Aylin Tezel – „Falling into Place“ (2023)

4.5
(2)
Ich war unglaublich gespannt, auf das Regie-Debüt von Aylin Tezel. Wie immer, wenn eine so profilierte Darstellerin, wie die Frau aus Ostwestfalen, die Seiten wechselt, um nicht nur vor der Kamera zu agieren, sondern die Kontrolle über einen Film zu übernehmen. Tezel hat es riskiert und gewonnen. Uns hat sie beschenkt. Ihr wunderbarer kleiner Film ist ein zartes Porträt von Liebe, Verletzlichkeit und Selbstfindung.



Hier wurde ein Video von Youtube, einer Plattform von Alphabet (Google) eingebunden. Der Inhalt wird nur geladen, wenn sie zuvor einer Übertragung ihrer persönlichen Daten (ua. ihrer IP-Adresse) an die Plattform zustimmen. Klicken Sie auf dieses Cover, um den Inhalt anzuzeigen.

Erfahren Sie mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Aylin Tezels Debüt ist ein bemerkenswerter Film. Mit großer Sensibilität und authentischer emotionaler Tiefe widmet sie sich der Komplexität moderner Beziehungen. Dass der Film außerdem an einem meiner Sehnsuchtsorte spielt – und dass seine Regisseurin und Autorin auch ihre eigene Hauptdarstellerin ist, macht ihn zu einer Edelperle. Sorry, but not sorry, ich mag die Frau und liebe ihren kleinen Film einfach sehr. Auch und gerade, weil er anders ist.

Zwei Fremde, die in einer einzigen Nacht eine tiefe Verbindung eingehen. Kira, die versucht, ihrem Liebeskummer zu entfliehen, und Ian, der sich seinen familiären Dämonen stellt. Zwischen Pubs, Gesprächen und intensiven Momenten finden sie Trost ineinander, nur um sich am Morgen wieder zu verlieren. In der pulsierenden Anonymität Londons kreuzen sich ihre Wege eines Tages erneut, während sie lernen, sich ihren Ängsten zu stellen und den Traum von der großen Liebe nicht aufzugeben.

ARTE Programmtext

Diese Geschichte um die beiden jungen Londoner Kira und Ian ist nicht (mehr) ganz aus meiner Welt. Doch ich bin auch noch nicht zu alt, mich zu erinnern, wie es war, das Leben, als ich noch weniger als halb so alt war, wie ich mich heute fühle. Und das ist kein Scheiß: Manchmal war es einfach wirklich kompliziert.

Der Film beginnt mit einer scheinbar alltäglichen Begegnung. Ausgangspunkt einer Romanze, die jedoch von der Vergangenheit der Protagonist:inen und ihren jeweils ganz persönlichen Dämonen überschattet wird. Denn im Grunde sind beide schon viel zu schwer an der Seele verletzt und beschädigt, um daran zu glauben, diese Dämonen nochmal überwinden zu können.

Es gibt keine große Handlung in dieser kleinen Geschichte. Doch wie Tezel der emotionalen Entwicklung ihrer Figuren einen Raum auf der Leinwand schafft, ist großartig. Es geht weniger um äußere Ereignisse als um die kleinen Gesten, Blicke und Gespräche. Der Film konzentriert sich fast nur auf das Zwischenmenschliche und macht es so zu einer stillen, fast meditativen und intimen Erfahrung für sein Publikum, sich auf diese Nuancen menschlicher Gefühle einzulassen.

Tezel und Fulton beeindrucken mich einfach. Sie tragen den ganzen Film und verleihen ihm all seine emotionale Kraft. Aylin Tezel, so kenne ich sie gut und deshalb schätze ich sie so sehr, gelingt es, ihre Kira als komplexe, verletzliche Frau darzustellen, die trotz ihrer Unsicherheiten und ganz offensichtlichen Fehler, dennoch eine starke Präsenz besitzt. Sie spielt das vollkommen klischeefrei und zeigt eine Frau, die nur mit sich selbst im Reinen sein will, aber immer wieder daran scheitert.

Auch Chris Fulton bringt als Ian eine selten gesehene Mischung aus Charme, Unsicherheit und zerbrechlicher Verletzlichkeit auf die Leinwand. Seine Figur ist kein typischer männlicher Held, den wir aus dem Degeto-Fernsehen kennen, sondern ein Mann, der mit seinen ganz eigenen Problemen kämpft und sich nach einfacher Nähe sehnt, ohne diese wirklich zulassen zu können. Diese Chemie zwischen Tezel und Fulton funktioniert, was ihre Romanze trotz ihrer überaus vertrauten Grundstruktur einfach, natürlich und berührend macht.

Filmisch besticht Tezel durch eine sorgfältige Bildgestaltung und einen atmosphärisch dichten Soundtrack mit einer Mischung von Indie- und Ambient-Musik. Die karge Schönheit der schottischen Landschaft auf der Isle of Skye funktioniert als Leinwand für die inneren Welten der Protagonisten grandios. Nebelschwaden, rauer Wind und das Spiel von Licht und Schatten schaffen eine Melancholie, die nicht nur mit der emotionalen Verfassung von Kira und Ian einhergeht… ich konnte den Torf und das Salz in der Luft förmlich riechen.

In der Hauptsache aber, und da kippt die Autorin keinerlei Zuckerguss über die Geschichte, geht es hier um Menschen mit psychischen Belastungen und verflucht toxischen Beziehungsmustern. Sowohl Ian als auch Kira sind hochkomplexe, signifikant fehlerhafte Charaktere, deren persönliche Dämonen und Selbsttäuschungen den Film zu einer hervorragenden Studie über menschliche Unvollkommenheit machen.

Tezel erspart uns Klischees oder Vereinfachungen. Sie macht deutlich, wie schwer es ist, aus destruktiven Verhaltensweisen auszubrechen, und wie sehr die Vergangenheit das Hier und Jetzt prägt. „Falling Into Place“ zeigt, dass Heilung und Veränderung möglich sind, aber nicht ohne Schmerz und innere Arbeit. Seine psychologische Tiefe hebt den Film von all den vielen konventionellen Dramen ab und macht ihn tatsächlich zu einem durchaus wichtigen Beitrag im zeitgenössischen Kino, das sich zunehmend mit dem Thema mentaler Gesundheit und emotionaler Komplexität auseinandersetzt.

Es kann sein, dass Sie das langweilt. Dramaturgisch ist ja auch nicht viel los. Es gibt keine großen Wendungen oder Höhepunkte. Wenn Sie klare Konflikte und deren eindeutige Auflösung erwarten, dann ist das sicher kein Film für Sie.

Insgesamt ist „Falling Into Place“ ein behutsames, manchmal vielleicht etwas zu langatmiges, aber immer authentisches Porträt zweier echter Menschen, die nur versuchen, in einer verwirrenden Welt ihren Platz zu finden. Aylin Tezel beweist ihr großes Talent als Regisseurin und Schauspielerin (sowieso) und liefert ein zeitgenössisches romantisches Drama, das mich mit seiner Mischung aus Charme, Melancholie und Ehrlichkeit einfach vollkommen abgeholt hat.

Falling Into Place“ ist aber vor allem deshalb so gelungen, weil er zeigt, wie das Kino auch heute noch mit kleinen, persönlichen Geschichten große Wirkung erzielen kann – ganz ohne Effekte oder übertriebene Dramatik. Es ist ein Film, der, je nach persönlicher Disposition, auch mal lange nachwirkt und vielleicht zum Nachdenken über Liebe, Verlust, die eigenen Dämonen und Selbstakzeptanz anregt.

Wir sind, was wir mal geliebt haben.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 11.06.2025.



Drama, Deutschland, UK, 2023, FSK: ab 12, Regie: Aylin Tezel, Drehbuch: Aylin Tezel, Produktion: Yvonne Wellie, Jakob Weydemann, Jonas Weydemann, Musik: Ben Lukas Boysen, Jon Hopkins, Kamera: Julian Krubasik, Schnitt: David J. Achilles, Mit: Aylin Tezel, Chris Fulton, Rory Fleck-Byrne, Juliet Cowan, Alexandra Dowling, Olwen Fouéré, Samuel Anderson, Fediverse: @filmeundserien



Reaktionen:

Wie bewerten Sie diesen Film / diese Serie?

Dieser Film / diese Serie wurde 2x im Durchschnitt mit 4.5 bewertet.

Bisher keine Bewertungen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diesen Beitrag auch über das Fediverse (zum Beispiel mit einem Konto auf einem Mastodon-Server) kommentieren.