John le Carré – „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1965)

Die erste Verfilmung eines Romans von le Carré, ein Monsterklassiker und ganz sicher kein Film, der einfach zu konsumieren, abzunicken und wieder zu vergessen ist. Vielleicht, weil er nicht vorgibt, etwas zu enthüllen, sondern nur zeigt, was ohnehin jede:r weiß – wenn wir denn hinsehen wollen: dass die Welt der Geheimdienste schmutzig ist, und dabei, sich von innen heraus aufzufressen.



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Martin Ritts Verfilmung des Romans von John le Carré ist keiner der typischen Kalter-Krieg-Thriller. Es gibt keine schnellen Schnitte, keine nervenzerreißenden Verfolgungsjagden, keine Heldenfiguren im klassischen Sinn. Stattdessen: Dreck, Lüge, Alkohol, Zynismus. Und ein großartiger Richard Burton, der diese Rolle mit so viel müder Resignation spielt, dass es beim Zuschauen weh tut. Sein Alec Leamas ist kein smarter James Bond, sondern dessen Antithese, einer, der längst verloren hat – und doch weitermachen muss, weil er sonst nichts mehr hat.

Was mich an diesem 60 Jahre alten Film noch immer bewegt, ist seine radikale Ehrlichkeit. Martin Ritt hat sich einfach geweigert, den Zuschauer:innen irgendetwas zu erleichtern. Alles ist grau, alles ist trist, die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht identifizierbar. Gedreht in Schwarz-Weiß, verdichtet sich die Ästhetik zur politischen Aussage: Nichts hier ist romantisierbar. Selbst die Liebe – oder das, was davon bleibt – ist kontaminiert durch ideologische Gewalt.

Die junge Nan Perry, gespielt von Claire Bloom, wirkt zunächst wie ein Hoffnungsschimmer. Idealistisch, loyal, ehrlich. Doch auch sie wird eingespannt in ein perfides System, das menschliche Beziehungen nur als Mittel zum Zweck kennt. Ihre Naivität steht im scharfen Kontrast zu Leamas’ abgründiger Weltkenntnis. Es ist diese Konstellation – zwei Menschen, die sich irgendwie berühren und gleichzeitig unendlich weit voneinander entfernt sind –, die dem Film eine Spur von emotionaler Tiefe verleiht.

„Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1965) ist nicht nur ein Agentenfilm, sondern zuvorderst ein Abgesang auf Moral im politischen Apparat. Der britische Geheimdienst erscheint hier kaum weniger skrupellos als der ostdeutsche. Der Verrat ist strukturell, nicht individuell. Wenn Leamas begreift, dass er selbst nur ein weiteres Bauernopfer ist, kommt kein Pathos auf – sondern eine verstörende Ruhe.

Was Ritt gelang, war eine fast dokumentarisch anmutende Darstellung geopolitischer Kälte. Jeder Raum, jede Geste ist durchzogen von Misstrauen. Die Kamera von Oswald Morris fängt diese Atmosphäre mit absoluter Präzision ein. Es gibt keine Wärme, nirgends. Kein Licht, das etwa Hoffnung versprechen würde. Nur Wind, der durch die Grenzanlagen weht, als Leamas eine Entscheidung trifft, die alles sagt über das, was Menschen in dieser Welt noch bleibt.

Ich habe den Roman in den letzten 50 Jahren bestimmt ein Dutzend Mal gelesen. Ich habe ihn auf Deutsch und Englisch im Regal. Es ist – definitiv – eines der Bücher für die Insel. Sprachlich, atmosphärisch, politisch liebe ich einfach alles daran. Es war mein Einstieg in die Welt von le Carré. Und, ja, tatsächlich ist dieser Film eine unglaublich präzise Umsetzung dessen, was mir beim Lesen durch den Kopf ging. Dafür muss ich auch den Film lebenslänglich lieben.

Ob es möglich wäre, heute noch einen Teenager zu finden, für den das so würde passieren können, wie mir? Ich habe meine Zweifel. Das sind nicht mehr die Bücher, sie zu fesseln. Und das ist ganz sicher kein Film mehr, den sie länger als ein paar Minuten ansehen würden. Und, ja, ich bedaure sie ein wenig darum.

Ich frage mich oft, was dieses Buch und dieser Film noch immer in mir auslösen. Es ist wohl die bittere Erkenntnis, dass Ideale nichts zählen, wenn sie der Logik eines politischen Systems im Wege stehen. Dass Aufrichtigkeit zur Schwäche erklärt wird. Und dass Menschlichkeit – in einer Welt der kalten Abrechnung – immer wieder geopfert werden wird, um das größere Spiel zu gewinnen.

„Der Spion, der aus der Kälte kam“ ist ein leiser Schrei nach Humanität. Einer, der nicht laut werden darf, weil er sonst sofort erstickt würde.

Ich höre ihn trotzdem.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 14.07.2025.


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Der Film zeigt psychologische Manipulation, Verrat und staatlich legitimierte Gewalt in einem kalten, vollkommen desillusionierenden Umfeld. Thematisiert werden ideologische Ausbeutung, Missbrauch von Vertrauen, politische Repression sowie tödliche Konsequenzen von Loyalität und moralischer Ambivalenz. Die Atmosphäre ist durchgehend bedrückend, mit Szenen emotionaler und existenzieller Ohnmacht. Kein Schutzraum, keine Erlösung – nur Kälte und Kontrolle.



Thriller, Deutsch/Englisch, Großbritannien, 1965, FSK: ab 16, Regie: Martin Ritt, Drehbuch: John le Carré, Paul Dehn, Guy Trosper, Produktion: Martin Ritt, Musik: Sol Kaplan, Kamera: Oswald Morris, Schnitt: Anthony Harvey, Mit: Richard Burton, Claire Bloom, Oskar Werner, Sam Wanamaker, George Voskovec, Peter van Eyck, Rupert Davies, Cyril Cusack, Michael Hordern, Robert Hardy, Bernard Lee, Beatrix Lehmann, Esmond Knight, Walter Gotell, Fediverse: @filmeundserien



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