Manchmal, ganz selten, kommt es vor, dass ein Film mir nicht einfach nur ins Gesicht schlägt – nein, er trifft mich mit einem Lächeln auf den Lippen, in feinstem Dreiteiler, vollendeter Frisur und messerscharfem Dialog mitten ins erzählerische Zwerchfell, sodass mir fast die Luft wegbleibt. Hier ist genau so ein Film. Er ist ein perfekt gemischtes Kartenspiel, bei dem wir erst nach der letzten Karte merken, dass er die ganze Zeit nach seinen ganz eigenen Regeln gespielt hat…
Regisseur Paul McGuigan hat hier nicht einfach einen Gangsterfilm inszeniert – nein, das wäre viel zu banal. „Lucky Number Slevin“ (2006) ist ein Film, der sich als konventioneller Krimi tarnt, um uns dann in eine Spirale aus Identitätsverwirrung, narrativen Täuschungsmanövern und dialoglastiger Grandiosität zu stürzen.
Vertrauen ist gut, aber im Kino völlig fehl am Platz
Wie schön es ist, sich endlich einmal in einem Film wieder so komplett verloren zu fühlen. „Lucky Number Slevin“ ist eine Demonstration des unzuverlässigen Erzählens – jenes literarischen (und filmischen) Instruments, das uns weismachen will, wir hätten etwas verstanden, obwohl wir eigentlich überhaupt nichts verstehen. In einer Welt, in der Trailer bereits die komplette Handlung verraten und Streamingdienste auf Basis unserer letzten 1.326 Klicks wissen, was wir als Nächstes schauen wollen, wirkt „Slevin“ wie ein trotziges Kind, das sich weigert, geradeaus zu gehen. Und das ist herrlich!
Hier weiß wirklich niemand irgendetwas. Und gerade dann, wenn wir uns innerlich zurücklehnen und denken: „Ach, ich hab’s durchschaut“ – dreht sich die Geschichte erneut, lacht uns ins Gesicht und flüstert: „Du Trottel.“
Ich liebe es! Ich liebe es, belogen zu werden. Ich liebe es, wie der Film mit Figuren spielt, deren Motivationen nebulös bleiben, bis das letzte Puzzlestück fällt (was, versprochen, hier nicht passiert – also das Puzzlestück fällt schon, aber nicht in diesem Beitrag). Es ist ein Werk, das sich auf dem schmalen Grat zwischen Noir-Hommage und schwarzhumoriger Farce bewegt – und dabei stets mit der Eleganz eines Tänzers auf dünnem Eis.
Dialoge wie ein Duell im Fechtclub
Wir sollten dem Drehbuchautor Jason Smilovic noch ein paar Preise verleihen – nicht nur für die wendungsreiche Geschichte, sondern auch für die dialogische Brillanz, mit der sich die Figuren wie Klingen kreuzen. Jeder Satz sitzt. Jede Pointe trifft. Jeder lakonische Kommentar wird mit einem trockenen Blick unterstrichen, der mehr sagt als zehn Minuten Voice-over. Wir könnten glauben, die Figuren leben in einer Parallelwelt, in der Menschen tatsächlich so sprechen – eloquent, schnell, scharfzüngig – ein cineastisches Utopia.
Ein Ensemble, das unbedingt gesehen werden will
Josh Hartnett, als mysteriöser Fremder, Bruce Willis, mit der Coolness einer hochenergieeffizienten Klimaanlage, die beiden Charakterboliden Morgan Freeman, und Ben Kingsley in einem epischen Kampf um den Titel „Wer von uns kann am bedeutungsschwangersten gucken?“ – und Lucy Liu als großartigste Nachbarin der Filmgeschichte, die endlich einmal wieder mehr sein darf als nur weibliche Dekoration. Alle Darsteller:innen wirken, als hätten sie das Drehbuch gelesen und sich gedacht: „Her damit! Endlich mal was Gescheites!“
Ein Film wie ein Gentleman-Gauner
„Lucky Number Slevin“ ist ein Film, der mich austrickst – andauernd – und ich danke ihm dafür. Er ist stilvoll, er ist clever, und er nimmt seine Zuschauer:innen ernst genug, um sie immer wieder hinters kollektive Licht zu führen. Wer Kino liebt, das mehr ist als ein Ort um die Zeit zwischen dem Beginn und dem Ende einer Geschichte zu verbringen, wird hier seine/ihre Freude haben.
Und wer sich am Ende denkt: „Moment mal, was zur Hölle hab ich da gerade gesehen?“ – denen sag‘ ich: „Willkommen im Club.“ Ziehen Sie den Mantel enger, schlagen Sie den Kragen hoch, schauen Sie sich um, wenn Sie zurück auf die Straße treten und nehmen Sie einen tiefen Zug aus der kalten Zigarette der narrativen Täuschung. Sie sind nicht allein!
„What’s your lucky number?“
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 09.06.2025.
Thriller, Deutschland, USA, Kanada, Großbritannien, FSK: ab 16, Regie: Paul McGuigan, Drehbuch: Jason Smilovic, Produktion: Christopher Eberts, Kia Jam, Tyler Mitchell, Anthony Rhulen, Chris Roberts, Musik: Joshua Ralph, Kamera: Peter Sova, Schnitt: Andrew Hulme, Mit: Josh Hartnett, Bruce Willis, Lucy Liu, Morgan Freeman, Ben Kingsley, Corey Stoll, Rami Posner, Michael Rubenfeld, Peter Outerbridge, Stanley Tucci, Mykelti Williamson, Dorian Missick, Danny Aiello, Robert Forster, Sam Jaeger, Scott Gibson, Oliver Davis, Daniel Kash, Dmitry Chepovetsky, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF
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