Wieder einer dieser Filme, die zum Motto des Tages so beunruhigend perfekt passen, dass durchaus zu öffentlich-rechtlichen Konspirationstheorien Anlass gegeben wäre. Denn heute ist schließlich der „Weltglückstag“. Vielleicht kaufen sie besser keine Blumen?
Jessica Hausner, die österreichische Autorin und Regisseurin von, unter anderen, „Lourdes“ (2009) und „Amour Fou“ (2014) setzt das Thema in ihrem teuflisch beunruhigenden Film „Little Joe“ mit drolliger Distanziertheit und einer artifiziellen Inszenierung in eines der effektivsten und genrevariabelsten Settings überhaupt: Einen klassischen Science-Fiction.
Emily Beecham ist Alice, eine arbeitssüchtige Wissenschaftlerin bei einem Biotechnikunternehmen, das sich auf genetisch „optimierte“ Pflanzen spezialisiert hat. Ihre große Innovation ist eine neue, das Hormon Oxytocin produzierende Blumensorte, die bei sorgfältiger und richtiger Pflege bei ihren Besitzer*innen Glücksgefühle hervorruft. Soweit das Motiv. Sicher keine Blume von Fleurop.
Der Film bewegt sich auf weitgehend bekannten Pfaden. Ein Virus, eine Chemikalie oder Alien-Droge die in anderen Filmen schon mal dafür verantwortlich waren, dass Menschen plötzlich ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten verändern, ist hier eben eine ganz und gar nicht harmlose Pflanze und ihre Pollen.
Aber Hausner macht etwas Beunruhigendes und Eigenwilliges: Mit gelegentlichen atonalen und hochfrequenten Sequenzen im Soundtrack vermittelt sie ein ganz und gar nicht subtiles Unbehagen, als ob der Film – wie seine Heldin – nicht in der Lage wäre, rational zu begreifen, was gerade passiert.
In gewisser Weise nutzt die Regisseurin die Phase der Angst und Unsicherheit, die so eine Geschichte normalerweise einleitet, und erweitert diese auf Spielfilmlänge, um den eigentlichen unvermeidlichen Totalabsturz in eine Dystopie, Paranoia und die Eskalation des großen Horrors zu verhindern.
Es gibt keine Computer, keine KI, keine Monster oder Aliens hier. Nur Menschen (und einen Hund) und ihre Sinne.
Eigentlich ist der Film eher trocken und clean, ganz wie das Pflanzenlabor, manchmal ist er auch komisch. Diese Ambivalenz findet sich auch in Hausners früheren Filmen. Es gibt hier keine Klarheit über die Beweggründe und Gefühle ihrer Protagonist:innen. Raum und Zeit sind nicht definiert. Und Gut und Böse sind Kategorien, die in diesem Spiel um unsere Nerven nicht existieren.
„Little Joe“ ist eigentlich ein existenzieller Horrorfilm über die Unfähigkeit, komplizierte Emotionen zu verstehen, und über die Verlockung, einer Versprechung von Glück nachzugeben.
Vielleicht geht es aber auch tatsächlich um die zerebrale, hormonelle „Infektiösität“ der Elternschaft. Also hier: Die Unzulänglichkeitsgefühle einer Mutter ihrem Sohn gegenüber. Pflanze und Kind. Das ist für mich schwer zu sagen. Aber die Gedanken wert. Im übertragenen Sinne ist es wirklich kein Film, den ich leicht kategorisieren könnte.
Optisch ist „Little Joe“ ein Fest, denn hier kontrastiert Art-Deco-Rosa und Minzgrün mit sterilen, symmetrisch gerahmten weißen Flächen und erinnert ein wenig an die Ästhetik eines Science-Fiction-Films der frühen 70er Jahre. Ein Anlass, den ewigen Kubrik wieder aus dem DVD Regal zu holen.
Nichts also, das unsere Sehgewohnheiten etwa verfestigen würde – im Gegenteil. Es ist ein ungewöhnlicher Film. Nehmen sie es wie sie wollen. Als Warnung vor der Gentechnik, als Reflektion über die Liebe, als sinnliche Herausforderung, oder als subtilen Horror. Ganz je nach dem, wie sie gerade drauf sind.
Weltglückstag?
Machen sie was draus, wenn sie können!
Science-Fiction-Drama / Psychothriller, Österreich, Deutschland, Großbritannien, 2019, FSK: ab 12, Regie: Jessica Hausner, Drehbuch: Géraldine Bajard, Jessica Hausner, Produktion: Philippe Bober, Bertrand Faivre, Martin Gschlacht, Jessica Hausner, Gerardine O’Flynn, Bruno Wagner, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: Karina Ressler, Mit: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, David Wilmot, Leanne Best, Lindsay Duncan, Sebastian Hülk, Goran Kostic, Yana Yanezic, Andrew Rajan, Kit Connor, Phénix Brossard, Jason Cloud
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