Gurinder Chadha – „Kick It Like Beckham“ (2002)

4.5
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Dass dieser Film pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft in der ARD wieder auftaucht, ist eine kleine Sensation. Nein, wirklich: Dass ausgerechnet die öffentlich-rechtliche Bürokratiemühle so etwas hinbekommt – Herz, Timing und Kontext – hätte ich fast nicht mehr für möglich gehalten. Siehe da: In dem Apparat sitzen offenbar doch Menschen.



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Der Film war ein unglaublicher Volltreffer. Eine überraschende Flanke. Ein platzierter Distanzschuss aus der Tiefe des Raums. Schon 2002 gestartet, hat er heute längst Kultstatus. Wie viele Mädchen durch den Film zum Fußball gefunden haben, kann ich nur spekulieren. Eine oder zwei Spielerinnengenerationen werden es inzwischen wohl sein. Und selbst wenn sie ein Mann sind und mit dem Sport gar nichts anfangen konnten, können sie hier was lernen. Das weiß ich, weil ich ein Zeitzeuge bin.

„Kick It Like Beckham“ (2002) war ja zuallererst mal eine klassische Coming-of-Age Geschichte und erzählt vom Aufwachsen zwischen kulturellen Überlieferungen und persönlichen Träumen. Das haben wir mit so ziemlich jeder Sportart in fast jedem Teil alles schon gesehen. Hier ist es Jess – Tochter einer sikh-punjabischen Familie in London – die einfach nur Fußball spielen will. Nicht zum Spaß, sondern ernsthaft, mit Ambition. Ihre Familie dagegen hat andere Pläne: Studium, Ehe, Anpassung. Auf dem Platz trifft Jess auf Jules – eine selbstbewusste, etwas wortkarge Mitspielerin. Fertig war das Traumpaar.

Heute noch über die junge Keira Knightley (* 1985) zu schwärmen, wäre ja irgendwie kaum was Neues. Dank Star-Wars, Disney-Piraten-Overkill und viel harter Arbeit gehört die Frau aus London längst und noch immer zum popkulturellen Hollywood-Inventar, das sogar die jungen Mädchen und Frauen kennen, die 2002 noch gar nicht geboren waren.

Auch für Parminder Nagra (* 1975), die als Jess hier die eigentliche Hauptrolle spielt, war der Film ein Karriere-Kick-Booster. Die Tatsache, dass sie nach dem Film aber weit weniger globale Bekanntheit errungen hat, zeigt allerdings auch, um wie viel schwerer es für eine nicht-weiße Darstellerin war – und ziemlich sicher auch noch ist – im Filmgeschäft zu überleben.

Ob Sie den Film jetzt „queer“ lesen, oder „sportlich“ ist mir eigentlich egal. Jedenfalls hat Gurinder Chadha junge Frauen einfach mal ernst genommen. Und das hat ihn schon zu etwas Außergewöhnlichem gemacht. Für die Regisseurin, selbst eine der heute einflussreichsten und wichtigsten Chronist:innen der asiatisch-britischen Community, war er in jeder Hinsicht persönlich.

Manche nennen das codiert. Dieser Film hat mehreren Generationen gezeigt, dass Nähe zwischen zwei jungen Frauen mehr sein kann als Freundschaft. Dass sie sich selbst finden können, auch wenn ihnen die Sprache dazu noch fehlt. Und dass ein Blick so viel mehr sagen kann als jedes ausformulierte Coming-Out-Statement auf Instagram.

Denn hier wurde nicht einfach ein Kulturkonflikt abgearbeitet. Chadha erzählt wirklich differenziert, mit Liebe zu allen ihren Figuren. „Die Eltern“ sind einmal keine Karikaturen, sondern selbst verletzliche und nachvollziehbare Charaktere. Die beste Freundin ist mal keine Nebenrolle, sondern ein zweites Zentrum. Selbst Jules’ überforderte Mutter – gespielt von Juliet Stevenson, mit herrlich britischem Pathos – bekommt ihren Moment. Ihre Panik, die Tochter könne sich in Jess etwa verliebt haben, wird nicht verspottet, sondern mit warmem Witz unterlaufen.

Dass die romantische Möglichkeit am Ende in Richtung eines jungen Trainers umgelenkt wird – geschenkt. Die, die es anging, wussten es besser. Der Film hat seinen Matchplan da längst durchgesetzt. Und weil er offen gelassen hat, was genau zwischen Jess und Jules passiert, konnten sich viele darin wiederfinden. Gerade, weil nichts entschieden wurde.

Heute, wo Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen längst expliziter geworden ist, mag diese Zurückhaltung irritieren. Damals – vor über 20 Jahren – war sie eine Einladung. Und vielleicht ist das bis heute die größte Stärke dieses Films: dass er nicht vorgibt, eine universelle Lösung zu sein, sondern eine individuelle Möglichkeit.

Dass er nun, zur Fußball-EM, wieder im Programm ist, fühlt sich für mich fast wie eine Wiedergutmachung an. Für all die Jahre, in denen Fußball männlich, laut und heteronormativ inszeniert wurde. Für all die Filme, in denen Mädchen (und Frauen!) nicht wirklich ernst genommen wurden – auf dem Platz und im Leben. Zwischen DFB-Gefälligkeit und EM-Reportage ist der Film ein kleiner popkultureller Edelstein… nein… eine Perle!

Und immer noch ein kleines Wunder.

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Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 02.07.2025.


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Komödie, Coming-of-Age, Sportfilm, Deutsch/Englisch, Großbritannien, 2002, FSK: ab 0, Regie: Gurinder Chadha, Drehbuch: Gurinder Chadha, Paul Mayeda Berges, Guljit Bindra, Produktion: Deepak Nayar, Gurinder Chadha, Musik: Craig Pruess, Kamera: Jong Lin, Schnitt: Justin Krish, Mit: Parminder Nagra, Keira Knightley, Jonathan Rhys Meyers, Anupam Kher, Shaheen Khan, Archie Panjabi, Juliet Stevenson, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe



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  1. Avatar von danimo
    danimo

    @mediathekperlen stimmt, der Stumpfsinn , der für das Konzept Brot und Spiele nötig ist, wird von herzensguten Menschen rechtzeitig zur direkten Ablenkung von Klimakrise und Faschismus gekonnt platziert. Großartig. Und so menschlich einfach 👍 @filmeundserien

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    1. Avatar von Mediathekperlen

      Ähm… für unsere mentale Gesundheit sind wir zuallererst selbst verantwortlich. Und mir hilft dieser Film dabei, mir diese auch im Angesicht von Faschismus und Klimawandel zu erhalten. Ganz genau wie der Fußball der Frauen, auf den ich mich auch deshalb freuen kann, weil ich den der Männer längst nicht mehr ertragen möchte.

      So hat jede:r was Eigenes. Alles, was hilft, ist richtig!

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      1. Avatar von danimo
        danimo

        @mediathekperlen ja, ok, in diesem Framing hast du natürlich Recht.

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