. Wir würden anders darüber reden. Das ist sicher. Mich erschrickt schon die Vorstellung daran.
Isabelle ist keine „starke Frau“ im klischeehaften Sinn. Sie ist verletzlich, offen, manchmal auch naiv – aber sie ist immer das Subjekt ihrer eigenen Geschichte. Denis’ Feminismus ist, dass sie weibliche Sehnsucht nicht verurteilt oder glorifiziert, sondern mit einer großen Zärtlichkeit und Klarheit zeigt. Ganz im Sinne von Bell Hooks: „Feminism is for everybody.“ Hier: Für alle, die sich in ihrem Suchen und Zweifeln wiederfinden.
Zentral für die Kraft dieses Films ist Juliette Binoche, die hier eine der vielleicht nuanciertesten Leistungen Karriere zeigt. In den vier Jahrzehnten seit ihrem Durchbruch in den 1980ern hat Binoche es mit einer kompromisslosen Konsequenz vermocht, sich von Rollenangeboten zu emanzipieren, die sie auf bloße Schönheit oder eine romantische Projektionsfläche reduzieren wollten. Immer wieder hat sie betont, dass sie die Freiheit liebt, „von innen nach außen“ zu spielen – ihre Figuren also aus einem tiefen, eigenen Empfinden heraus zu erschaffen.
Sie hat sich nie auf den bequemen Status des französischen Filmstars beschränkt, sondern immer wieder auch mit Regisseuren wie Krzysztof Kieślowski („Drei Farben: Blau“ 1993), Michael Haneke („Caché“, 2005 ) oder Hou Hsiao-hsien („The Flight of the Red Balloon“, 2007) gearbeitet – kompromisslose Künstler, die sie nicht als dekorative Muse, sondern als überaus komplexe, suchende Figur inszenieren. So wurde Binoche auch für mich zu einer Ikone, die sich nie festlegen ließ: Mal ist sie sanft, mal kompromisslos, mal fast brutal.
In „Meine schöne innere Sonne“ wirkt genau das wie die Essenz ihrer Kunst: eine Frau, die lacht und weint, zweifelt und hofft – oft im selben Atemzug. Binoche verleiht ihrer Isabelle eine Leichtigkeit, die tiefgründig ist; eine Verletzlichkeit, die nie schwach wirkt. Diese Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden und gleichzeitig eine unverkennbare Signatur zu behalten, habe ich an dieser ganz speziellen Schauspielerin immer bewundert.
Wo der „Male Gaze“ (Laura Mulvey) Frauen sonst als passive Objekte inszeniert, bleibt Denis’ Kamera nah an Binoche, doch ohne sie bloßzustellen. Selbst in den erotischen Momenten zeigt sie keine Schaulust, sondern sucht in Isabelles Blick, ihrem Zögern, ihrer Sehnsucht nach Nähe.
Warum in dem Film bloß so viel geredet wird, haben nach der Uraufführung in Cannes einige Kritiker genervt gefragt. Im Film gibt es dazu die Antwort: Weil es so schön ist, wenn das Reden endlich aufhört. Dann übernehmen die Berührungen, oder auch die Müdigkeit – und das ist dann immer der Moment, in dem Tindersticks-Mitglied Stuart Staples in seinem Score ein einschmeichelndes Saxofon vorbeischickt. Das ist hart am Kitsch und genau deshalb großartig.
– „Die Worte und die Liebesdinge“ von Jan Künemund, Spiegel, 13.12.2017
Männer erscheinen hier nur als flüchtige Etappen, unmündig, unerfahren, unfähig oder unwillig, Isabelles Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen. So löst Denis den patriarchalen Blick fast beiläufig auf: nicht durch Dekonstruktion, sondern indem sie die Empfindungen und Erfahrungen der Isabelle zum Kern ihrer Erzählung macht.
Am Ende bleibt es ein Film, der nachhallt. Er feiert kein Abziehbild, sondern eine Individualistin, eine Frau, die ihre Widersprüche nicht fürchtet, sondern annimmt. Vielleicht liegt darin auch sein Manifest – und der Schlüssel zu Binoches einzigartigem Status: Es ist nicht die makellose Heldin, sondern die unperfekte, unabhängige, widersprüchliche Frau, die sich nicht länger für andere inszeniert.
Ein wunderbarer Film, den ich sehr geliebt habe.
Doch, so ist das manchmal mit der Liebe, wenn einige Zeit vergeht und wir viele Dinge übereinander lernen mussten. Es bleibt eben auch ein Film mit Gérard Depardieu. Er hat keine große Rolle, ganz im Gegenteil. Relevant, für „die Moral“ der Geschichte ist er eben doch. Da er eigentlich erst zum Abspann auftritt, können Sie da eigentlich auch abschalten.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 05.06.2025.
Spielfilm, Frankreich, 2017, FSK: ab 12, Regie: Claire Denis, Drehbuch: Claire Denis, Christine Angot, Produktion: Olivier Delbosc, Musik: Stuart Staples, Kamera: Agnès Godard, Schnitt: Guy Lecorne, Mit: Juliette Binoche, Xavier Beauvois, Philippe Katerine, Josiane Balasko, Sandrine Dumas, Nicolas Duvauchelle, Alex Descas, Laurent Grévill, Bruno Podalydès, Paul Blain, Valeria Bruni Tedeschi, Gérard Depardieu, Schemci Lauth, Charles Pépin, Tania de Montaigne, Bertrand Burgalat, Claire Tran, Fediverse: @filmeundserien
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