Judi Dench, Sophie Cookson – „Geheimnis eines Lebens“ (2018)

Sie wissen inzwischen: Ich habe eine Schwäche für Filme, die sich langsam entfalten. Wie ein Brief aus einer anderen Zeit, auf handgeschöpftem Papier, mit Tinte geschrieben. Dieser Film von Trevor Nunn ist so ein Fall. Eine leise, dichte Erzählung, ein Drama, das auf einer wahren Geschichte basiert, aber nie in die Falle historischer Selbstgerechtigkeit tappt.



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Der Film blickt durch das Fenster einer alten Frau – Joan Stanley – gespielt mit entwaffnender Zurückhaltung von der großen Judi Dench – und fragt, was Loyalität wirklich bedeutet. Nicht Loyalität gegenüber einem Land oder einem König. Sondern gegenüber der Menschlichkeit. Ich war nicht vorbereitet auf die Wucht, mit der mich die Geschichte treffen würde.

Eine betagte Frau in einem englischen Vorort wird vom Geheimdienst abgeführt. Spionage für die Sowjets. Jahrzehnte zurückliegend. Als Zuschauer:in weiß ich zunächst nicht viel mehr, und das ist klug gemacht. Denn Geheimnis eines Lebens“ („Red Joan“, 2018) erzählt von Vergangenheit nicht mit dem Pathos des Rückblicks, sondern aus der Grauzone, in der politische Ideale und persönliche Überzeugungen aufeinanderprallen.

Im Grunde setzt der Film die Geschichte fort, die – erst fünf Jahre später – in dem 100-Millionen Dollar schweren Oscar-Drama „Oppenheimer“ (2023) nicht mehr erzählt wurde. Im Zentrum hier steht nicht der große Spionagefall, sondern die kleine, die stille Frage: Was, wenn der Geheimnisverrat eigentlich ein Akt der Liebe war?

Sophie Cookson spielt die junge Joan in Rückblenden, und diese Rückblenden sind das Herz des Films. Ihre Joan ist klug, idealistisch, verletzlich – und durch und durch glaubwürdig. Wir begleiten sie als Physikstudentin in Cambridge, als Frau in einer männerdominierten Wissenschaftswelt, als junge Geliebte eines überzeugten Kommunisten. Nichts davon ist reißerisch inszeniert. Die Kamera, nah, vertraut. Die Musik, sparsam und fein. Kein Thriller, sondern ein leiser Film.

Ich spüre Joan Stanleys innere Zerrissenheit. Ihre Entscheidung, Informationen über die Entwicklung der Atombombe an die Sowjets weiterzugeben, erscheint im Licht des Kalten Kriegs nicht mehr als Vaterlandsverrat, sondern als Versuch, ein Gleichgewicht des Schreckens zu schaffen. Ich saß da und fragte mich: Wie hätte ich mich entschieden? Ist der Wille, globale Zerstörung zu verhindern, nicht größer als jede patriotische Verpflichtung?

Trevor Nunns Film lässt diese Fragen offen. Das macht ihn so stark. Er nimmt seine Figuren ernst – und uns Zuschauer:innen auch. Es geht nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um Verantwortung. Und um das Eingeständnis, dass moralische Klarheit im Rückblick immer leichter fällt als in dem Moment, in dem die Entscheidungen getroffen wurden.

Besonders berührt die Darstellung der alten Joan. Judi Dench gelingt es, ihre Figur mit so viel Würde und Verletzlichkeit zu spielen, dass ich mehr als einmal schlucken musste. Da ist nicht die Spur von Sentimentalität, sondern nur das tiefe Bedürfnis, gehört zu werden. Verstanden zu werden. Vielleicht zum ersten Mal.

„Red Joan“ ist kein Film, der laut wird. Er schreit nicht, er erklärt nicht, er rechtfertigt nicht. Aber er sieht genau hin. Und das macht ihn so relevant. Eine Geschichte über eine Frau, weder heldinnenhaft noch schuldig.

Eine, die versucht hat, das Richtige zu tun.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 16.06.2025.



Drama, Großbritannien, 2018, FSK: ab 6. Regie: Trevor Nunn, Drehbuch: Lindsay Shapero, Produktion: David Parfitt, Musik: George Fenton, Kamera: Zac Nicholson, Schnitt: Kristina Hetherington, Mit: Judi Dench, Sophie Cookson, Tereza Srbová, Tom Hughes, Stephen Campbell Moore, Ben Miles, Nina Sosanya, Laurence Spellman, Freddie Gaminara, Raj Swamy, Adrian Wheeler, Ed Birch, Fediverse: @filmeundserien



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  1. Avatar von ZenDragoness//RES
    ZenDragoness//RES

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    1. Avatar von Mediathekperlen

      Oh ja! Und sträflich unterschätzt, finde ich. 👍 ❤️

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