Irland ist in vielerlei Hinsicht eine ziemlich spektakuläre und gerne genutzte Kulisse für Film und Serienproduktionen. Nicht ganz so häufig kommt dem Land aber eine so dominierende Hauptrolle zu, wie in dem Film der polnisch-niederländischen Regisseurin Urszula Antoniak, mit der grandiosen Entdeckung Lotte Verbeek und dem Veteranen Stephen Rea.
Ich habe das Land über die Jahre mehrmals bereisen dürfen, doch am meisten in Erinnerung geblieben ist mir das erste Mal. Es war noch in den 1980er Jahren und das Land zwar noch Sehnsuchtsort deutscher Studienrät:innen für die es in der Toskana meistens einfach zu heiß war, doch noch keine europäische „Oase“ für Steuer vermeidende und lose Datenschutzregeln suchende internationale Großkonzerne.
Meine Pilgerreise war damals weniger von Heinrich Böll inspiriert, ich habe auch den Ulysses nie gelesen. Meine Inspiration waren mehr Van Morrison, Thin Lizzy, U2 und die Pogues, doch wirklich viel wusste ich wirklich nicht über das Land, als ich nach rund 20-stündiger und stürmischer Überfahrt von Le Havre in Rosslare das erste Mal irischen Boden betrat.
All das hatte ich wieder im Kopf, in den ersten Minuten dieses Filmes. Nur ein paar Schritte raus aus dem Dorf, lief ich mit meinem Rucksack genau wie die Protagonistin die Landstraße entlang. Das Wetter war dasselbe wie im Film, mein Rucksack wohl deutlich schwerer.
Gelernt habe ich auf der Reise eine Menge. Erstens: In Irland regnet es, wenn die Sonne nicht scheint. Das Wetter verändert sich spätestens nach 15 Minuten – oder es regnet einfach weiter. Zweitens: Es ist nicht schwer, den Menschen aus dem Weg zu gehen, wenn Sie diese nicht mögen oder diese Sie nicht mögen. Das Land ist rau. Ganz wie seine Menschen. Es ist schwer, sie und es nicht dafür zu lieben.
Bis Connemara habe ich es nicht geschafft. Und noch tiefer in den Westen vorzudringen, schaffen sie in Europa nicht. Entweder sie haben einen guten Grund, dort hinzureisen. Oder sie haben keinen und tun es dennoch. Anne, die Protagonistin des Films, wollte ihr altes Leben hinter sich lassen. Das ist ein wirklich sehr guter Grund.
„Du kennst sie nicht, aber du kaufst ihr ein Bier.“
Urszula Antoniak erzählt eine Geschichte der selbstgewählten Aussteigerin, die auf einen anderen Außenseiter trifft. Wie selbstgewählt wiederum das Leben des Einsiedlers Martin ist, erfahren wir nicht. Es ist auch nicht nötig. Wir bekommen viel Zeit, sie kennenzulernen. Ein leeres Apartment in Amsterdam, ein Ehering, der vom Finger gezogen wird… Genug.
Lotte Verbeek ist rauh, doch (nach meinen Empfindungen) eine überirdisch und natürlich schöne Frau, die wie aus der Landschaft gewachsen erscheint. Stephen Rea, der irische Charaktergigant, wiederum gibt einen Einsiedler, der mit den Menschen noch nicht ganz abgeschlossen hat. Und was zunächst, mit nur dem wirklich allernötigsten Dialog, zwischen den beiden zaghaft entstanden ist, wächst spätestens im Pub tatsächlich zusammen. Irland eben. Kein Klischee.
„Es ist nicht unsere Aufgabe, nach leidiger Perfektion zu streben.“
Ob das jetzt eine Liebesgeschichte ist? Vermutlich ist es das. Doch sie haben vermutlich noch keine gesehen, wie diese. Im Grunde ist es eine, die mich trifft. Eine zum Behalten.
„Der Einsamkeit haftet nichts Negatives an. Wenn sie freiwillig gewählt ist, dann ist sie ein Privileg. Wie viele Menschen können sich Einsamkeit leisten? Früher wollte jedermann berühmt sein, heute wollen sich die Menschen auf ihre eigene Insel zurückziehen. Um Zeit für sich selbst zu haben, in sich hineinzuhören, nachzudenken. Nehmen wir zum Beispiel soziale Netzwerke wie Facebook. Die Menschen bilden sich ein, dass sie viele Freunde haben. Das haben sie nicht, man kann keine 500 Freunde haben. In „Nothing Personal“ geht es nicht in erster Linie um Einsamkeit. Es geht um Freiheit. Wenn man die Einsamkeit wählt, dann wählt man die Freiheit.“
Bitte lesen Sie das Interview, das Carlos Corbelle zur Premiere des Films 2010 mit Regisseurin Antoniak geführt hat. Auch wenn es milde Spoiler enthält, ist es sehr erhellend ihre eigene Geschichte zu erfahren, um ansatzweise zu verstehen, aus welcher Motivation heraus der Film entstanden ist.
Unter den kleinen, „schmutzigen“ (wie ich sie gerne nenne) Filmen, ist das hier ein ganz, ganz großer. Er strahlt aus ganz eigener Kraft, da braucht er mich eigentlich gar nicht. Doch vermutlich hätten sie anders kaum von ihm erfahren… und dafür musste ich das hier einfach aufschreiben.
Wenn sie traurige Poesie lieben, ist Irland ihre Insel. Wenn sie Irland lieben, ist das ihr Film. Und wenn sie einen äußerst außergewöhnlichen „Liebesfilm“ schätzen, werden sie diesen lieben, nur für das, was er ist. Für mich ist das alles andere als „nichts Persönliches“.
„Tá gná agam duit.“
Wenn es Ihnen möglich ist, schauen Sie den Film bitte in der Originalversion!
Drama, Irland, Niederlande, 2009, FSK: ab 6, Regie und Drehbuch: Urszula Antoniak, Produktion: Morgan Bushe, Reinier Selen, Edwin van Meurs, Musik: Ethan Rose, Kamera: Daniel Bouquet, Schnitt: Nathalia Alonso Casale, Mit: Lotte Verbeek, Stephen Rea
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