„100 Jahre Loriot“ – „Anderst schön“ – „Der Baum“
Der Herausgeber hat schon darauf hingewiesen: Wir, die Hinterbliebenen haben die besondere Ehre und freiwillige Verpflichtung am 12. November den 100. Geburtstag des größten Humoristen in der Geschichte des deutschen Farbfernsehens zu begehen. Sein Haussender Radio-Bremen darf aus diesem Grund nicht weniger als die vollständigen gesammelten Werke (im Format von 1997) als vierzehnteilige, nach dem Autor benannte Serie und die Geburtstagssendungen zum 60-65-70-75 Geburtstag wieder in der Mediathek bereitstellen. (Für die DVDs hätten wir sicher sehr viel Geld bezahlen müssen).
Video: Loriot – Szenen einer Ehe – Fernseher kaputt (Studio Hamburg)
Wenn sie mindestens so alt sind, wie ich, dann kennen sie das vermutlich auswendig. Wenn sie zu jung dafür sind, oder mit Millenials im Haushalt leben, dann ist dieses Angebot eine erstklassige Chance zur Grund- & Weiterbildung. Alles, was ihm seither an sogenannter „Comedy“ folgen sollte, muss sich daran messen lassen. Und verliert jeden Vergleich. Und deshalb ist unser Verlust auch so groß und schwerwiegend. So gilt diesem distinguierten und feinen Herrn und seiner absolut kongenialen Partnerin Evelyn Hamann auch meine lebenslange Verehrung. Da ist diese Würdigung auf Kosten unserer TV-Haushaltsabgabe das mindeste, was wir erwarten durften.
„100. Geburtstag Loriot“ – ARD Mediathek – verfügbar bis zum 02.02.2024
Charly Hübner – Anderst Schön (2015)
Der Mann aus Neustrelitz ist einer, der einfach alles spielen kann und es auch will und es deshalb einfach macht. Das ist wohl der wichtigste Grund, warum er den Polizeidienst quittiert hat. Für den Polizeiruf 110 ist das ein großer Verlust – waren die Rostocker:innen Bukow & König doch über 12 Jahre und 24 Folgen das bei weitem stärkste Team im deutschen TV-Krimi. Dass ausgerechnet seine Frau (Lina Beckmann) seinen Job fortführen möchte, ist allerdings eine wirklich spannende Familiengeschichte.
Ausgebrochen, im allerbesten Sinne, ist Hübner aus der Polizistenrolle, wann immer er konnte. Festgelegt hat er sich nie. Und damit hat er sich in über 30 Jahren Karriere wiederum einen ganz besonderen Ruf und ein einzigartiges Profil erarbeitet.
Video: Trailer – Anderst schön, 2015 (ARD)
Ein besonders schönes Stück „Ausbruch“ kam heute Nacht wieder in der Mediathek an. „Anderst schön„, ist eigentlich ein Film von einer furchtbaren Sorte – aus der Produktionsfabrik der Degeto Film GmbH, die ich zu vermeiden versuche, wann immer ich kann. Am Ende „kriegen sie sich“ und der Freitagabend endet in Harmonie und Marshmallow-Sauce. Und mir is‘ schlecht.
Hier ist wirklich fast alles „Anderst“! Denn der Film spielt nicht auf grünen Wiesen und der wilden Küste Irlands, in hippen, verkehrsberuhigten Großstadt-Kiezen oder oberbayerischen Almwiesen, sondern in einem abrisswürdigen Schweriner Plattenbau. Hier erobern keine sexuell frustrierten Hausmänner ihre Karrierefrauen zurück, und keine junge Brauerei-Erbin verliebt sich in den Sohn des bösen Brausefabrikanten. Hier sind die Verhältnisse so prekär, wie die Probleme des Alltags, so authentisch, so wie es einem ARD Freitagabendpublikum vermutlich gerade noch zumutbar war.
Oliver Jungen nannte den Film in der FAZ (Paywall) eine „Ostalgie-Kitschkomödie“. Damit hat er sicher nicht ganz unrecht. Aber genau das macht Charlie Hübner hier zum Gewinner. Heimspiel, sozusagen.
„Was immer Charly Hübner in den letzten Jahren gespielt hat, es hatte seine eigene Klasse: der harte „Polizeiruf“-Ermittler, der ausgefuchste Gerichtsmediziner, der einknickende Stasi-Mitarbeiter, der eigenmächtige Grenzöffner, der verstrahlte Automechaniker, selbst der Werbespruchklopfer der Dresdner Bank. Er kann alles. Und doch ist geradezu erschreckend, wie verdammt gut ihm die Rolle des liebenswerten Simpels steht, des ganz kleinen Mannes mit ganz großer Seele.“ (Oliver Jungen, FAZ, 12.06.2015)
Der Plattenbau existiert heute schon längst nicht mehr, die DDR wurde privatisiert und zurückgebaut. In soweit handelt es sich bei diesem kleinen Film auch um ein zeithistorisches Dokument. Ich will das gar nicht überbewerten. Doch ich glaube, es ist wichtig, dass es sowas auch im Fernsehen gibt. Auf Sendeplätzen auf denen es „sichtbar“ ist.
„Anderst Schön“ – in der ARD Mediathek verfügbar bis 19.08.2024
Deutschland, 2015
Regie: Bartosz Werner, Buch: Wolfgang Stauch
Mit Charly Hübner, Christina Große, Renate Krößner, Emilie Neumeister, Hermann Beyer, Kida Khodr Ramadan
Charlotte Gainsbourg – The Tree (2010)
Bei Frau Gainsbourg muss ich hinsehen. Das liegt an ihrer herausragenden Rollenauswahl und der Kraft ihres Spiels. Ein künstlerisch über-talentiertes Elternhaus kann eine Gnade sein, oder ein Fluch. Für die Französin war es wohl gleichermaßen beides. Doch hat sie sich ihren Erfolg aus eigener Kraft redlich erarbeitet. Glamour und Handwerk. Sie ist auch so eine, die wohl fast alles kann und tut was sie will. Und, das ist ein Privileg des Alters, sie hat niemals aufgehört dabei besser zu werden.
Video: Trailer – The Tree, 2010 (Pandora Filmverleih)
Diese australisch-französisch-deutsch-italienisch-amerikanische Koproduktion ist nun auch schon 13 Jahre alt. Viele Wiederholungen auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen und eine Mediathekverfügbarkeit von 1 Jahr, lassen darauf schließen, dass hier keine kapitalistisch bepreisten Lizenzen bezahlt werden müssen, bzw. dass jene so günstig waren, dass es „sich rechnet“. Für mich rechnet es sich überaus!
Ganz ehrlich, würden sie sich an einem Fernsehabend gemeinsam mit ihren (nicht mehr ganz jungen) Kindern einen Film ansehen wollen, dessen tragische Geschichte am Rande des australischen Outback spielt und der sich nach den fünf Phasen der Trauer (oder des Sterbens) nach Elisabeth Kübler-Ross – „Leugnen“, „Wut“, „Verhandeln“, „Depression“ und „Akzeptanz“ entwickelt? Ich habe mir das nicht ausgedacht, sondern einem Verweis in der Wikipedia auf eine Filmkritik in der Washington Post entnommen.
Der Film ist nicht gerade subtil. Aber er funktioniert. Das liegt vor allem an Gainsbourg und Davies, die neue, überzeugende Wege finden, die Botschaft zu vermitteln, dass Unglücklichsein – und sogar Glück – eine Wahl ist. Dadurch fühlt sich „The Tree“ sehr, sehr real und verwurzelt an. (Von Michael O’Sullivan, The Washington Post, 22.07.2011)
Es ist vielleicht ein Film, der sie nachdenklich macht. Vielleicht begeistert er sie auch. In jedem Fall wünsche ich ihnen, dass sie ihn nicht als Vergeudung sondern als Bereicherung von Lebenszeit empfinden, und die Künstler:innen die ihn uns geschenkt haben, dafür feiern.
„Der Baum“ – in der ARD Mediathek verfügbar bis zum 01.11.2024
Australien, 2010
Regie: Julie Bertucelli, Buch: Julie Bertuccelli, Elizabeth J. Mars
Mit: Charlotte Gainsbourg, Marton Csokas, Christian Byers, Morgana Davies, Arthur Dignam, Gabriel Gotting, Penne Hackforth-Jones, Gillian Jones, Tom Russell, Aden Young
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