Alles an diesem Film ist Hollywood. Alles ist berechenbar, vorhersehbar, kalkuliert. Ein Drama, aufgelöst durch eine Figur die zwischen Comedy und Drama balanciert. Nur weil es Al Pacino und ein Weltklasse-Cast ist, und weil die Filmmusik aus Songs von John Lennon besteht, wird es nicht zu einem Debakel, sondern zu einem Film den ich lieben kann.
Pacino singt! Er versucht es wenigstens. Und ja, es ist nicht vollkommen peinlich. Wenn er einen Text am Piano rezitiert, dann kann er das. Viel, viel besser als die meisten in seinem Geschäft, vermutlich. Ein Rockstar ist er nicht. Aber vermutlich ist er auf jeder Bühne ein Ereignis, das ein Mensch nicht mehr vergisst. Ich werde das nicht mehr erleben. Deshalb verpasse ich keinen seiner Filme.
„Danny Collins“ (2015) ist einer dieser Filme, bei denen ich den deutschen Filmverleih zum Teufel wünschen möchte, für den unnötigen Titel, den kein Mensch braucht. Doch das Marketing ist vermutlich ohne eine dämliche Eindeutschung zu anspruchsvoll, weil es eine andere Erwartungshaltung wecken könnte. „Mr. Collins’ zweiter Frühling“ klingt ja schon nach Comedy… vielleicht hat es tatsächlich mehr Leute in die Kinos gelockt, als der Originaltitel allein. Wer würde sich dafür interessiert haben?
Für mich reicht, wie gesagt, „Pacino“ in den Credits. Da bin ich einfach Fan. Wobei der gute in seinem Leben auch Filme gemacht hat, auf die ich nicht besonders stolz wäre. Doch auch Künstler müssen leben. Und ein aufwändiger Lifestyle (vorzüglich bebildert zu Lennons „Working Class Hero“) finanziert sich nicht allein vom Ruhm und Erfolg in der Vergangenheit. Das ist auch bei ganz gewöhnlichen Arbeitnehmer:innen nicht anders. Mit diesen Gedanken im Kopf habe ich den Film zum ersten Mal gesehen. Ich war auf milde Enttäuschungen vorbereitet.
Um so mehr wurde ich davon überrascht.
Comedy ist das nicht! Eher großes Drama! Tragisch hätte es enden können, was es aber nicht tut. Stattdessen bekommen wir ein Ende, das sich in einer Schwarzblende auflöst. Ganz wie bei „The Sopranos“ (2007). Und ganz zufällig spielt auch der Film in New Jersey.
Krebs ist ein Arschloch. Und ganz reales Drama. Wer das einmal selbst oder mit Angehörigen oder Freund:innen durchgemacht hat, verändert sich – wenn er/sie das denn hat überleben können. Ich bin da multiple vorbelastet. Deshalb bin ich furchtbar sauer, wenn die Krankheit, jede Krankheit, in einem Film nur für das Drama benutzt wird. Der/die Patient:in aber eigentlich kaum interessiert. Hier ist es Bobby Cannavale, ein Darsteller, der längst viel mehr Ruhm verdient hätte, dessen Rolle dieses Schicksal tragen musste. Dafür ist der Held der Geschichte. Weit mehr als der Hauptdarsteller.
Annette Bening, Jennifer Garner und Christopher Plummer sind auch solche Hauptgewinne. Wer auch immer für das Casting verantwortlich war, wusste, dass Pacino ebenbürtige Darsteller braucht, um nicht zu seiner eigenen Comic-Figur zu werden. Hier ist diese Rechnung vollständig aufgegangen. Die Erinnerung an sie, wiegt für mich eigentlich weit schwerer, als die an den Superstar.
Nix gegen Pacino! Er spielt einen alternden Sänger, dessen Karriere schon seit Jahrzehnten aus der endlosen Wiederholung seiner alten Hits besteht. Und einem öbszönen Lifestyle zwischen Luxus, Frauen die viel zu jung für ihn sind und Kokain. So etwas gibt es ja wirklich. Jedenfalls lesen wir davon im Boulevard und ab und zu auch in den normalen Nachrichten. Meistens ist dann einer gestorben.
Die Geschichte, in der ein Musiker einen Brief von John Lennon bekommt, den dieser über 34 Jahre vorher abgeschickt hat, der aber nie zugestellt wurde, die ist so gut, sie musste also wahr sein. Und das so etwas lebensverändernde Konsequenzen hervorrufen würde, kann ich glauben. Absolut. Welche das bei mir gewesen wäre, weiß ich nicht. Wie hätte etwa Bruce Springsteen in meinen 20ern von mir wissen können? Ok, mein Leben hat er trotzdem verändert, auch wenn der Brief noch nicht angekommen ist. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Es ist, und nur darum geht es, ein wirklich „schöner Film“. Kein Geniestreich Pacinos. Eher eine ehren- und würdevolle Persiflage seiner selbst. Ein Familienfilm, weit mehr als etwa eine Rockstarbiografie. Dan Fogelman, der sein Talent zum Broterwerb an TV-Serien verschwenden muss, hat hier einen Film gemacht, der es verdient, dass die Leute dafür in die Kinos gehen.
„Mr. Collins“ ist konservatives Kino, im allerbesten Sinne. Klassisches Erzählen. Große Darsteller in kleinen Leben. Geschichten, die wir glauben wollen. Emotionen, die uns erlauben, mitzufühlen. Und, ja, ebenso wichtig: das Lachen, wenn ein Weltstar einen Clown spielt – und es zu genießen scheint.
„Also Tom…“
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 21.04.2025.
Drama, USA, 2015, FSK: ab 12, Regie: Dan Fogelman, Drehbuch: Dan Fogelman, Produktion: Nimitt Mankad, Jessie Nelson, Musik: Ryan Adams, Theodore Shapiro, Kamera: Steve Yedlin, Schnitt: Julie Monroe, Mit: Al Pacino, Annette Bening, Jennifer Garner, Bobby Cannavale, Christopher Plummer, Nick Offerman, Cesar Evora, Josh Peck, Fernando Colunga, Michelle Vieth, Katarina Čas, Brian Thomas Smith, Melissa Benoist, Giselle Eisenberg, Eric Michael Roy, Fediverse: @filmeundserien
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