Große Themen: Krankheit, Verlust, das Erwachsenwerden – und doch nie schwer. Hier gelingt genau das: ein schwebender, feinfühliger Film, der das Unaussprechliche greifbar macht, ohne mit einfachen Antworten zu beschwichtigen. Weil er in seiner Ehrlichkeit etwas erlaubt, das selten geworden ist im Kino.
Anca Miruna Lăzărescu („Hackerville“, 2018) hat sich schon in früheren Arbeiten als Beobachterin stiller Spannungen bewiesen, mit einem besonderen Gespür für Figuren, die mehr verbergen, als sie sagen. Hier ist ihr Blick noch intimer. Sie erzählt von einer Familie, in der der Ausnahmezustand längst zum Alltag geworden ist. Ohne Pathos, ohne jede Überdramatisierung – und gerade dadurch umso eindringlicher.
Im Zentrum steht die zwölfjährige Jessica, gespielt von Ella Frey in einer der überzeugendsten Kinderdarstellungen, die ich seit Langem gesehen habe. Ihre Jessica ist keine Heldin – sie ist ein Kind, das liebt, zweifelt und rebelliert. Und sie lässt sich nicht abspeisen mit dem, was Erwachsene „Realität“ nennen. Jessicas innere Welt ist ernstzunehmend, auch in ihrer Unvernunft. Frey bringt diese Widersprüchlichkeit mit beeindruckender Selbstverständlichkeit auf die Leinwand. Ihr Spiel ist roh, leise, nie überzeichnet – und in seiner Direktheit oft ziemlich erschütternd.
An Jessicas Seite: ihr Vater Stefan, ein Bademeister, der im Leben mehr mit dem Tod zu tun hat, als es zunächst scheint. Gespielt wird er von Martin Wuttke, dessen zurückgenommenes Spiel das emotionale Fundament des Films bildet. Es ist eine dieser Rollen, in denen scheinbar wenig passiert – aber alles spürbar wird. Wuttke versteht es wie kaum ein anderer, Leere nicht als Abwesenheit, sondern als tiefe Präsenz zu zeigen. Jeder Blick, jedes Zögern hat Bedeutung, ohne aufgeladen zu wirken. Sein Stefan ist kein Mann großer Worte, und genau das macht ihn so nahbar.
Die Beziehung zwischen Vater und Tochter ist gezeichnet von Distanz und vorsichtiger Annäherung, von Sprachlosigkeit und leisen Gesten. Lăzărescu interessiert sich nicht für die perfekte Versöhnung, sondern für das vorsichtige Aushalten – für die Fragilität von Nähe. Und auch in den anderen Figuren steckt keine Funktion, sondern Leben. Alle scheinen mit etwas zu ringen, das sich nicht greifen lässt, und genau deshalb fühlt sich das Ensemble so stimmig an.
Die Inszenierung spielt mit Gegensätzen: Die kühle Sachlichkeit deutscher Schwimmbäder trifft auf die leuchtende Fantasie eines Mädchens, das sich weigert, die Welt so hinzunehmen, wie sie ist. Der Film erlaubt sich Momente des Absurden, des Traums, sogar des Übernatürlichen – aber nie, um zu entkommen. Sondern um zu zeigen, dass Realität mehr ist als das, was erklärbar ist. Diese Momente schaffen Atmosphäre, statt Logik zu verlangen. Fantasie ist eine Form von Widerstand!
Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Weigerung des Films, einfache Antworten zu geben. Nichts ist eindeutig, nichts wird „gelöst“. Stattdessen bleibt Raum für Fragen, für Ambivalenzen. Das macht „Glück ist was für Weicheier“ nicht zu einem Wohlfühlfilm – aber zu einem zutiefst menschlichen. Und vielleicht ist das der größere Trost.
Der Humor, der durch viele Szenen weht, ist fein, manchmal dunkel, manchmal überraschend. Nie zynisch, sondern Innehalten in der Überforderung. Es gibt Szenen, die beinahe surreal wirken, andere, die dokumentarisch, liebevoll und genau beobachtet sind – und alles passt ineinander. Weil die Welt, in der Jessica lebt, ebenso widersprüchlich ist wie unsere eigene.
Der Titel klingt provokant – und entpuppt sich doch als herzenswahre Umarmung all dessen, was verletzlich ist. Glück ist hier nicht das Ziel, sondern eine Haltung. Vielleicht sogar ein Widerstand. Gegen das Schweigen. Gegen das Unvermeidliche. Gegen das Erwachsensein.
Ein ganz leiser Film. Kein Drama im klassischen Sinn, kein Tränenkino, das überwältigen will. Sondern ein Film, der sich öffnet, wenn wir uns auf ihn einlassen. Ein Film, der schweres mit scheinbar ganz leichten Mitteln erzählt.
Eine Erinnerung, dass, was uns schwach macht, manchmal doch unsere größte Stärke ist.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 17.06.2025.
Hinweis: Der Film behandelt sensible Themen wie schwere Krankheit, Sterben und Trauer innerhalb einer Familie. Der Film zeigt den Umgang mit dem bevorstehenden Verlust einer nahestehenden Person aus der Perspektive eines Kindes und enthält Szenen, die emotional belastend sein können, insbesondere für Menschen mit persönlichen Erfahrungen in diesen Bereichen. Auch Mobbing, spirituelle und magisch gedachte Heilungsversuche sowie der Umgang mit Tod spielen eine Rolle. Zuschauer:innen sollten sich auf eine sehr einfühlsame, aber stellenweise intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen einstellen.
Drama, Deutschland, 2018, FSK: ab 12, Regie: Anca Miruna Lazarescu, Drehbuch: Silvia Wolkan, Produktion: Tobias Walker & Philipp Worm, Musik: Ketan & Vivan Bhatti, Kamera: Christian Stangassinger, Schnitt: André Bendocchi-Alves, Hansjörg Weißbrich, Mit: Ella Frey, Martin Wuttke, Emilia Bernsdorf, Christian Friedel, Ilyes Raoul, Tim Dieck, Sophie Rois, Stephan Grossmann, Tina Ruland, Fediverse: @filmeundserien, @ZDF
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