Wenn jemand nur beiläufig durch diesen Blog fliegt, könnte wohl der Eindruck entstehen, hier würde nur das reine, wahre, möglichst europäische Kino gefeiert, oder der kleine TV-Film, der so wenig wie eben möglich mit dem geschmähten „Hollywood“ zu tun hat. Und das wäre tatsächlich grundfalsch.
In Wirklichkeit liegt es einfach daran, dass Medienstaatsverträge eine ziemlich limitierte Programmpolitik der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland ja tatsächlich vorschreiben. Das fängt bei der Herkunft des Materials an – hier wollen sie, zu Recht oder nicht – zuvorderst die „eigene Industrie“ fördern. Und es hört bei der sehr begrenzen Verfügbarkeit in den Mediatheken auf – mit der sie den „kommerziellen Rundfunkveranstaltern“ möglichst nicht in die Quere kommen dürfen.
Ein Glücksfall und eine echte Mediathekperle ist es deshalb, wenn ARTE heute und nur für die nächsten 6 Tage dieses große Stück „Hollywood“ in sein Programm und die Mediathek nehmen darf. Ganz ehrlich: Hier lohnt sich das Hinschauen gleich aus mehreren Gründen:
Mark Ruffalo spielt in „Vergiftete Wahrheit“ einen Rechtsanwalt, der es im Alleingang mit einem Chemieriesen aufnimmt und einen der größten Umweltskandale der US-Geschichte aufdeckt. Der wandlungsfähige Hollywoodstar, unter anderem als „Hulk“ aus den Marvel-Verfilmungen bekannt, zeigt in der Rolle des unbeugsamen Außenseiters eine grandiose Schauspielleistung. An seiner Seite sind die Oscarpreisträger Tim Robbins und Anne Hathaway zu sehen. Todd Haynes führte Regie bei dem spannend erzählten Justizdrama, das auf einem Artikel im „New York Times Magazine“ über den Anwalt Robert Bilott beruht.
Dieser Film von Todd Haynes steht fest in der Tradition des großen Hollywood Whistleblower-Kinos. Ich liebe das Genre schon seit „Die Unbestechlichen“ (Watergate, 1976). Der große Film von Alan J. Pakula mit Robert Redford und Dustin Hoffmann hat wohl schon mehrere Generationen geprägt. Wer nach diesem Film nicht „Journalist:in“ werden wollte, hat ihn wohl tatsächlich nie gesehen.
Aber auch neuere Filme, wie „Die Verlegerin“ (2017) mit Meryl Streep und Tom Hanks, insbesondere aber auch das Umwelt- und Justizgenre mit dem Oscar-Preisträger „Erin Brockovich“ (2000) mit Julia Roberts oder der Oscar-nominierte „Zivilprozess“ (1997) mit Travolta… repräsentieren das „Hollywood“ das ich liebe, für das was es tatsächlich kann, wenn es denn will.
„Vergiftete Wahrheit“ hat auch verdammt viele Gemeinsamkeiten mit einem anderen Ruffalo Film, eigentlich auch ein moderner Klassiker, ganz wie die zuvor genannten: „Spotlight“ (2015), von Tom McCarthy, der einen Oscar als Bester Film und eine Nominierung für Ruffalo als bester Nebendarsteller mit nach Hause genommen hat. Denn beide Filme sind eine methodische Untersuchung von Methoden zur Aufdeckung von Wahrheit – juristische im Fall von „Vergiftete Wahrheit“, journalistische im Fall von „Spotlight“.
„Vergiftete Wahrheit“ ist mit seiner Enthüllung der Praktiken des US-Chemie-Giganten DuPont auch ein (unbeabsichtigtes?) Gegenstück zu „Foxcatcher“. In dem Sportdrama aus dem Jahr 2014 spielte Ruffalo die Hauptrolle des olympischen Wrestlers Dave Schultz, der 1996 vom Erben des Chemieimperiums John du Pont , gespielt von Steve Carrell, ermordet wurde.
Zusammengenommen erzählen diese beiden Filme auf tatsächlich erschreckende Weise von der Freiheit, die unsere Gesellschaft mächtigen Unternehmen und Familien gewährt. Geschichten über die, die sich als Elite gebaren, sich über Politik, Gesellschaft und Justiz erhaben fühlen. Die von konservativen, libertären, reaktionären und grenzfaschistischen Parteien und Organisationen hofiert werden – und genau wissen, wie sie diese zu ihren Zwecken instrumentalisieren.
Weil der Film so großartig und so wichtig ist – und die Verfügbarkeit so kurz:
Meine Mediathekperle der Woche!
Warnung: Nachdem sie diesen Film – nach einer wahren Geschichte – gesehen haben, werden sie ihre Küche aufräumen und für den Rest ihres Lebens keine „Teflon„-Pfanne mehr in die Hand nehmen!
„Vergiftete Wahrheit“ – in der Mediathek bei ARTE bis zum 12.12.2023
Spielfilm, USA, 2019
FSK: ab 6
Regie: Todd Haynes
Drehbuch: Mario Correa, Matthew Michael Carnahan
Produktion: Killer Films, Participant Media
Produzent/-in: Pamela Koffler, Mark Ruffalo, Christine Vachon
Kamera: Edward Lachman
Schnitt: Affonso Gonçalves
Musik: Marcelo Zarvos
Mit: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Pullman, Bill Camp, Victor Garber, ua.
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