Claire Denis, Juliette Binoche – „High Life“ (2019)

4.3
(3)
Ein Film, der sich dem Publikum nicht anbiedert, sondern mit einer fast schon trotzig-poetischen Strenge seine eigene Welt errichtet – irgendwo zwischen den Sternen, in der Kälte des Alls, aber durchsetzt von einer schmerzhaft irdischen Menschlichkeit. Dass Claire Denis sich ausgerechnet dem Science-Fiction-Genre zugewendet hat, war auf den ersten Blick überraschend.



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Doch wer Denis’ Werk kennt, weiß: Ihre Filme – schon „Beau Travail“ (1999) oder „Trouble Every Day“ (2001) – waren extreme Grenzgänge. Körperlich, psychisch, formal. „High Life“ (2019) ist da keine Ausnahme, sondern vielmehr die radikale Fortsetzung eines filmischen Denkens, in dem sie sich nie den Erwartungen gebeugt hat.

Ich bin mit einer gewissen Skepsis an diesen Film herangegangen – zu oft habe ich im Genre des „philosophischen Sci-Fi“ schon leere Posen gesehen, sterile Räume voller existenzieller Behauptungen. Doch „High Life“ ist anders. Denis gelingt es, das Genre von innen heraus zu destabilisieren, zu verlangsamen, zu verfremden – ohne dabei prätentiös zu werden. Der Weltraum, diese Metapher für Isolation und Utopie, wird bei ihr zum letzten verbliebenen Spiegel dessen, was aus unserer Welt geworden ist. Gewalt, Kontrolle, Begehren, Mutterschaft, Einsamkeit – all das wird nicht erklärt, sondern spürbar gemacht.

Das Drehbuch, das Denis gemeinsam mit Jean-Pol Fargeau schrieb – ihrem langjährigen Partner und Co-Autor zahlreicher Filme – ist fragmentarisch, elliptisch, oft irritierend. Es verzichtet auf Exposition, auf Erklärung, auf narrative Konventionen. Stattdessen gibt es Erinnerungen, Träume, Flashbacks, Körper, Flüssigkeiten, Schreie. Eine derart konsequente formale Haltung hat Seltenheitswert. Und sie wäre kaum denkbar ohne die Kompliz:innenschaft mit Juliette Binoche, die hier in einer ihrer mutigsten und zutiefst abgründigsten Rollen zu sehen ist.

Binoche und Denis verbindet eine kreative Beziehung, die auf tiefem Vertrauen basiert. Bereits in „Nénette et Boni“ (1996) und – zuletzt im Blog – „Meine schöne innere Sonne“ (2017) zeigte sich ihre Fähigkeit, komplexe, widersprüchliche, zutiefst menschliche Figuren zu erschaffen. In „High Life“ verkörpert sie eine Figur, die sich jeder moralischen Lesart entzieht. Wissenschaftlerin, Hexe, Sadistin, Heilerin – sie ist all das und noch mehr. Binoche spielt diese Rolle mit einer körperlichen Intensität, die gleichermaßen verstört wie fasziniert.

Robert Pattinson ist allerdings der eigentliche Grund dafür, dass „High Life“ so lange nachwirkt. Seine Präsenz als „Mönch“ ist zurückgenommen, kontrolliert, konzentriert, beinahe zen-artig. Während um ihn herum die Welt zerfällt, hält er an etwas fest, das wir als Würde, vielleicht auch als einen Rest von Liebe begreifen könnten. Pattinson gelingt es, das Innenleben eines Mannes zu zeigen, der lange aufgehört hat, zu hoffen – und dennoch weiter handelt. Die Beziehung zwischen ihm und dem Kind – seiner Tochter – bildet den emotionalen Kern des Films. Diese zarte, fragile Verbindung ist das, was uns als Publikum schließlich rettet, was uns Halt gibt in dieser in jeder Hinsicht kaputten Endzeit der Welt.

Die Atmosphäre des Films ist schwer zu beschreiben. „Ein Erste-Klasse-Selbstmordtrip.“ Es ist eine Mischung aus klinischer Sterilität und fortgeschrittener organischer Zersetzung. Der Raum gleitet zwischen Hightech-Labor und Feuchtzelle, zwischen Raumschiff und Gefängnis, zwischen Zukunft und Mittelalter. Kameramann Yorick Le Saux schafft Bilder von eigentümlicher Schönheit: körnig, düster, vibrierend. Der Soundtrack von Stuart A. Staples – mit dem Denis ebenfalls regelmäßig zusammenarbeitet – hat hypnotische Qualität. Die Musik öffnet Räume, wo keine Worte mehr existieren.

Natürlich lässt sich „High Life“ auch im Kontext anderer Science-Fiction-Filme lesen. Denis selbst hat Andrei Tarkowskis „Solaris“ (1972) als wichtigen Einfluss genannt – und tatsächlich gibt es Parallelen, etwa in der Beschäftigung mit Erinnerung, Schuld und Verlust. Auch Jonathan Glazers „Under the Skin“ (2013) oder Lynne Ramsays „You Were Never Really Here“ (2017) kommen mir in den Sinn. Filme, die ebenfalls versuchen, Innenwelten über Formen der Abstraktion zu erschließen, ohne ihre Figuren zu verraten.

Doch was „High Life“ von den anderen unterscheidet, ist seine radikale Körperlichkeit. Der Körper – schwanger, verwundet, ausgeschieden, verlangend – steht im Zentrum. Es ist ein Film, der uns zwingt, hinzusehen, auch wenn wir wirklich lieber weggucken würden. Denis’ Blick ist nie voyeuristisch, aber auch nie beschönigend. Er ist forschend, präzise, liebevoll. Und genau das macht ihn so außergewöhnlich.

„Wir werden zu Staub zerfallen sein, wenn sie noch durch das All rasen.“

– Filmzitat

Am Ende blieb ich mit einem Gefühl zurück, das ich im Kino selten erlebe: einer Mischung aus Verstörung und Trost. „High Life“ ist ein Film, der wirklich nicht gefallen will. Er will gedacht, gespürt, durchlitten werden. Er verlangt etwas vom Publikum – Aufmerksamkeit, Geduld, Offenheit. Aber er schenkt auch etwas: eine Erinnerung, die sich eingräbt, ein Bild von Menschlichkeit, das weder naiv noch zynisch ist. Claire Denis hat mit „High Life“ einen unglaublich schwer zu ertragenden Science-Fiction-Film geschaffen, der nicht nur formal mutig ist, sondern auch ethisch herausfordert. Ein Film, der sich strikt weigert, einfache Antworten zu geben.

Dafür bin ich dankbar.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 15.06.2025.


Inhaltswarnung: Der Film ist nicht zu empfehlen für Personen, die aktuell psychisch stark belastet sind oder mit Traumata im Bereich sexualisierter Gewalt, Verlust eines Kindes, körperlicher und psychischer Gewalt, Einsamkeit, Isolation oder existenzieller Verzweiflung konfrontiert sind. Auch wer sich mit düsteren, nihilistischen Stoffen schwertut oder sich von langsamen, fragmentierten Erzählformen schnell überfordert fühlt, muss wissen, dass High Life nicht auf emotionalen Schutz aus ist. Auch die Darstellung von Körperlichkeit ist explizit und kann für Zuschauer:innen eklig oder retraumatisierend wirken.



SciFi-Dystopie, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen, FSK: ab 16, Regie: Claire Denis, Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau, Geoff Cox, Produktion: Laurence Clerc, Oliver Dungey, Christoph Friedel, D. J. Gugenheim, Andrew Lauren, Klaudia Smieja, Claudia Steffen, Olivier Thery, Musik: Stuart A. Staples, Kamera: Yorick Le Saux, Tomasz Naumiuk, Schnitt: Guy Lecorne, Mit: Robert Pattinson, Juliette Binoche, André Benjamin, Mia Goth, Jessie Ross, Gloria Obianyo, Lars Eidinger, Agata Buzek, Ewan Mitchell, Claire Tran, Fediverse: @filmeundserien



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  1. Avatar von steve
    steve

    @mediathekperlen
    Danke für die ausdrückliche Inhaltswarnung am Ende. Man ahnt es aus dem Text heraus schon, aber die explizite Bestätigung ist sehr hilfreich, ganz im Geiste von

    https://www.doesthedogdie.com/about

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    1. Avatar von Mediathekperlen

      Danke für deinen Kommentar und, vor allem für den Link! Der wird bestimmt sehr hilfreich sein.👍 Ich will mich bemühen, das in Zukunft häufiger zu tun. Denn so hart gesotten wie ich im Kino und beim Fernsehen bin, bin ich echt kein guter Maßstab. Und besser einmal zu viel warnen, als zu wenig. Das beugt auch Missverständnissen vor. 😎

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    2. Avatar von Adrian
      Adrian

      @mediathekperlen Danke! https://www.unconsentingmedia.org/items/2794 finde ich auch ziemlich hilfreich.

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