Zwischen Valentinstag im Februar und Weltglückstag im März, einer dieser Filme, die dazu so beunruhigend perfekt passen, dass durchaus zu öffentlich-rechtlichen Konspirationstheorien Anlass gegeben wäre. Vielleicht kaufen sie besser keine Blumen?
Jessica Hausner, die österreichische Autorin und Regisseurin von, unter anderen, „Lourdes“ (2009) und „Amour Fou“ (2014) setzt das Thema in ihrem teuflisch beunruhigenden Film „Little Joe“ mit drolliger Distanziertheit und einer artifiziellen Inszenierung in eines der effektivsten und genrevariabelsten Settings überhaupt: Einen klassischen Science-Fiction.
Emily Beecham ist Alice, eine arbeitssüchtige Wissenschaftlerin bei einem Biotechnikunternehmen, das sich auf genetisch „optimierte“ Pflanzen spezialisiert hat. Ihre große Innovation ist eine neue, das Hormon Oxytocin produzierende Blumensorte, die bei sorgfältiger und richtiger Pflege bei ihren Besitzer*innen Glücksgefühle hervorruft. Soweit das Motiv. Sicher bekommen Sie diese Blume nicht von Fleurop.
Der Film bewegt sich auf weitgehend bekannten Pfaden. Ein Virus, eine Chemikalie oder Alien-Droge, die in anderen Filmen schon mal dafür verantwortlich waren, dass Menschen plötzlich ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten verändern, ist hier eben eine ganz und gar nicht harmlose Pflanze und ihre Pollen.
Aber Hausner macht etwas Beunruhigendes und Eigenwilliges: Mit gelegentlichen atonalen und hochfrequenten Sequenzen im Soundtrack vermittelt sie ein ganz und gar nicht subtiles Unbehagen, als ob der Film – wie seine Heldin – nicht in der Lage wäre, rational zu begreifen, was gerade passiert.
In gewisser Weise nutzt die Regisseurin die Phase der Angst und Unsicherheit, die so eine Geschichte normalerweise einleitet, und erweitert diese einfach auf Spielfilmlänge, um den eigentlichen Höhepunkt der Eskalation, also den unvermeidlichen Totalabsturz in eine Dystopie und die Paranoia des großen Horrors zu vermeiden.
Wenn Sie hier einschalten, um Ihren Adrenalinpegel nach oben zu treiben, dann werden Sie zwangsläufig enttäuscht. Es gibt keine Computer, keine KI, keine Monster oder zähnefletschende Aliens. Nur Blumen, Menschen, einen Hund und ihre Sinne.
Eigentlich ist mir der Film eher zu trocken und clean, ganz wie das Pflanzenlabor, manchmal ist er aber auch ehrlich komisch (Ben Whishaw!). Diese Ambivalenz findet sich auch in Hausners früheren Filmen. Es gibt keine Klarheit über Beweggründe und Gefühle ihrer Protagonist:innen. Raum und Zeit sind nicht definiert. Gut und Böse sind Kategorien, die in diesem Spiel um unsere Nervenenden im Gehirn nicht existieren.
„Little Joe“ ist ein existenzieller kleiner Horrorfilm über die Unfähigkeit, komplizierte Emotionen zu verstehen, und über die Verlockung, einer Versprechung von Glück nachzugeben.
Vielleicht geht es aber auch tatsächlich um die zerebrale, hormonelle „Infektiösität“ der Elternschaft? Also hier: Die Unzulänglichkeitsgefühle einer Mutter ihrem Sohn gegenüber. Ist die Pflanze ein weiteres Kind? Das ist für mich schwer zu sagen. Aber die Gedanken wert. Im übertragenen Sinne ist es kein Film, den ich einfach kategorisieren könnte.
Optisch ist „Little Joe“ ein Fest, denn hier kontrastiert Art-Deco-Rosa und Minzgrün mit sterilen, symmetrisch gerahmten weißen Flächen und erinnert ein wenig an die Ästhetik der Science-Fiction-Filme der frühen 70er Jahre. Ein Anlass, den ewigen Kubrik wieder aus dem DVD Regal zu holen.
Nichts, das unsere Sehgewohnheiten verfestigen wird – im Gegenteil. Ein ungewöhnlicher Film. Nehmen Sie ihn, wie Sie wollen. Als Warnung vor der Gentechnik, als Reflexion über die Liebe (einer Mutter), als sinnliche Herausforderung, oder als subtilen Horror. Ganz, wie sie gerade drauf sind.
Heuschnupfen kann durchaus ein Segen sein.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 20.03.2024. Permalink: https://nexxtpress.de/b/Ria
Science-Fiction-Drama / Psychothriller, Österreich, Deutschland, Großbritannien, 2019, FSK: ab 12, Regie: Jessica Hausner, Drehbuch: Géraldine Bajard, Jessica Hausner, Produktion: Philippe Bober, Bertrand Faivre, Martin Gschlacht, Jessica Hausner, Gerardine O’Flynn, Bruno Wagner, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: Karina Ressler, Mit: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, David Wilmot, Leanne Best, Lindsay Duncan, Sebastian Hülk, Goran Kostic, Yana Yanezic, Andrew Rajan, Kit Connor, Phénix Brossard, Jason Cloud
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