Stephen Chow – „Kung Fu Hustle“ (2004)

4.8
(5)
Ich hab ja schon viel gesehen in meinem Leben. Isländische Krimis in denen 40 Minuten nur geschwiegen wurde, Dokus über das Paarungsverhalten der Tiefseequallen – alles. Mir ist wirklich fast nichts fremd. Aber was Stephen Chow hier mit „Kung Fu Hustle“ abgeliefert hat, hat seinerzeit selbst mich mittelalten Mediathek-Wühler die Fernbedienung fest umklammern lassen. Nicht aus Angst – eher aus Ehrfurcht. Und ein bisschen Verwirrung. Und jeder Menge Liebe.



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Denn was Stephen Chow hier abgeliefert hat, war kein Film im herkömmlichen Sinne. Es war ein audiovisueller Nervenzusammenbruch mit Stil und Feuerwerk. Ein Kung-Fu-Film, der sich an keine Regeln hält – außer an die, dass möglichst alles gleichzeitig passieren sollte. Und zwar schnell, laut und mit einer gehörigen Portion Boom und Wahnsinn auf Red-Bull, Koks und Exctasy.

Der Plot? Im Grunde völlig nebensächlich. Es gibt eine Lovestory, Möchtegern-Gangster, eine Axt-Gang mit Hang zur perfekten Choreografie, einen Slum namens „Residenz Schweinestall“ (kein Scherz) – und jede Menge Menschen, die scheinbar harmlos sind, bis sie plötzlich durch Wände schlagen. Mit der Faust. Mehr müssen Sie wirklich nicht wissen. Alles Weitere ergibt sich aus der Bewegung. Und zwar in sehr viel Bewegung. Permanenter Bewegung. In alle Richtungen. Gleichzeitig!

Nun bin ich ja nicht gerade ein Experte in Sachen Martial Arts. In meinen besten Jahren reichte ein einziger gezielter Fausthieb oder gar nur ein strenger Blick der Protagonist:innen – je nach Gegenüber – um Konflikte zu lösen. Was hier gezeigt wird, ist hingegen eine Mischung aus Ballett, Comic und Loopings in einer J-35, und das alles in drei Minuten Kampfsequenz. Menschen fliegen durch die Gegend, Dinge explodieren, und jemand bekämpft tatsächlich seine Gegner mit einem traditionellen chinesischen Saiteninstrument, das eigentlich der internationalen Rüstungskontrolle unterliegen müsste. Da muss eine:r auch erst mal darauf kommen.

Genau da, verehrtes Publikum, zeigt sich die wahre Stärke dieses Films: Er hat Mut. Und zwar mehr Mut, als die deutschen Filmförderungskollektive in hundertfünfzig Jahren zusammenkratzen könnten. Während wir hierzulande noch diskutieren, ob die Öffentlich-Rechtlichen nicht bitte ein bisschen weniger Unterhaltung, ein bisschen mehr „staatsbürgerliche Grundversorgung“ liefern sollten – am besten mit Budgetdeckel und einem Sidekick in Cordhose, ausgewählt vom zentralen Castingkomitee der Ministerpräsident:innen –, lässt man in China Häuser von Kung-Fu-Rentner:innen zerlegen. Und zwar mit solcher Choreografie, dass ich mich frage, ob nicht doch alles im Kino eigentlich auf Buster Keaton zurückgeht – nur mit inzwischen einfach viel, viel besserer Pyrotechnik.

Wenn also eines Tages die kulturelle Weltherrschaft aus dem Osten kommt – und warum auch nicht? –, dann ist das absolut verdient. Während in Shanghai fliegende Faustschläge choreografiert werden, wird bei uns das Wort „Zukunft“ buchstabiert wie „Spartensender“. Die einen lassen Gongs erschallen und lösen damit Erdbeben aus, bei den anderen gibt’s noch eine neue „Talkshow“, weil das billiger ist als Action mit Haltung.

Jetzt mal ganz ehrlich: Wem würden wir in Deutschland so ein Filmprojekt anvertrauen? Detlev Buck wäre mutig genug, würde aber wahrscheinlich das Ganze im ländlichen Brandenburg verorten und die Axt-Gang durch eine Truppe verkrachter Jungbauern ersetzen. Tom Tykwer bekäme die Ästhetik hin, bräuchte dafür aber ein internationales Streichquartett und mindestens zwei Zeitebenen. Und dann wäre da natürlich noch Til Schweiger, der das Ganze wahrscheinlich ins Hamburger Schanzenviertel verlegen, sich selbst als schweigsamen Superduperkämpfer besetzen, aber aus Versehen sämtliche Nebensätze aus dem Film rausschneiden würde. (Zumindest wäre er dann konsequent.)

Ich persönlich sähe ja das größte Potenzial in einem Remake von Fatih Akin – der hat sowohl ein Herz für Außenseiterfiguren als auch das Gespür für Tempo, Musik und Eskalation. Ob er allerdings die Zither-Harfen-Szene (Spoiler!) so überirdisch elegant inszenieren könnte, bleibt wohl so lange fraglich, bis dass wir ihn mit den Millionen aus der Rundfunkabgabe einfach zuscheißen und er es deshalb einfach wollen muss.

Denn, seien wir einen Moment ernst und offen: Was bei uns entsteht, wenn Mut, Wahnsinn und Filmförderung aufeinandertreffen, ist oft ein missverstandenes Drama mit Mooskulisse – was per se nicht schlecht ist, aber eben kein fliegendes Kung-Fu-Operettenmassaker. Und genau deshalb – ja, wirklich – haben die Chines:innen sich ihre kulturelle Führungsrolle längst verdient. Nicht durch Propaganda, sondern durch mutige Popkultur, die keine Angst hat, gleichzeitig albern und genial zu sein. Wer auf diese Weise mit Geschichte, Stil, Trash und Pathos jongliert, dem würde ich sogar freiwillig die ZDF-Mediathek-Schlüssel überreichen. Und mein Netflix-Passwort gleich dazu – wenn ich eins hätte. Erstmal nur für einen Monat. Probeabo, Sie verstehen.

Was mich noch besonders gefreut hat: Chows Frauenfiguren. Ja, sie sind grandios überzeichnet – aber eben nicht als hübsche Staffage, sondern als Kampfmaschinen mit Charakter. Die „Landlady“ (Vermieterin) zum Beispiel, ein biestiger Drachen mit Kittelschürze, Zigarette und Durchschlagskraft, gehört zu den beeindruckendsten Frauenrollen, die ich seit Äonen gesehen habe. Kein romantisches Interesse, kein sentimentales Beiwerk – nur blanke Gewaltkompetenz und der Wille, aufzuräumen. Ich wette, Chow ist unter mindestens einer, wahrscheinlich aber mehreren Generationen von Matriarchinnen aufgewachsen und hat sie alle in diese Figur destilliert.

Und was für ein Soundtrack! Eine musikalische Achterbahnfahrt zwischen Opernpathos, traditionellen chinesischen Stücken, italienischer Verdi-Wucht und einem Schuss Morricone (auch italienisch). Alles fließt ineinander, nichts, gar nichts ist dezent. Ich hatte das Gefühl, hier durfte sich jemand einfach wild austoben – was wiederum zur Bildsprache passt wie ein Fausthieb auf beide Augen.

Fazit? „Kung Fu Hustle“ ist keine Mediathekperle – es ist eine Mediathekgranate des maximalen Wahnsinns. Wer sich traut, erlebt ein filmisches Feuerwerk aus Genreverneigung, Improvisation, Slapstick, Pathos und purer, aufrichtiger und tiefer Liebe zum Kino.

Nichts daran ist realistisch – und gerade deshalb ist alles richtig daran.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 09.06.2025.



Martial-Arts, Actionfilm, China, 2004, FSK: ab 12, Regie: Stephen Chow, Drehbuch: Stephen Chow, Tsang Kan-cheung, Lola Huo, Chan Man-keung, Produktion: Stephen Chow, Chui Po-chu, Jeffrey Lau, Musik: Raymond Wong, Kamera: Poon Hang-seng, Schnitt: Angie Lam, Mit: Stephen Chow, Yuen Wah, Leung Siu-lung, Dong Zhihua, Chiu Chi Ling, Xing Yu, Chan Kwok-kwan, Lam Tze-chung, Tin Kai Man, Feng Xiaogang, Huang Shengyi, Yuen Qiu, Lam Suet, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF



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  1. Avatar von Micha
    Micha

    @mediathekperlen @filmeundserien @ZDF
    Falls du noch so einen abgefahrenen Film sehen willst,
    👀 „Shaolin Kicker“, auch von Stephen Chow!

    https://de.wikipedia.org/wiki/Shaolin_Kickers
    Gibts auf Netflix

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  2. Avatar von Micha
    Micha

    @mediathekperlen @filmeundserien @ZDF
    Am besten fand ich die ältere Dame im Morgenrock,
    mit Kippe im Mund, Lockenwickler und Power in den Armen!

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  3. Avatar von edanomil
    edanomil

    @mediathekperlen @filmeundserien @ZDF
    Okay…bin neugierig…Wie heisst der Isländische Krimi?

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    1. Avatar von Mediathekperlen

      Oh, wenn ich das nur noch wüsste… aber der muss bestimmt auf ARTE gelaufen sein. 🤣

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