Sollte ein Mensch, so wie ich, auf die Idee kommen, mal in der ARD Mediathek einfach nach Charly Hübner zu suchen, dann wirft die Suchmaschine dort heute ganze 96 Videos aus. Diesen Film allerdings kennt sie nicht. Und das ist, in „a Nutshell“, eines der zentralen Probleme dieser Plattform. Die vollkommene Lieblosigkeit, mit der ihre Inhalte gepflegt und für das Publikum aufbereitet werden.
Und das ärgert mich so wahnsinnig, weil es eine Missachtung der Zuschauer:innen ist, aber, und das ist ebenso schwerwiegend, auch eine Missachtung „der Kreativen“ und eine Geringschätzung des eigenen Materials. Denn etwas, was nicht gefunden wird, wird nicht gesehen. Also ist das genau so, als würde es gar nicht existieren!
Meine Fresse, wenn ein kleiner Blogger es schafft, zu jedem Film die Beteiligen aus der Wikipedia zu kopieren (und manchmal auch mehr als das), dann muss ich das auch von einem von mir zwangsalimentierten Unternehmen verlangen können. Zumal alle anderen es geradezu vorbildlich machen. Schauen Sie nach, bei ARTE, 3Sat oder dem ZDF.
Wenn sie sich, wie ich vor ein paar Wochen, die Übergabe und Vorstellung der Empfehlungen des Rates für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angesehen haben, dann haben sie auch seine Vorsitzende Julia Jäkel gehört, die genau das in aller Einfachheit benannt hat. „Es reicht ja nicht, die Inhalte online zu stellen, man muss sie dort auch finden können…“ (Zitat paraphrasiert).
Bäm! Das hat gesessen!
Sorry für den Rant – und den Ärger mal beiseite geschoben… haben wir hier einen Psychothriller allererster deutscher Liga, den Herr Hübner in subtilster Ausübung seiner Kunst zu einem Highlight macht. Für Regisseur Stephan Rick (zuletzt wieder ein Psychothriller, „Die Heimsuchung“ 2021 – Mediathek bis 30.09.2024) war es 2011 der erste Langfilm und seither hat er seinen Fuß in der Tür öffentlich-rechtlicher Primetime-Krimiproduktionen u.a. bei Tatort und Polizeiruf-110 nicht wieder zurückgezogen.
Ich habe es mir dieses Mal einfach gemacht, und lasse hier die Menschen sprechen, die für das Filmegucken bezahlt werden. Meistens nicht besonders gut, allerdings. Doch, wie wir wissen, geht prekäre Arbeit oft einher mit Systemrelevanz. Und in soweit könnte auch meine Achtung vor der Profession gar nicht größer sein! (Von den Editor:innen der Wikipedia mal ganz abgesehen. Die kriegen gar nichts dafür, außer unserer Dankbarkeit!)
Die Kritiken aus der Wikipedia (CC-BY-SA-4.0):
„Regiedebütant Stephan Rick gelingt es tatsächlich, den Nachbarschaftsschocker als doppelte Lovestory zu erzählen: Hier die Liebe zwischen der jungen Frau und dem jungen Mann, der die Schwester totgefahren hat. Dort die unerwiderte Liebe des Nachbarn, die zu fatalen Eifersuchtsattacken führt. Filmemacher Rick ist schlau genug, diese schwierige emotionale Gemengelage nicht als Laber-Kintopp in Szene zu setzen. Die Dialoge sind knapp, die homoerotischen Untertöne subtil, die Schauspieler agieren zurückgenommen. Und doch höchst effizient: Das negative Kraftzentrum bildet Charly Hübner als ewig hilfsbereiter Soziopath.“
Christian Buß, Spiegel Online, 30.05.2012
„Darsteller und Regisseur haben hier zuweilen großes Kino abgeliefert, auch die Autoren haben viel Energie darauf verwendet, alles Handeln ihrer Figuren und jede Wendung des Psychothrillers genau zu begründen, damit das Geschehen für den Zuschauer jederzeit glaubhaft bleibt. Diese Didaktik macht ‚Unter Nachbarn‘ fürs Erste primetimefähig, erstickt freilich in einigen Szenen auch ein wenig das Kino im Kopf.“
Klaudia Wick, Frankfurter Rundschau, 30.05.2012
„‚Unter Nachbarn‘ kennt keine Gewinner, kein reines Gut und Böse. Der Regisseur Stephan Rick, der zusammen mit Silja Clemens auch das Drehbuch geschrieben hat, erkundet in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm viel mehr die Extreme, zu denen Menschen bereit sind, sei es aus Angst, aus Eigennutz oder aus – enttäuschter – Liebe. Dafür braucht Rick keine dramatischen Effekte oder Schockmomente, Hübners und Mehmets Zusammenspiel ist eindrucksvoll genug. Ebenso eindrucksvoll ist, dass trotz allen Wahns, der sich immer mehr Bahn bricht, bis zum Schluss Verständnis für eben diesen Wahnsinn möglich bleibt. Umso stärker bedrückt dann das Ende. Es kann kein gutes geben.“
Ruth Ciesinger, Tagesspiegel, 29.05.2012
„Es ist selten, dass ein Film nach einer Reihe holpriger Anfangsszenen noch zu einem atmosphärisch dichten und mitreißenden Psychodrama wird. Stephan Ricks Spielfilmdebüt ‚Unter Nachbarn‘ schafft dieses Kunststück. Und er verdankt es in erster Linie einem großartigen Charly Hübner, der die Rolle des Bindungsneurotikers mit atemberaubender Sicherheit Stufe für Stufe ins Dämonische steigert und mit seinem charismatischen Spiel auch einige Falten des Drehbuchs glattbügelt.“
Thomas Thiel, FAZ, 29.05.2012
„Sensibel, psychologisch gekonnt, gut gespielt – all das ist dieser Film, der unspektakulär daherkommt und Musik, Licht, selbst Dialoge sparsam einsetzt. ‚Unter Nachbarn‘ kann vom ersten Satz an auf eine gute Geschichte vertrauen. ‚Komm doch rein‘ lautet dieser. Nach 90 Minuten weiß der Zuschauer: Hätte David bloß die Tür zugeschlagen und wäre um sein Leben gerannt.“
Karolin Jacquemain, Hamburger Abendblatt, 30.05.2012
Wichtig ist, sie können den Kolleg:innen sicher jedes Wort glauben. Aber ansehen müssen sie sich das schon selbst.
TV-Thriller, Deutschland, 2011, FSK: ab 12, Regie: Stephan Rick, Drehbuch: Silja Clemens, Stephan Rick, Produktion: Daniel Reich, Christoph Holthof, Musik: Stefan Schulzki, Kamera: Felix Cramer, Schnitt: Florian Drechsler, Mit: Maxim Mehmet, Charly Hübner, Petra Schmidt-Schaller, Helmut Rühl, Rainer Sellien, Katharina Heyer, Peter Kaghanovitch, Henrik Zimmermann, Anuschka Herbst, Max Ruhbaum, Wolfgang Packhäuser, Hartmut Volle
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