Ein wichtiger Film: „Kein Stück Journalismus hat Graham (…) übertroffen, wenn es darum geht, darzustellen, wie das Gift des Brexit die normalen Menschen gegeneinander aufgehetzt hat oder wie leicht sich unsere schwachen Führer von opportunistischen Apparatschiks leiten lassen.“ (Sarah Helm, The Guardian, 10.01.2019)
Dieser Fernsehfilm aus Großbritannien sollte ein Stück Pflicht-„Fernsehen“ werden, weil es hier in Form eines Spielfilmes gelingt, die gefährlichste Strategie aller Demagogen, Populisten und Neofaschisten des 21. Jahrhunderts zu entlarven. Und diese Strategie, „Flooding the Zone with Shit“ – das Fluten aller öffentlichen (nicht nur, doch besonders der digitalen) Kommunikationskanäle mit „Scheiße“ hat Steve Bannon, einer der gefährlichsten Männer Amerikas, vielleicht nicht erfunden – aber geprägt und, vor allem, mehrfach erfolgreich eingesetzt.
Die Brexit-Volksabstimmung im Vereinigten Königinnenreich war 2016 das unmittelbare Vorspiel zur Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA. Und beide Male hatte Bannon seine schmutzigen Finger an den Fäden der Macht.
Sein britischer Counterpart war Dominic Cummings, welcher mit Hilfe von Bannons Firma Cambridge Analytica und Mark Zuckerbergs Facebook die „Leave“-Kampagne gesteuert hat, als Ergebnis derer Großbritannien 2020 die Europäische Union verlassen musste.
Nun haben mehrere Gerichte und Untersuchungsausschüsse des britischen Parlaments zwar schon mehrfach über Cummings und seinen Chef Johnsson gerichtet, die Tatsache dass sie tief in die Ungnade der öffentlichen Meinung und des an Skandalen wirklich nicht armen britischen Politikbetriebes gefallen sind, hat allerdings weitaus mehr mit ihren (Nicht-)Handlungen während der Covid19-Pandemie zu tun, als mit der Brexit-Kampagne zuvor.
Auch, doch nicht nur deshalb ist dieser Spielfilm ein Mittel zur Erinnerung – weitaus nicht nur für das Publikum in Großbritannien, sondern für alle demokratischen Gesellschaften. Der Film gibt der Geschichte eine Form. Tatsächlich unterhält er seine Zuschauer:innen und langweilt sie nicht. Nur so kann so was überhaupt funktionieren. Mit Benedict Cumberbatch hat er zumal einen Hauptdarsteller, der sich mit seinem ganzen Können in den Dienst der Geschichte wirft und mit Richard Goulding und Paul Ryan als Darsteller von Boris Johnson und Nigel Farage ebenfalls Darsteller, welche den Originalen den Wiedererkennungswert geben, den sie brauchen um gesehen zu werden.
Nun stehen wir im nächsten Jahr schon wieder vor überaus entscheidenden Wahlen – die jede für sich globale Auswirkungen haben werden. Das geht mit der Wahl zum Europäischen Parlament los, führt über Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg… bis zur möglichen Wiederwahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA weit jenseits dessen, was wir uns „zwischen den Feiertagen“ als Wohlfühlprogramm freiwillig zumuten würden.
„Geschichte wiederholt sich, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“
(frei nach Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1852)
Da kommt die Wiederholung dieses wichtigen Filmes also gerade richtig, uns zu erinnern, uns vorzubereiten und uns hoffentlich die Strategien und schmutzigen Manipulationen wiedererkennen und entlarven zu lassen.
Obwohl wir das Ende längst kennen:
Spannend ist der Film auch!
Brexit – Chronik eines Abschieds (2019) – in der ARD Mediathek bis 24.01.2024
Fernsehfilm, Channel 4, UK, 2019
FSK: 0
Regie: Toby Haynes
Drehbuch: James Graham
Produktion: Lynn Horsford
Musik: Daniel Pemberton
Kamera: Danny Cohen
Schnitt: Matthew Cannings
Mit: Benedict Cumberbatch, Lee Boardman, Richard Goulding, John Heffernan, Oliver Maltman, Simon Paisley Day, Lucy Russell, Paul Ryan, Kyle Soller, Liz White, Rory Kinnear
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