Hollywood kann so viel mehr als Eskapismus – das beweist dieses leise, wütende Justizdrama von Todd Haynes über einen der größten Umweltskandale der US-Geschichte. Mark Ruffalo spielt den Anwalt, der gegen den Chemiekonzern DuPont kämpft – und gegen die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit. Ein Film, der nicht beruhigt, sondern verstört. Und der noch lange nach dem Abspann weiterarbeitet…
Todd Haynes’ „Vergiftete Wahrheit“ (2019) steht in der großen Tradition des Hollywood-Whistleblower-Kinos – kompromisslos, unbequem und hochpolitisch. Dieses Genre, das für mich mit „Die Unbestechlichen“ (1976) begann und sich über Zivilprozess (1997) bis hin zu „Erin Brockovich“ (2000) oder Die Verlegerin (2017) zieht, dreht sich immer um dasselbe: das unerschütterliche Beharren auf Wahrheit in einer Welt, die alles dafür tut, sie zu vertuschen. Haynes reiht sich hier ein – nicht als Revolutionär, sondern als Chronist, der das Vertuschte, das Unbequeme und deshalb Unausgesprochene ans Licht zerrt.
Sein Film verzichtet auf die üblichen Hollywood-Mätzchen: keine triumphalen Fanfaren, keine pathetischen Heldenszenen. Stattdessen: graue Büros, neonbeleuchtete Sitzungssäle, ein stetig wachsendes Unbehagen, das sich in jede Szene schleicht. Mark Ruffalo spielt Robert Bilott, einen Umweltanwalt, der gegen den Chemieriesen DuPont ermittelt. Ein Mann, der sich selbst – oder zumindest seine Karriere und viel Geld – opfert, um anderen eine Stimme zu geben. Ruffalo, selbst Produzent des Films, trieb dieses Projekt mit einer Mission voran: Er wollte diese Geschichte erzählen, weil sie nicht mehr ignoriert werden sollte.
Dabei liefert Ruffalo eine seiner nuanciertesten Leistungen ab. Kein strahlender Held, sondern ein unscheinbarer Bürokrat, der sich von seiner eigenen Überzeugung verschlingen lässt. Er ringt mit den Folgen seines Engagements: der Belastung seiner Familie, dem Druck seiner Kanzlei, der eigenen Erschöpfung. An Ruffalos Seite glänzen Tim Robbins als sein anfänglich skeptischer Kanzleichef, der zum Verbündeten wird, und Anne Hathaway als Ehefrau, die zwischen Angst und Trotz schwankt – keine Figur bleibt hier Beiwerk. Jeder Blick, jede Geste zeigt: Hier wird nicht geschauspielert, hier wird gelebt, gekämpft, gezweifelt.
Haynes, bekannt für subtile, hochästhetische Filme wie „Far from Heaven“ (2002) oder der fantastischen Dylan Biografie „I’m Not There“ (2007), beweist erneut, dass er ein unbestechlicher Beobachter ist. In „Vergiftete Wahrheit“ bleibt er seinem Stil treu, aber hier ist seine Ästhetik karg, unaufgeregt. Haynes seziert nicht nur die Machenschaften eines Konzerns, sondern auch die Immunität, die sich Machteliten immer wieder verschaffen – mit Geld, mit Einfluss, mit den richtigen Netzwerken. Kein Pathos, keine Überhöhung – stattdessen ein nüchterner Blick auf eine Gesellschaft, die sich so gerne selbst belügt.
Der Film basiert auf einem Artikel im „New York Times Magazine“, der Robert Bilotts Arbeit dokumentierte. Bilott deckte auf, dass DuPont jahrzehntelang giftige Chemikalien – sogenannte „Ewigkeitschemikalien“ wie PFOA – in die Umwelt und die Körper von Millionen Menschen pumpte. Diese Stoffe bauen sich nicht ab, sie lagern sich in unseren Organen ab, sie vergiften Generationen. Haynes und Ruffalo holen diese Geschichte aus den Fußnoten der Nachrichten und schleudern sie uns ins Gesicht: Schaut hin, das ist eure Welt.
Und ja, es ist auch ein bitterer Kommentar auf das heutige US-Amerika – oder besser gesagt: auf das westliche System, das sie uns allen so gerne als „alternativlos“ verkaufen. Die „Ewigkeitschemikalien“ sind nur ein Platzhalter für den eigentlichen Skandal: die Selbstgefälligkeit, mit der die meisten von uns ihn einfach hinnehmen.
Haynes liefert hier keinen gefälligen „Oscar-Bait“, sondern ein unbequemes Meisterwerk. Einen Film, der genau das tut, was gutes Kino tun muss: Den Finger in die Wunde legen, dem Publikum den Spiegel vorhalten – und es zwingen, seine eigenen Ausreden zu hinterfragen.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 06.12.2023.
Öko-Justiz-Drama, USA, 2019, FSK: ab 6, Regie: Todd Haynes, Drehbuch: Mario Correa, Matthew Michael Carnahan, Produktion: Pamela Koffler, Mark Ruffalo, Jeff Skoll, Christine Vachon, Musik: Marcelo Zarvos, Kamera: Edward Lachman, Schnitt: Affonso Gonçalves, Mit: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Camp, Victor Garber, Bill Pullman, Mare Winningham, Richard Hagerman, William Jackson Harper, Louisa Krause, Kevin Crowley, Denise Dal Vera, John Newberg, Elizabeth Marvel, Fediverse: @filmeundserien
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