Ich bin sicher, dieser sogenannte „Erotik-Thriller“ wird noch in hundert Jahren an Film- und Kunsthochschulen behandelt und seziert werden. Als Prototyp eines vom „Male Gaze“ dominierten, kalkulierten Skandals – und als Schlüssel zum Hollywood der 90er Jahre. Als Meilenstein des Kinos, ja, aber auch als elementare Verletzung der Intimsphäre einer Darstellerin – gegen ihren ausdrücklichen Willen. Und genau deshalb: Blockbustermaterial…
Ganz ehrlich? Der Film ist eher schlecht. Nicht, weil er schlecht gealtert wäre – sondern weil er 1992 schon schlecht war. Denn nimmt man Sharon Stone, die für ihre Rolle 500.000 US-Dollar erhielt, und die Sex-Komponente aus dem Film heraus, bleibt kaum mehr als ein nahezu bemitleidenswerter, mittelmäßiger Michael Douglas übrig. Dessen wesentlich dezenter gefilmte Nacktheit wurde übrigens mit 14 Millionen US-Dollar vergütet – dem Achtundzwanzigfachen der Gage seiner Kollegin.
Durch und durch ein Männerfilm: Michael Douglas ist die einzige Identifikationsfigur, und ihm gegenüber steht keine lebendige und widersprüchliche Frau. Ihm gegenüber lauert die nackte Gefahr. Sharon Stone verkörpert das perfekte Klischee typischer Männerängste: ein mysteriöses Nebeneinander von Berechnung und Begehren, aus dessen Magnetismus es kein Entrinnen gibt. Da können die Filmmänner noch so viele Machosprüche reißen, vom ersten Augenblick des Zusammentreffens von Douglas und Stone, von Polizist und mutmaßlicher Mörderin ist klar, wer Macht über wen hat. Es ist dieses Spiel von Gewalt, das dem Film seinen Thrill gibt. Wer einen Porno sehen will, der sollte in die Videothek gehen. Wer Gewaltorgien will, der ist mit Kettensägenmassaker Teil 4 besser bedient. Psycho ist der bessere Thriller. ‚Basic Instinct‘ wird vorschnell verurteilt.
– J.G., taz, 23.5.1992
Trotz – oder gerade wegen – der Tatsache, dass hier eine Frau die gewohnten Machtverhältnisse in einem Hollywoodfilm einmal radikal umkehrt, ist „Basic Instinct“ (1992) kein feministischer Film. Nicht bei dieser ökonomischen Schieflage. Denn am Ende war diese Frau, so machtvoll sie auf der Leinwand inszeniert ist, doch nur eine Figur in einem misogynen Spiel – gelenkt von einem Regisseur, der genau wusste, welchen Skandal er provozierte. Und das war eiskalt kalkuliert.
Und spätestens seit Sharon Stone selbst in ihrer Autobiografie („The Beauty of Living Twice“, Süddeutsche Zeitung) öffentlich gemacht hat, dass ihr bei der berühmten Verhörszene zugesichert worden war, man würde nichts Intimes sehen – und sie das Gegenteil erst in einer Vorführung mit mehreren Männern entdeckte – sollten sich eigentlich alle Fragen erledigt haben, wie sehr dieser Film eine Grenzüberschreitung war. Nicht nur inszenatorisch, sondern auch ganz real. Diese Szene, die zum popkulturellen Mythos wurde, war eine Form von filmischer Enteignung weiblicher Autonomie. Ein Übergriff. Verfilmt, vervielfältigt, millionenfach vergoldet.
Und doch – oder gerade deshalb – müssen wir unterscheiden zwischen dem Film „Basic Instinct“ und dem, was Sharon Stone danach aus dieser Rolle gemacht hat. Denn mit dem kalkulierten Skandal und dem überwältigenden Kassenerfolg bekam sie ein mächtiges Werkzeug in die Hand. Ein Werkzeug ihrer Selbstermächtigung als Frau und Darstellerin in einem von Männern dominierten System. Und sie wusste es zu nutzen – für sich, und für viele ihrer Kolleg:innen. (Instyle.com)
Denn so sehr der Film sie reduziert – auf Beine, auf Blick, auf Begehren – so konsequent hat sie sich in der Folge geweigert, bei dieser Reduktion mitzumachen. Sie hat das mediale Echo, die zum Sexsymbol stilisierte Figur, umgedreht wie einen Spiegel. Hat sie zurückgeworfen, auf eine Industrie, die von Frauen oft nur das Bild will – aber nicht das Ich. Und genau darin liegt ihre wahre Leistung: Sie hat die ikonischste Rolle ihres Lebens nicht einfach gespielt, sondern rückwirkend transformiert – in ein Werkzeug für mehr Sichtbarkeit, mehr Macht, mehr Selbstbestimmung.
Heute wirkt Sharon Stone wie eine der wenigen, die mit diesem Hollywoodsystem abgerechnet hat, ohne daran zu zerbrechen. Sie ist nicht Opfer geblieben. Sondern Zeugin. Überlebende. Und eine, die das System beim Namen nennt. Ihre Interviews, ihre Texte, ihr Engagement – sie stehen in radikalem Kontrast zu der kalkulierten Coolness des Films. Wo der Film eiskalt ist, ist sie heute warm. Klar. Wütend. Und unendlich vielschichtiger als jede Femme Fatale, die Hollywood je auf Leinwand bannen konnte.
Vielleicht wird „Basic Instinct“ noch lange analysiert werden – aber hoffentlich nicht mehr als Erotikthriller. Sondern als das, was er eigentlich ist: Ein Fallbeispiel für strukturelle Ungleichheit, für Sexismus mit Stilmitteln, für einen kulturellen Moment, in dem Gewalt gegen Frauen verkaufsfördernd war. Und dann vielleicht – als Startpunkt für eine Geschichte, in der sich eine Schauspielerin all das zurückgeholt hat, was ihr zustand.
Mein Respekt vor dieser Künstlerin könnte größer gar nicht sein.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 12.01.2025. Permalink
Inhaltswarnung: Der Film enthält Szenen sexualisierter Gewalt, explizite Darstellungen von Sexualität, nicht-einvernehmlicher Nacktheit sowie psychologische Manipulation. Die bekannteste Szene des Films zeigt eine Grenzüberschreitung, die nach Aussage der betroffenen Darstellerin ohne ihre informierte Zustimmung gefilmt wurde. Der Film arbeitet zudem mit misogynen und queerfeindlichen Tropen und reproduziert stereotype Vorstellungen über bisexuelle Frauen und psychische Erkrankungen. Für viele Zuschauer:innen kann der Film retraumatisierend oder emotional belastend sein. Bitte mit Vorsicht ansehen.
Erotik-Thriller, USA, 1992, FSK: ab 16, Regie: Paul Verhoeven, Buch: Joe Eszterhas, Produktion: Alan Marshall, Musik: Jerry Goldsmith, Kamera: Jan de Bont, Schnitt: Frank J. Urioste, Mit: Michael Douglas, Sharon Stone, George Dzundza, Jeanne Tripplehorn, Denis Arndt, Leilani Sarelle, Bruce A. Young, Chelcie Ross, Dorothy Malone, Wayne Knight, Daniel von Bargen, Stephen Tobolowsky, Benjamin Mouton, Jack McGee, Bill Cable, Mitch Pileggi, William Duff-Griffin, James Rebhorn, Anne Lockhart, Fediverse: @filmeundserien
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