Bei diesem Film versagt dem Mediathek-Chronisten das Wort. Und das nur, weil er ein Mann ist. Wie tief Ridley Scotts Roadmovie sich vor 34 Jahren in mein ewiges Kinogedächtnis eingebettet hat, lässt sich kaum ermessen. Ich habe die beiden Protagonistinnen geliebt wie Schwestern.
Ehrlich gesagt: Es fällt mir einigermaßen schwer über diesen Film, der auch ein feministisches Kinomanifest ist, zu schreiben. Einfach, weil ich keine Frau bin.
Ich könnte an dieser Stelle sehr wohl über die, inzwischen mehrere Generationen übergreifende, tiefe kulturelle Nachwirkung dieses Roadmovies schreiben. Über den wohl amerikanischsten aller Filme seines (britischen) Regisseurs – und zweifelsohne einen seiner größten… doch am Ende wäre das wohl auch nur ebenso überflüssiger, wie prätentiöser Bullshit.
Viel lieber würde ich einen Beitrag lesen, von einer Frau, die 1991 (oder jedem anderen beliebigen Zeitpunkt danach) so etwa zwischen 14 und 84 Jahre alt war und diesen Film zum ersten Mal gesehen hat. Wenn Sie so eine kennen, dann fragen Sie doch mal, ob sie nicht einen Beitrag für diesen Blog schreiben mag, über das, was sie damals gefühlt und gedacht hat.
Im Rückblick lässt sich vieles erklären. Zusammengesetzt aus Kritiken, Artikeln, Interviews der Beteiligten und jener, welche die Kulturindustrie als Historiker:innen begleiten. Ich finde das alles interessant und spannend genug, um es zu lesen. Doch nichts davon kommt den Eindrücken nahe, der Überwältigung und den Gefühlen beim Verlassen des Kinos. Reproduzieren lässt sich das einfach nicht.
ARTE hat dazu, in bewährter Programmlogik auch eine durchaus sehenswerte Dokumentation im Programm, die versucht, etwas davon zu beleuchten (verfügbar bis 06.06.2025):
„Die Dokumentation erzählt, wie dieser „feministische Western“ entstand und warum der Film sofort Kult wurde. Auch die beiden Hauptdarstellerinnen wurden zu gefeierten Feminismus-Ikonen. Ihre sofortige Verehrung als Heldinnen verweist wohl auch auf eine Leerstelle auf der Leinwand: Derartige Protagonistinnen hatte es bis dahin nicht gegeben. Der Film über zwei Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, bringt durch seinen Wortwitz und Situationskomik das Publikum zum Lachen. Ein Kassenschlager, der zugleich zum Meilenstein für ein neues starkes Frauenbild im Kino wurde – das gelingt selten.“ (Programmtext)
ARTE – Kultur & Pop: „Thelma & Louise“, ein feministischer Western >>
Das Besondere an dieser Dokumentation von Leni Merat und Joséphine Petit ist weniger ihre Machart – die ist eher konventionell – doch die Tatsache, dass in der Mehrzahl Frauen ihre Geschichte des Filmes erzählen und die historische Einordnung durch Zitate, die vom Erscheinen des Filmes, bis in die jüngere Gegenwart reichen. Dafür ist es natürlich ein Glücksfall, dass die meisten der Beteiligten noch leben.
Wenn Sie die Doku gesehen haben – das geht im Zweifel auch nebenbei auf dem Smartphone – dann bitte ich Sie allerdings freundlich darum, den Film in anderer, diesem Meister:innenwerk würdiger Weise zu zelebrieren.
Und wenn Sie etwa eine Tochter haben, zwischen 14 und 84, dann sehen Sie sich das gemeinsam an. In jedem Fall nicht alleine! Denn das Erleben und Teilen kollektiver Emotionen ist es, welches das Kino über jegliche andere Art und Weise erhebt, die Sie, auf welche andere Medien Sie auch zurückgreifen mögen, kaum reproduzieren können.
„Thelma und Louise dürfen dem Männerapparat Schnippchen schlagen. Und sich ein bißchen emanzipieren, indem sie die Ohn-Macht umkehren und qua Waffe Potenz phantasieren. Sie dürfen reagieren, aber nicht agieren. Und den Laster des tumb-sexistischen Truckdrivers in die Luft sprengen. Die Protagonistinnen als Einzelkämpferinnen in Sachen Feminismus? Ein blindwütiger Rachefeldzug des schwachen Geschlechts? Weibliche Selbstverwirklichung über die Aneignung männlichen Rollenverhaltens?“
(…) „Thelma & Louise ist geschickt in seiner Uneindeutigkeit. Indem er sich um Antworten drückt, transportiert er Fragen über das Ende des Films hinaus. Thelma & Louise hat in den USA Diskussionen ausgelöst und sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, „männerdiskriminierend“ zu sein. Die Spezies der repräsentierten Männer konzentriert sich in der Tat auf den Typus des großmäulig dumpfen Mackers. Und bebildert und bilanziert so den alltäglichen Sexismus — realistisch wie kaum ein anderer Mainstream-Film.“
„Thelma & Louise“ — ein Frauenfilm mit Machomitteln
Michaela Lechner, taz, 24.10.1991
Es ist ok, zwischendurch auch mal zu jubeln oder wütend zu sein. Ein beherztes „Fuck You“ (ARTE zeigt auch die Originalversion!) reinigt die Seele. Und keine Sorge, ihre 14-Jährige hört auf dem Schulhof ganz andere Sachen! Der Film war 1991 zwar erst ab einem Alter von 16 Jahren zugänglich, doch, seien wir ehrlich… eigentlich ist die Zeit schon lange darüber hinweg. Und reden Sie darüber! Erzählen Sie von den 90ern. Von dem, was Sie erlebt haben. Von Ihren Freund:innen, Frauen, Schwestern…
„Los, fahr weiter!“
Dieser Beitrag ist meiner „kleinen“ Schwester gewidmet und wurde zuerst veröffentlicht am 09.03.2025. Permalink: https://nexxtpress.de/b/b96
Lesen Sie auch:
‚The Last Great Film About Women‘ – Raina Lipsitz, The Atlantic, 31.08.2011
Road-Movie, USA, 1991, FSK: ab 16, Regie: Ridley Scott, Drehbuch: Callie Khouri, Produktion: Mimi Polk Gitlin, Musik: Hans Zimmer, Kamera: Adrian Biddle, Schnitt: Thom Noble, Mit: Susan Sarandon, Geena Davis, Harvey Keitel, Michael Madsen, Brad Pitt, Stephen Tobolowsky, Lucinda Jenney, Christopher McDonald, Timothy Carhart, Jason Beghe, Marco St. John, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe
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