Jetzt mal ehrlich: Dieser Film war ein Monster. Auch wenn es „nur“ drei Oscars dafür gab, hat dieses kleine Kammerspiel für mich 22/23 die Saison als größte Überraschung dominiert. Es war schlicht unglaublich, was Arronofsky und Fraser aus einem Theaterstück extrahiert und auf die Leinwand gebracht haben.
Und weil ich gerade ehrlich bin, dann muss ich auch zugeben, dass ich Darren Aronofsky zuvor schon sehr gefeiert habe, vor allem für „The Wrestler“ (2008). Die Geschichte des abgehalfterten Ringers, massiv verkörpert von Mickey Rourke, hat damals sozusagen meine Seele und mein Herz berührt.
Natürlich hat die Tatsache, dass der Film damals unter anderem in der Convention Hall in Asbury Park, NJ gedreht wurde und Bruce Springsteen höchstselbst einen Song für den Film geschrieben hat, mich weit mehr interessiert, als das grandiose Comeback von Mickey Rourke, der mir über einen großen Teil seiner Karriere vorher eigentlich eher auf den Sack gegangen ist.
Vom massiven, geschundenem und missbrauchten Körper Rourkes, zum zerbrechlichen, fragilen, geschundenen und nicht minder missbrauchten Körper von Natalie Portman in „Black Swan“ (2010), Aronowskys darauffolgendem Film, gab es aber schon diese Gemeinsamkeit der extremen Körperlichkeit. Eine expressive Körperlichkeit, die ja nicht nur ein physisches Attribut der dargestellten Figuren war, sondern auch expliziter Gegenstand der Erzählungen. Die Hülle jeweils ebenso geschundener Seelen.
Vor diesem Hintergrund war „The Whale“ (2022) eigentlich nur logisch. Und auch, dass Aronowsky mit Brendan Fraser einen Darsteller gewählt hat, dem quasi aus demselben Abseits der Filmfabrik Hollywoods ein Comeback gelang, für das ihn, ganz so wie bei Rourke zuvor, sicherlich kein Mensch mehr auf dem Zettel hatte.
Für Aronofsky war der Körper seines Protagonisten aber nur eine Facette, der Grund dafür weit schwerwiegender als spektakulär.
„Leider werden so viele Figuren in den Medien, die mit Fettleibigkeit leben, furchtbar behandelt – entweder werden sie gedemütigt, verspottet oder leben einfach im Elend“, […] „Das war Charlie nie. Fettleibigkeit ist nur ein Teil dessen, was Charlie ist. Nach 10 Minuten, die wir mit Charlie verbracht haben, ist das der Durchbruch, den der Film hoffentlich [für die Zuschauer] bringt.“
Die Kritik (New York Times) fokussierte für mein Empfinden viel zu sehr auf die äußerst beeindruckende Physis und das Erscheinungsbild von Frasers „Charlie“. Doch das, vielleicht eben auch zu Recht. Denn auch wenn in diesem Kammerspiel die Spezialeffekte einmal nicht aus dem Computer gekommen sind, so ist doch nicht zu übersehen, dass die Handwerkskunst der „Maske“ hier teilweise die Dramatik der Geschichte zu überlagern droht.
Die Figur Charlie, ihre physischen Merkmale, hergestellt durch massive Prothesen und einen Fatsuit, sollten das Publikum beeindrucken. Gerade auch weil die Academy den Film hier mit einem Oscar für die beste Maske ausgezeichnet hat, können wir das, als künstlerische Entscheidung berechtigterweise hinterfragen. (Armani Syed hat die Kontroverse für das Time Magazine angemessen zusammengefasst.)
Aronofsky räumte (…) ein, dass „Menschen mit Fettleibigkeit im Allgemeinen als Bösewichte oder als Pointen dargestellt werden“, und fügte hinzu: „Wir wollten eine vollständig ausgearbeitete Figur schaffen, die sowohl schlechte als auch gute Seiten an sich hat; Charlie ist sehr egoistisch, aber er ist auch voller Liebe und sucht Vergebung. Daher ergibt [die Kontroverse] für mich keinen Sinn.“
Daren Aronowsky, Fatphobia Criticism “Makes No Sense” Vanity Fair, 13.12.2022
Ich persönlich finde, dass auch ein Fatsuit nur ein Kostüm ist. Schauspieler:innen sollen „spielen“ und „verkörpern“, was sie in der Regel nicht sind. Das ist der Kern der Kunst. Ja, im idealen Falle bräuchte es gar keine Masken. Diese Fälle sind nur sehr selten. Und am Ende ist es immer die Freiheit der kreativen und künstlerischen Entscheidungen von Darsteller:in, Regie und Produktion.
Tatsächlich habe ich mir den Film mehrfach angesehen, um mich zu fragen, ob er wohl auch hätte funktionieren können, wäre die Hauptrolle nicht extrem übergewichtig. Wäre seine Behinderung weniger physisch, sondern rein psychologisch, würden wir das, was wir sehen, trotzdem glauben wollen?
„The Whale“ ist ein Film, vor dem man eigentlich warnen müsste, weil er so verstörend ist. Und den man doch wärmstens empfehlen will, weil er so konsequent zeigt, wozu es führt, wenn Menschen jenseits der Hetero-Norm beigebracht wird, dass etwas nicht stimmt mit ihnen, dass sie sich selbst hassen müssen. […] Die Geschichte dieses Mannes ist herzzerreißend.
Und ja, tatsächlich finde ich, dass es möglich gewesen wäre, die Geschichte mit anderen Mitteln zu erzählen. Es hätte vermutlich noch mehr von dem Hauptdarsteller verlangt, weil die Behinderung weit weniger offensiv im Zentrum des Bildes gestanden hätte. Brendan Fraser würde ich das allerdings jederzeit zutrauen. Denn er hat mich, trotz Fatsuit, so sehr überrascht wie vorbehaltlos überzeugt. Und dafür hat er den Oscar dann eben auch verdient!
Der Film und seine Geschichte allerdings sind viel größer als das. Als wären die wirklich jedes für sich eigentlich schon mehr als monströsen Themen wie Familie, Religion, Homosexualität, Einsamkeit, der Suizid eines geliebten Menschen und Adipositas nicht genug. So ist der Film, wenn wir im Hinterkopf haben, wann und unter welchen Umständen er entstanden ist, auch noch ein ziemlich akkurates Dokument seiner Zeit.
Wir waren alle im Lockdown. Auf die eine oder andere Weise…
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 25.01.2025.
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Drama, USA, 2022, FSK: ab 12, Regie: Darren Aronofsky, Drehbuch: Samuel D. Hunter, Produktion: Darren Aronofsky, Jeremy Dawson, Ari Handel, Musik: Rob Simonsen, Kamera: Matthew Libatique, Schnitt: Andrew Weisblum, Mit: Brendan Fraser, Sadie Sink, Hong Chau, Ty Simpkins, Samantha Morton, Sathya Sridharan, Fediverse: @filmeundserien
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